Wiederaufbau im Gazastreifen:"Von der Hamas kommt keine Hilfe"

Wiederaufbau im Gazastreifen: Leben zwischen Trümmern: Ein palästinensisches Mädchen in seinem von Bomben zerstörten Zuhause in Gaza-Stadt.

Leben zwischen Trümmern: Ein palästinensisches Mädchen in seinem von Bomben zerstörten Zuhause in Gaza-Stadt.

(Foto: AFP)

Der Gazastreifen war die wichtigste Machtbasis der Hamas. Nun wenden sich die Menschen von den Islamisten ab. Denn sie müssen in Ruinen leben - obwohl 4,3 Milliarden Euro an Hilfsmitteln bereitstehen.

Von Peter Münch

Beit Hanun ist gewiss kein Ort für Visionen, doch Hamdi Obeid hat einen Traum. "Ich will mein Haus wieder aufbauen, genau hier, an dieser Stelle", sagt er. "Aber es soll keine fünf Stockwerke mehr nach oben gehen, sondern fünf nach unten in die Erde. Nur so können wir sicher sein."

Das ist der Stoff, aus dem die Träume sind im Gazastreifen. Es ist der Winter nach dem verheerenden Krieg, in dem die grenznahe Ortschaft Beit Hanun eine der schlimmsten Kampfzonen war. Hamdi Obeid steht an einem Kraterrand und blickt ins Nichts. Kreisrund, fast wie mit dem Zirkel gezogen, wurden hier die Trümmer aufgetürmt von der Wucht der Bombe, die ein israelischer Kampfjet am 17. Juli über seinem Haus abgeworfen hat. Tief unten liegen seitdem die Reste seines alten Lebens: ein zerschmetterter Wassertank vom Dach, Scherben aus der Küche, ein brauner, mit Goldfäden durchwebter Schal. 85 Menschen haben hier gelebt - Hamdi Obeida mit seiner Frau und den 15 Kindern, dazu noch die Familien der Brüder und Cousins. Sie waren längst geflüchtet, als die Bombe fiel. Doch nun gibt es nichts mehr, wohin sie zurückkehren könnten. "Nichts ist uns geblieben", sagt er.

Noch immer müssen 20 000 Menschen in UN-Schulen hausen

Ein paar Straßen und viele Trümmerhaufen weiter hat er mit seiner Familie Unterschlupf gefunden in einer Schule der Vereinten Nationen. Vor jedem Klassenzimmer hängt Wäsche zum Trocknen, über jedem Geländer dünsten Decken aus. Dicht gedrängt leben hier 500 Menschen. Ohne Duschen, ohne Hoffnung. Von den 100 000 Bewohnern des Gazastreifens, die im Krieg obdachlos geworden sind, stecken immer noch mehr als 20 000 in den UN-Schulen fest. Die anderen haben Unterschlupf gefunden bei Verwandten, manche haben Wohnungen angemietet, viele haben sich in den Ruinen eingerichtet.

Vom Wiederaufbau ist fast nichts zu sehen, dabei hatte die Welt sich doch diesmal nach dem Grauen des 50-tägigen Krieges besonders großzügig zeigen wollen. Umgerechnet 4,3 Milliarden Euro stehen bereit für Gazas Zukunft, doch kaum etwas von dem Geld ist bislang bei den Menschen angekommen. Es fehlt an allem - an Baumaschinen, an Zement und auch an gutem Willen. Ägypten hat die Grenze nach Gaza komplett dichtgemacht, aus Israel kommt zäh und langsam nur ein Bruchteil dessen, was benötigt würde für die Reparatur von 80 000 Häusern, die nach UN-Angaben teilweise oder komplett zerstört wurden.

Alles, woran Hamdi Obeid sich klammern kann, ist eine Zahl, die mit blauer Farbe auf seinen Trümmerhaufen gesprüht wurde: A4-2406 steht da geschrieben. Unter dieser Nummer ist sein zerstörtes Haus registriert worden von den Abgesandten der UN. Sie kamen schon kurz nach dem Krieg, haben den Schaden begutachtet, dann sind sie weitergezogen. "Sie haben mir nicht eine einzige Frage gestellt", klagt Obeid, "und als ich gefragt habe, wann Hilfe kommt, haben sie gesagt: Vielleicht morgen, vielleicht übermorgen, vielleicht im nächsten Monat."

Vier Monate nach dem Kriegsende sitzen die Menschen in Gaza immer noch zwischen den Fronten - und kaum einer kann das wohl besser erklären als Abdallah Frangi. In den vielleicht nicht immer guten, aber auf jeden Fall besseren Zeiten hat er die PLO in Deutschland vertreten, seine Frau und die Tochter leben dort immer noch. Einst war er das Sprachrohr von Jassir Arafat, dann ging er als Berater von Präsident Mahmud Abbas nach Ramallah. Am 6. Juli ernannte Abbas ihn zum Gouverneur von Gaza-Stadt. Das war zwei Tage vor Kriegsbeginn. Seitdem steht Frangi im Feuer.

Fremd ist er nicht in Gaza. Hier ist er aufgewachsen, hier steht das geräumige Haus seiner Familie, in dem er auch heute residiert und mit Helmut-Kohl-Strickjacke die Besucher empfängt. "Bis jetzt habe ich noch kein Büro", sagt er, "der Kontakt mit der Hamas ist nicht so gelaufen, wie ich mir das gedacht habe."

