Wikileaks-Gründer Julian Assange:Wenn eine Botschaft zum Gefängnis wird

Julien Assange

Er will hier raus: Doch wann und wie Julien Assange (re.) die ecuadorianische Botschaft in London verlassen wird, verriet er auf seiner Pressekonferenz nicht.

(Foto: dpa)

Herzprobleme, hoher Blutdruck, chronische Lungenerkrankung: Wegen seiner angeschlagenen Gesundheit will Wikileaks-Gründer Assange zum ersten Mal seit mehr als zwei Jahren seinen Zufluchtsort verlassen. Seine Plattform galt vielen schon als gescheitert - ein Irrtum.

Von John Goetz und Hans Leyendecker

Eine Botschaft kann auch ein Gefängnis sein, selbst wenn man einst freiwillig dorthin gegangen ist.

Seit Juni 2012 sitzt Julian Assange in der ecuadorianischen Botschaft im Londoner Stadtteil Knightsbridge fest. Die diplomatische Vertretung liegt gegenüber dem Kaufhaus Harrods, Apartment 3b. Eigentlich ist die Botschaft nur eine mittelklassige Altbauwohnung mit zugemauertem Kamin.

Die Damentoilette wurde für Assange zum Schlafzimmer umgebaut, sein Wohn-und Arbeitszimmer ist etwa 16 Quadratmeter groß. Ein Schreibtisch, ein Ledersofa, ein Kaffeetischchen. Überall liegen seine Prepaid-Handys herum und auch zahlreiche Netbooks. Ein halbes Dutzend Geräte, mindestens. Nachts kann er kaum schlafen, denn Harrods wird dann beliefert.

Assange kostet die Briten Millionen

Seit dem ersten Besuch bei Assange im Sommer 2012 hat sich äußerlich wenig verändert. Vor dem Gebäude haben allenfalls noch mehr Polizisten Stellung bezogen. Etliche Millionen haben sich die Briten die Überwachung der Botschaft bisher kosten lassen, sie kostet rund 11 000 Euro pro Tag. Die Beamten sind angewiesen, Assange sofort festzunehmen, wenn er das Haus verlässt. Selbst wenn er in Begleitung eines Diplomaten die Botschaft verlassen wollte, würden sie ihn wohl verhaften. Verändert hat sich Assanges Gesundheitszustand.

Beim letzten Besuch im vergangenen Monat sah der Australier noch bleicher aus als sonst. Seine Hände zitterten. Er sprach nicht über Krankheiten, sondern - wie immer - über das Große und Ganze und was zu tun sei, aber er wirkte wirklich nicht gesund. Er hat Herzprobleme, der Blutdruck ist zu hoch, Assange leidet seit Jahren an einer chronischen Lungenerkrankung; das Zittern der Hände war wirklich besorgniserregend.

Als er am Montag auf einer Pressekonferenz erklärte, er werde die Botschaft bald verlassen - "aber nicht aus den Gründen, an die Sie denken" -, wollte er offenbar die Gesundheitsprobleme herunterspielen. Schon weil die ihm verhassten Blätter des Verlegers Rupert Murdoch bereits seit einer Weile über seinen Gesundheitszustand spekulieren. Die sollen nicht recht behalten - das ist der alte Kämpfer Assange.

Es war ein wenig still um den 43-Jährigen geworden. Durch die Enthüllungen Edward Snowdens über die Praktiken amerikanischer und britischer Geheimdienste und wegen der vielen Krisenherde auf dem Globus gibt es andere Themen als die Frage, was Assange macht. Dabei hat die von ihm mitgegründete Enthüllungsplattform Wikileaks die Welt schon ein Stück verändert. Da waren die Enthüllungen mit Zehntausenden zumeist geheimer Dokumente über den Afghanistan-Krieg und vor allem die Enthüllungen zum Irak-Krieg, der noch schrecklicher war als man vorher meinte. Dokumente von Kriegsverbrechen waren darunter.

