Wikileaks-Dokumente zu Guantanamo:Happy Meal für Denunzianten

Ein Hundertdollarschein, eine bestimmte Armbanduhr, ein Job als Honigverkäufer - Wikileaks-Dokumente enthüllen, woran die USA in Guantanamo Terroristen erkennen wollten. Dass der Deutsche Murat Kurnaz da als höchstgefährlich eingestuft wurde, wundert nicht mehr.

Wolfgang Jaschensky

Murat Kurnaz war nur einer von 779 Muslimen aus aller Welt, die die US-Regierung im Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba interniert hat. Doch der Fall des Deutsch-Türken ist so absonderlich, dass er inzwischen ganze Aktenschränke füllt und zwei Bundestagsuntersuchungsausschüsse beschäftigt hat.

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Murat Kurnaz (l.) wurde im Gefangenenlager Guantanamo als gefährlicher Terrorist festgehalten - zu Unrecht. Sein Fall beschäftigte in Deutschland zwei Untersuchungsausschüsse.

(Foto: Reuters)

Nun taucht der Name Kurnaz auch in den jüngsten Wikileaks-Enthüllungen auf - und sorgt schon wieder für eine Überraschung.

Noch kurz vor seiner Entlassung aus dem Lager wurde der gebürtige Bremer den nun veröffentlichten Dokumenten zufolge vom US-Militär in die Gruppe der gefährlichsten Gefangenen eingestuft.

Diese Information dürfte vor allem Frank-Walter Steinmeier interessieren. Der frühere Außenminister musste sich vor dem Untersuchungsausschuss gegen den Vorwurf wehren, die Rückkehr von Kurnaz nach Deutschland verhindert zu haben, obwohl dessen Ungefährlichkeit längst erwiesen sei.

Doch beim genaueren Hinsehen entlasten diese Erkenntnisse weniger Steinmeier als dass sie die Methoden des US-Militärs diskreditieren.

Die USA standen in Guantanamo vor der schwierigen Aufgabe, Terroristen zu erkennen. Das gelang ihnen allem Anschein nach allerdings nicht besonders gut. Gerade einmal 220 der 779 Guantanamo-Insassen wurden als gefährlich eingestuft - der Al-Qaida-Topterrorist Khalid Scheich Mohammed genauso wie der verirrte Muslim Murat Kurnaz, und Handlungsreisende des internationalen Terrors genauso wie einfache Straßenhändler, die zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort waren.

Bei mindestens 150 Häftlingen handelte es sich um unschuldige Afghanen und Pakistaner: Bauern, Händler und Fahrer etwa, von denen manche nichtsdestotrotz jahrelang in Guantanamo festgehalten wurden.

Umgekehrt nutzten als harmlos eingeschätzte und deshalb entlassene Männer ihre wiedergewonnene Freiheit dazu, Terroranschläge zu organisieren.

Wie waren solch massive Fehleinschätzungen möglich?

Eine Erklärung findet sich in einem Dokument der für den Betrieb des Internierungslagers zuständigen Joint Task Force Guantanamo, das den Titel "Matrix of threat indicators for enemy combatants" (Matrix der Bedrohungsindikatoren für feindliche Kämpfer) trägt.

Das Geheimnis der Casio F-91W

Das Dokument listet auf 17 Seiten auf, wie die Vernehmungsbeamten in Guantanamo versuchen sollten, einen Terroristen als solchen zu erkennen und zu bewerten. Besonders verdächtig ist demnach ein Gefangener, wenn er:

- von al-Qaida finanziert nach Iran, Pakistan oder Afghanistan gereist ist,

- dabei eine der üblichen Al-Qaida-Routen genutzt hat,

- an einem Al-Qaida-Trainingslager teilgenommen hat und

- zugegeben hat, Mitglied von al-Qaida zu sein.

Pech hatte auch, wer zum Zeitpunkt seiner Verhaftung eine 100-Dollar-Note besaß oder eine Casio-Uhr der Marke F-91W trug - ein weitverbreiteter Zeitgeber, der unter Al-Qaida-Bombenbauern offenbar beliebt war. Selbst die Erklärung, als Honigverkäufer oder auf Brautschau im Land zu sein, war verdächtig. Dutzende dieser zwischen Banalität und Absurdität schwankenden Faktoren mussten die Vernehmungsbeamten auf Guantanamo abfragen, in der Hoffnung, so etwas über den Terroristen im Gegenüber zu erfahren.

"Die Matrix ist eine sehr vereinfachte Sicht auf die Dinge, natürlich gibt es für Experten Möglichkeiten, die über das hinausgehen, was auf dem Papier zu finden ist", sagte Jim Clemente, Ausbilder des Guantanamo-Verhörpersonals, dem National Public Radio.

Viele Interviewer hätten allerdings nicht einmal die Sprache des Verdächtigen gesprochen und seien deshalb auf Übersetzer angewiesen gewesen. Das Ergebnis habe sich dann oft so angehört, als sei stille Post gespielt worden.

Vielversprechender erschien da offenbar, die Gefangenen nach anderen Gefangenen zu befragen. Wenn ein Insasse zu berichten wusste, dass ein anderer Al-Qaida-Mitglied sei, war dies offenbar genug. Und um die Redseligkeit zu steigern, so berichtet der NPR-Blog, soll den malträtierten Gefangenen sogar ein besonderes Angebot gemacht worden sein. Ein Happy Meal von einer führenden Burgerbraterei.

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