Wiedeking-Prozess:Maß und Übermaß

Früher haben sich Staatsanwälte oft nicht an Manager herangetraut. Das ist vorbei, zum Glück. Aber jetzt ist mitunter das andere Extrem zu beobachten: Die Ankläger schießen übers Ziel hinaus - wie jetzt im Verfahren gegen die beiden früheren Chefs von Porsche.

Von Marc Beise

Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen - so beschreiben viele Deutsche das Verhältnis von Wirtschaft und Justiz. Die Mitarbeiterin des Supermarkts, die geklaut hat, wird gekündigt und angeklagt, sie trifft die ganze Härte des Gesetzes. Dem Manager, der ein Unternehmen zugrunde gerichtet hat, wird der Vertrag ausbezahlt, und ein Verfahren gegen ihn wird auf dem kleinen Dienstweg beendet. Das ist eine verbreitete Vermutung. Sie ist falsch, aber sie wurde lange durch erkennbare Zurückhaltung der Justiz bei der Aufarbeitung von Managerentscheidungen begünstigt.

Für diese Zurückhaltung gab es Gründe: Wirtschaftliche Zusammenhänge sind oft äußerst kompliziert, vielen Juristen fehlt dafür Wissen und Verständnis. Manchmal ist es fast unmöglich herauszufinden, was sich auf den Chefetagen wirklich abgespielt hat. Im Konkreten passt häufig der Betrugs- oder der Untreue-Tatbestand des Strafgesetzbuchs nicht richtig auf das, was ein Manager so angerichtet hat. Also ließen Staatsanwälte früher lieber die Finger davon.

Dieses Bewusstsein hat sich radikal geändert; gut so. Die Wirtschaft ist kein Paralleluniversum, sondern sie steht wie alle anderen Bereiche des Lebens unter der Herrschaft des Rechts, und übrigens zu Recht auch im Scheinwerfer des öffentlichen Interesses. Die Justiz hat aufgerüstet, Staatsanwälte sind speziell ausgebildet. Die Zahl der Verfahren steigt, in denen wirtschaftliche Vorgänge präzise aufgearbeitet und gegebenenfalls bestraft werden. Allerdings ist nun das nächste Extrem zu beobachten.

Was früher zu wenig war, kann nun zu viel sein. Es mehren sich, wenn der Eindruck nicht täuscht, die Verfahren, in denen namentlich Staatsanwälte über das Ziel hinausschießen - Fälle, in denen sie sich mit einer gleichsam blutrünstigen Unerbittlichkeit an die Fersen vermeintlicher Wirtschaftskrimineller oder anderer Prominenter heften.

Selten bekommen sie dafür eine so heftige Quittung wie jetzt die Staatsanwaltschaft Stuttgart. Deren Versuch, die ehemaligen Porsche-Manager Wendelin Wiedeking und Holger Härter wegen Marktmanipulation im Zuge der gescheiterten Übernahme des viel größeren VW-Konzerns ins Gefängnis zu bringen, ging krachend schief. Der ehemalige Chef des Sportwagenbauers und sein Finanzvorstand wurden am Freitag voll und ganz freigesprochen, und die Urteilsbegründung des Richters war erst recht ein Debakel für die Ankläger: An den Vorwürfen sei "nichts dran, nichts - weder vorne, noch hinten, noch in der Mitte".

Für Wiedeking und Härter, beide längst nicht mehr im Amt, ist das eine späte Genugtuung, die allerdings die Schmach nicht aufwiegt, die sie vor Gericht und in den Medien erleiden mussten. Deshalb sollte das Urteil Anlass sein, über den Umgang mit Prominenten - hier aus der Wirtschaft - nachzudenken. Vorverurteilung darf es nicht geben, blinden Jagdeifer auch nicht.

Das heißt nicht, dass Manager wieder sakrosankt werden sollen. Weder sollen Staatsanwälte nicht mehr ermitteln oder anklagen, noch Medien nicht mehr berichten. Wer in einem Unternehmen Verantwortung trägt (und erst recht in einem Großkonzern), der hat eine Verantwortung gegenüber Eigentümern, Mitarbeitern und der Gesellschaft. Er muss es sich gefallen lassen, dass seine Arbeit kritisch begleitet und gegebenenfalls nachbereitet wird. Jeder Fall allerdings, in dem die Justiz das Maß verliert wie jetzt in Stuttgart, schwächt die Legitimität dieser notwendigen Kontrolle.

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