Wien:Rücktritt stürzt Österreich in die Krise

Flüchtlingspolitik, Wahlniederlagen: Nach massiver Kritik gibt Kanzler und SPÖ-Chef Faymann alle Ämter auf und empfiehlt "Neustart".

Der überraschende Rückzug des Kanzlers und SPÖ-Vorsitzenden Werner Faymann von allen Ämtern hat ein politisches Vakuum an Österreichs Staatsspitze hinterlassen und eine so hitzige wie vorerst ergebnisoffene Diskussion über die Nachfolge ausgelöst. Während schnell klar wurde, dass Wiens populärer Bürgermeister Michael Häupl für eine Übergangszeit die Partei führen soll, blieb zunächst offen, wer neuer Kanzler oder neue Kanzlerin wird. Vorläufig betraute der Bundespräsident den Vizekanzler Reinhold Mitterlehner von der Volkspartei (ÖVP) , die Amtsgeschäfte zu führen.

Als Kanzler war Faymann unter anderem wegen seiner Flüchtlingspolitik in die Kritik geraten. Faymann, der in einer Koalition mit der konservativen ÖVP regierte, hatte nach einer Phase der Offenheit eine Kehrtwende gemacht und die Landesgrenzen weitgehend geschlossen. Er stellte sich so in eine Linie mit den Balkanstaaten, was zu Verstimmungen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel führte. Kritiker warfen ihm vor, seine Linie habe die rechtsgerichtete FPÖ gestärkt. Bei der ersten Runde der Bundespräsidentenwahl im April erlitt die SPÖ zudem eine vernichtende Niederlage; ihr Kandidat schaffte es nicht in die Stichwahl, in der sich am 22. Mai FPÖ-Bewerber Norbert Hofer und der Grüne Alexander Van der Bellen gegenüberstehen.

Österreich reagierte am Montag geschockt. Faymann war zwar stark unter Druck gewesen, hatte aber bis zuletzt betont, im Amt bleiben zu wollen. Mit seinem sofortigen Rücktritt überraschte er dann selbst Landeschefs der SPÖ nach einer Sitzung im Bundeskanzleramt. "Die Regierung braucht einen Neustart mit Kraft", sagte er. Österreich brauche einen Kanzler, der die Rückendeckung seiner Partei habe. "Wer diesen Rückhalt nicht hat, kann diese Aufgabe nicht leisten", so Faymann. Österreich habe nach der Finanzkrise den Flüchtlingszustrom zu bewältigen gehabt. Dies habe das Land gut gemeistert. Der Sozialdemokrat verteidigte aber erneut das Ende der "Willkommenskultur" und seine restriktivere Flüchtlingspolitik.

Der 56-Jährige war 2008 als Bundeskanzler angetreten, nachdem er zuvor als Verkehrsminister schon der Regierung angehört hatte. Im selben Jahr wurde er auch SPÖ-Vorsitzender. Faymann blieb jedoch umstritten. Seit er SPÖ-Chef war, verlor die Partei bei praktisch jeder Wahl Stimmen. Der Kanzler habe seiner Partei keinen Stempel aufgedrückt, sondern jeweils den kleinsten gemeinsamen Nenner gesucht, warfen ihm zuletzt Parteimitglieder öffentlich vor. Besonders umstritten war, ob es eine Zusammenarbeit mit der rechtsgerichteten FPÖ geben dürfe.

Faymanns Interims-Nachfolger an der Parteispitze, Wiens Bürgermeister Michael Häupl, sagte, die SPÖ brauche eine "Phase des Nachdenkens" - dies gehe am besten schweigend. Über Häupls Berufung wollte am Montagabend der Parteivorstand bestimmen. Vor allem die Frage, wer Faymann als Kanzler folgen könnte, ist umstritten. Einige SPÖ-Landeschefs zeigten Präferenzen für Österreichs Bahn-Chef Christian Kern. Auch der frühere ORF-Intendant Gerhard Zeiler wurde genannt. Beide sind zwar SPÖ-Mitglieder, haben aber bisher nicht der Führungsspitze der Partei angehört.

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