Wie Jassir Arafat zu Grabe gejubelt wurde:Eingeschwebt zum Siegestaumel

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Gesetzte Kühle in Kairo, leidenschaftliches Trauern in Ramallah - die Palästinenser ließen die Heimkehr ihres Führers zur Demonstration werden.

Von Tomas Avenarius, Heiko Flottau und Peter Münch

Vielleicht ist dies der größte Moment im Kampf des Jassir Arafat für die Sache der Palästinenser. Ein solches Willkommen hat er nicht einmal erlebt, als er Mitte der Neunzigerjahre nach den Verträgen von Oslo aus dem Exil nach Palästina zurückkam.

Chaos: Sicherheitskräfte klettern auf dem Sarg von Jassir Arafat. (Foto: Foto: AP)

In dem Moment, da der Hubschrauber mit dem toten Arafat in der Mukata von Ramallah landet, haben Tausende - entgegen den Plänen der Sicherheitskräfte-das Gelände besetzt.

Die Menschen, hauptsächlich junge Männer, drängen sich um den Hubschrauber und lassen niemanden aussteigen. Einem arabischen Brauch folgend, schießen sie mit Gewehren in die Luft, der Pulverdampf vernebelt die klare Herbstluft über der Mukata.

Wollen sie ihn nach Jerusalem bringen?

"Mit Herz und Blut weihen wir unser Leben Jassir Arafat", rufen sie, und es werden Befürchtungen laut, die Anhänger Arafats könnten die Absicht hegen, den Sarg in ihre Gewalt zu bringen, um den toten Führer, seinem Wunsch gemäß, nach Jerusalem zu bringen. Der Versuch allein wäre der Anfang einer neuen Intifada.

Erst nach einer Viertelstunde gelingt es, den Sarg aus dem Helikopter zu tragen. Für Minuten ist nicht klar, wer die Kontrolle über den toten Palästinenserführer hat - Arafats Sicherheitsleute oder Arafats Volk, die Palästinenser. Die grün-weiß-schwarz-rote palästinensische Flagge wird vom Sarg gerissen und mit der schwarz-weiß-karierten Kuffijeh ersetzt, dem Kopftuch.

Die Zeit wird knapp, bis Sonnenuntergang um 17 Uhr muss nach islamischem Brauch der Tote beerdigt sein. Doch Menschen umlagern den Sarg. Sie kannten ihr Leben lang keinen anderen Führer als Jassir Arafat.

Abschied unter Zypressen

Etwa um zwanzig Minuten nach drei Uhr Ortszeit wird Jassir Arafat dann endlich zu Grabe getragen. Unter einer kleinen Gruppe von Zypressen, dem einzigen Grün auf dem weitläufigen Gelände, haben Bauarbeiter seine vorerst letzte Ruhestätte ausgehoben.

Immer noch hoffen viele, dass Arafats Überreste, seinem Wunsch gemäß, einst doch noch in Jerusalem beigesetzt werden können.

Für den Weg zum Grab hatte man noch hastig einen roten Teppich ausgerollt. Doch der Teppich ist längst von den Massen zertrampelt, als Arafats Leichenzug endlich dort ankommt. Als alles vorbei ist, beginnt sich die Menschenmenge früher als erwartet aufzulösen. Es ist der letzte Tag des Fastenmonats Ramadan, viele wollen nach Hause - zum Fastenbrechen mit ihren Familien. Ihre Trauer nehmen sie mit.

In Kairo hingegen blieb der rote Teppich intakt. Wahrscheinlich hätte Jassir Arafat sich zu Lebzeiten über den ehrenvollen Aufwand in der ägyptischen Hauptstadt gefreut, eitel genug war er. Sein Sarg unter der palästinensischen Flagge, auf einer schwarz-golden glänzenden Lafette, gezogen von sechs schwarzen Pferden. Daneben Offiziere im Paradeschritt, die Säbel gezogen.

Seine Orden folgen dem Sarg

Seine Orden und Auszeichnungen folgten dem Sarg auf samtenen Tabletts. Und dann die Menge der Staatsmänner. In schwarzen Anzügen oder wallenden arabischen Gewändern, dazu die Kameras der Weltpresse. Was sich am Freitagmorgen auf einem Militärgelände am Rande der ägyptischen Hauptstadt abspielte, war ein Staatsakt für einen Staatsmann.

Als sich, Stunden vor dem Tumult von Ramallah, die politische Welt von Arafat verabschiedete, mit militärischen Ehren und im Kreis von Königen, Staatsmännern und Ministern, war der erste Eindruck, dies sei ein großer, würdevoller Abschied. Doch der zweite Eindruck war ernüchternder. Es war dann doch alles viel zu hastig. Und es waren dann doch zu viele, die nicht kamen.

Die Ankunft der Hubschrauber mit dem Leichnam des Palästinenserpräsidenten. (Foto: Foto: AP)

Die Zeremonie geriet auffällig kurz, die versammelten Staatsmänner wirkten wie auf dem Sprung, und selbst die sechs Pferde vor dem Sarg schienen die Lafette schneller zu ziehen als dies bei Trauerzügen üblich ist. So knapp war der von Ägyptens Präsident Hosni Mubarak aufgestellte Zeitplan, dass ein Teil der Staatsgäste nicht einmal rechtzeitig ankam. Die Hetzerei hatte Gründe.