Vor Snowden war Assange für die USA Staatsfeind Nummer eins

Die Veröffentlichung von Hunderttausenden vertraulicher Diplomatenberichte brachte die US-Regierung in Schwierigkeiten, aber "Cablegate", wie diese Lieferung genannt wurde, bereitete (zumindest aus Sicht von Assange) den arabischen Frühling mit vor, weil die Depeschen US-amerikanischer Botschaften dazu beigetragen hätten, die Legitimität von Diktatoren zu untergraben. Vor Snowden war Assange für die amerikanischen Sicherheitsbehörden der Staatsfeind Nummere eins.

Dann kamen der Auslieferungskampf mit Schweden, die Flucht in die Botschaft, die internen Streitigkeiten. Der Boykott des Kreditkartenunternehmens Visa und die daraus resultierenden Geldprobleme setzten der Organisation zu. Wikileaks als Idee und Projekt galt vielen schon als gescheitert.

Das war nie richtig, denn Wikileaks existiert weiter. Die Enthüllungen haben nicht das Format der Sammlungen, die die Internetplattform berühmt machten, aber auch in diesem Genre gibt es ein Auf und Ab - die Enthüllungsindustrie kennt Konjunkturen.

Ein Arbeitstag dauert von elf Uhr morgens bis drei Uhr am nächsten Morgen

Auch die Wikileaks-Zentrale ist in der Botschaft von Ecuador untergebracht. Die Helfer von Assange arbeiten dort, und er selbst hat nichts anderes mehr als die Arbeit. Von elf Uhr morgens bis drei Uhr am nächsten Morgen dauert normalerweise sein Arbeitstag. In dieser Zeit empfängt er auch Besucher. Manchmal kommen sie im Abstand von zwanzig Minuten.

Auf die Weltbühne zurück gelangte Wikileaks durch den Kampf für Edward Snowden. Dabei spielte Sarah Harrison, Assanges engste Vertraute, eine wichtige Rolle. Sie war 2010 über ein Praktikum am Center für investigativen Journalismus zu Wikileaks gekommen und wurde Assanges wichtigste Mitarbeiterin. Ohne die beiden säße Snowden heute vermutlich in US-Haft.

Denn als der Amerikaner im Frühsommer 2013 in Hongkong festsaß, bekam Wikileaks mit, dass seine Verhaftung unmittelbar bevorstand. Assange und Harrison legten los. Sie besorgten ein Einreisepapier aus Ecuador und Flugtickets, sie holten informelle Asylangebote ein und spielten alle Möglichkeiten durch. Harrison reiste nach Hongkong und wurde eine Art Schutzengel von Snowden, auch in Moskau. Dort war sie vier Monate lang seine Beschützerin und zugleich die Verbindungsperson der beiden wichtigsten digitalen Dissidenten der Gegenwart, die sich beide dem Zugriff der Staatsmacht entzogen haben.

Das Leben in den Verstecken ist sehr unterschiedlich

Und doch ist das Leben in den Verstecken sehr unterschiedlich. Wo Snowden genau lebt, ist nicht bekannt, aber er erzählt, dass er einkaufen geht, und es gibt auch Fotos von Ausflügen, die er gemacht hat.

Assange hingegen hat die Botschaft nicht einmal verlassen. Er bekommt seit zwei Jahren sein Essen aus Läden in der Umgebung. Immer aus einem anderen, weil er fürchtet, er könne vergiftet werden. Mit der Gastfreundschaft in der Botschaft ist es so ganz weit auch nicht her.

Als er 2012 einzog, war dort noch die Botschafterin Ana Alban, die sich gut mit ihm verstand. Als sie in die Heimat zurückkehrte, schenkte sie ihm ein Foto mit der Notiz: "You will miss me". Assange vermisst sie wirklich. Ihr Nachfolger gibt den Botschafter, der auch der Bestimmer ist. Immerhin darf Assange weiterhin samstags in der Botschaft boxen, was er gerne tut. Dann wird der Tisch im Esszimmer beiseite geräumt und ein ehemaliger britischer Elitesoldat trainiert ihn. Darauf freut sich der Australier schon Tage vorher.

Mit einem kleinen Lederball spielt er mit Besuchern auf dem Flur schon mal Fußball, aber es kann passieren, dass einer der Sicherheitsleute der Botschaft ihm den Ball abnimmt, weil der sich gestört fühlt. Es gibt nettere Plätze als Apartment 3b.

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