Frangi sollte im Auftrag von Abbas in Gaza auch die Einheitsregierung vertreten, auf die sich im Sommer die lange verfeindeten Gruppierungen Fatah und Hamas geeinigt hatten. Doch in der Praxis hält die Hamas überhaupt nichts davon, wenn sich jemand in ihre Gaza-Geschäfte einmischt, und deshalb ist auch Frangi ihr höchst unwillkommen. Im Oktober erst ist vor seinem Haus eine Bombe explodiert. "Die Hamas hat versprochen, die Täter zu verfolgen, aber bis jetzt haben wir nichts mehr davon gehört", sagt er.

Ohne eine einheitliche palästinensische Regierung gibt es keine Hilfsgelder

ie palästinensische Einheitsregierung also funktioniert nicht - und ohne die Einheitsregierung funktionieren auch die Wiederaufbaupläne der internationalen Gemeinschaft nicht. "Die Geldgeber wollen nicht bezahlen, solange die Hamas hier alles kontrolliert", erklärt Frangi. Überdies hat sich der Mechanismus, auf den sich die UN, Israel und die Palästinenser nach dem Krieg zur Kontrolle der eingeführten Baumaterialien geeinigt haben, als lähmend erwiesen. Israel will mit dieser Überwachung verhindern, dass der zum Wiederaufbau gelieferte Zement in die Hände der Hamas und ihrer Tunnelbauer gelangt. "Aber bestraft wird nicht die Hamas, sondern die Bevölkerung", klagt Frangi. "Das ist viel zu kompliziert, das muss geändert werden." Doch bei allen Widrigkeiten ist er als Diplomat noch immer dem Optimismus verpflichtet. Etwas gewunden bilanziert er deshalb: "Es ist noch nicht so weit, dass man sagen kann, es gibt keinen Wiederaufbau."

Nur wenige wagen es, die Herrscher des Gazastreifens öffentlich anzugreifen

Und tatsächlich - wer lange genug sucht, kann mitten im kriegsverwüsteten Stadtteil Schedschaija das Haus von Bassam al-Wadija finden, in dem gehämmert und gemauert wird. Unten im Erdgeschoss türmen sich zwischen den Trümmern die Zementsäcke, und stolz zeigt der Hausherr auch auf eine chromglänzende Maschine. "Hat 8000 Dollar gekostet, kommt aus China", sagt er. Mit diesem Gerät kann er nun wieder wie zu Vorkriegszeiten seinen süßen Sirup der Marke "Al-Omara" produzieren. "Erdbeer, Traube, Mint oder Cola", sagt er, "vier Tüten für einen Schekel."

Bassam al-Wadija hat es eilig, in einem Monat schon sollen Haus und Fabrikraum komplett repariert sein. "Ich bin Geschäftsmann, es muss schnell gehen, ich verliere jeden Tag viel Geld", erklärt er. Sein Glück ist es wohl gewesen, dass er vorher viel Geld verdient und auf die Seite gelegt hat, denn nur so konnte er an die 15,5 Tonnen Zement kommen, die er für sein privates Wiederaufbauprojekt braucht. Die Nachbarn, das räumt er ein, würden schon oft "sehr seltsam schauen". Doch das ficht ihn nicht an, ganz im Gegenteil. "Manchmal erzähle ich ihnen noch Lügen", berichtet er grinsend, "zum Beispiel, dass ich außer dem Zement auch noch 50 000 Dollar bekommen habe."

Das klingt ziemlich grausam, doch für ihn sind diese Lügen ein Akt des Widerstands. "Ich will die Leute wütend machen", erklärt er - er will, dass sie aufbegehren gegen die Zustände und vielleicht auch gegen die, die dafür verantwortlich sind. "Von der Hamas kommt keine Hilfe", schimpft er, "die kümmern sich nur um sich selbst und interessieren sich nicht für das Elend hier."

Nachts liegen sie unter zerborstenen Betondecken

So offen wagen es nur wenige, die Herrscher des Gazastreifens zu attackieren. Doch vom Helden-Nimbus, der die Hamas in den Kriegszeiten umwehte, ist nichts mehr zu spüren - auch nicht in Khuzaa ganz im Süden des Küstenstreifens, wo die Familie Nadscha zunächst noch dankbar zu sein hatte. "Nach dem Krieg hat die Hamas uns und auch den anderen hier 2000 Dollar gegeben", sagt Maha Nadscha. Doch das Geld war schnell aufgezehrt für die acht Kinder, die sie großzuziehen hat. Ihr Haus liegt immer noch in Trümmern.

Im Schlafzimmer stehen nur noch zwei Wände, und trotzdem liegen sie hier nachts zu fünft unter der zerborsten Betondecke, die nur noch von ein paar rostigen Stahldrähten gehalten wird. Aus Planen und Decken haben sie eine Art Zelt gebaut, ein paar Plastikblumen bringen Farbe in die Tristesse, abends sitzen sie hier um ein Feuer herum. Am Tag spielt sich das Leben draußen ab. "Wenn es regnet, ist das hier wie ein See", sagt sie.

Nur 700 Meter sind es von hier bis zur israelischen Grenze. Drüben, jenseits des Zauns, sieht sie grüne Wiesen und Autos, mit denen die Menschen zur Arbeit oder zu Freunden fahren. "Wahrscheinlich kommt der nächste Krieg, bevor wir unser Haus wieder aufgebaut haben", sagt Nadscha. "Am liebsten würde ich da drüben auf der andern Seite leben."

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