Ein Staatschef zweiter Klasse - auch im Tod

Noch am selben Nachmittag musste Arafat in Ramallah beerdigt werden - das muslimische Ritual erlaubte keine weitere Verzögerung. Aber auch sonst war in Kairo keiner böse, dass der "Staatsakt ohne Staat" rasch vorbei war. So blieb der Palästinenserpräsident auch im Tod auf fast absurde Weise ein Staatschef zweiter Klasse. Ein Mann, der für Probleme sorgt, wo immer er auftaucht.

Für eine Trauerfeier in den besetzten Palästinenser-Gebieten hatte man sich aus naheliegenden Gründen nicht entscheiden können. Niemand hätte dort die Sicherheit der Staatsmänner gewährleisten können. Und viele arabische Führer hatten sich geweigert, die nötige Reise durch Israel anzutreten, um in die besetzten Gebiete zu gelangen.

Also hatte man sich für Kairo entschieden. Präsident Mubarak empfing dort die, die rechtzeitig angekommen waren. Den König von Jordanien, den Kronprinzen von Saudi-Arabien, die Präsidenten Syriens, Algeriens, Tunesiens, des Libanon und des Jemen, mehrere Außenminister aus Europa und- nur - ein Abteilungsleiter aus dem US-Außenministerium.

Israel blieb auch im Tod bei seiner ablehnenden Haltung und hatte keinen Vertreter geschickt. Der Großscheich der Kairoer Al-Ashar-Moschee, Muhammed Said Tantawi, sagte beim Totengebet, was die meisten Menschen in der arabischen Welt über Arafat denken: "Er hat seinem Volk sein Leben lang gedient, bis er vor seinen Gott trat, mit Mut und Ehrlichkeit."

Das "Ende einer Ära" - aber eine Chance für den Frieden?

Fernsehkommentatoren wurden nicht müde, vom "Ende einer Ära im Nahen Osten" zu sprechen und davon, dass mit dem Tod Arafats und trotz seiner unbestrittenen Verdienste um die Sache der Palästinenser, nun eine neue Chance auf Frieden erwachsen könne.

In der Menge der Trauergäste, die dem Sarg folgten, fehlte neben vielen anderen auch die deutsche Delegation. Als Joschka Fischer, der amtierende Minister für auswärtige Beileidsbekundungen, auf dem ins Chaos gefallenen Kairoer Flughafen endlich seinen Luftwaffen- Airbus verlassen durfte, war alles vorbei. Zwar brauste der Tross in einem bizarren Trauer-Wettlauf noch zur Al-Maza-Air-Base, in der Arafats Sarg eingetroffen war.

Doch die Wächter schlugen Fischer das Tor vor der Nase zu. Dabei war der Außenminister zeitig im nachtnebeligen Berlin aufgebrochen, um Arafat die letzte Ehre zu erweisen. Wenigstens das hatte er noch tun wollen, denn den lebenden Arafat hatte er gemieden in letzter Zeit.

Der verweigerte Bruderkuss

Die lange Beziehung war nicht ohne Brüche und Enttäuschungen gewesen, ziemlich einseitig am Anfang und ebenso einseitig am Ende, nur dann andersherum. Die erste Begegnung gab es 1969, da war der junge Sponti Joschka zu einem PLO-Kongress nach Algier gepilgert, um Arafat zu sehen, dem er unter anderem ein kariertes Beduinen-Tuch verdankte.

Doch das ist lange her und verblasst wohl neben vielen späteren Bildern. Der deutsche Außenminister, dem der nahöstliche Frieden ein Herzensanliegen ist, war ein oft und gern gesehener Gast am Hof des Palästinenser-Führers. Arafat hatte die Besuche von Fischer auch immer wieder mit der Ausrufung einseitiger Waffenstillstände mit Israel belohnt- nur hielten sie nie.

Das letzte Mal hatten sich die beiden vor anderthalb Jahren in der Mukata, Arafats Amtssitz in Ramallah, gesehen. Das war vor allem für Arafat eine traurige Begegnung. Als er notorisch zum Bruderkuss ansetzte, wusste Fischer dem Alten auszuweichen. Politisch war Arafat zu der Zeit für den Westen schon tot. Natürlich hegt auch der Berliner Außenminister jetzt Hoffnung auf eine Wiederbelebung des Friedensprozesses.

Schlechtes Gewissen am Sarg

Doch genauso groß sind seine Sorgen. Einiges sei "in Bewegung gekommen", sagt er, "aber in welche, das kann niemand sagen." Noch schwieriger als die Beziehung zu den Europäern war Arafats Verhältnis zu den arabischen Bruderstaaten. Nicht umsonst sagte ein Kairoer Kommentator der BBC, das Erscheinen so vieler Araber-Führer beim Trauerakt sei ein Zeichen für deren schlechtes Gewissen.

Sie hofften, dass Arafat ihnen vergebe, dass sie ihn so oft im Stich gelassen hätten. War ihr letztes Geleit schlechtes Gewissen oder auch nüchternes politisches Kalkül in Voraussicht auf die Zeit danach? Die arabischen Nachbarn, die ihre Vertreter zur Trauerfeier entsandt hatten, sind in der Vergangenheit nicht immer glühende Verfechter der palästinensischen Sache gewesen.

Trotz gegenteiliger Parolen haben sich viele arabische Regime frühzeitig mit der Existenz des neuen Nachbarn Israel abgefunden. Der seinerzeit von den Briten eingesetzte König AbdallahI. von Jordanien etwa hat über Jahre mit der zionistischen Bewegung zusammengearbeitet, annektierte nach 1948 sogar Teile des von den UN ursprünglich für einen palästinensischen Staat vorgesehenen Territoriums, darunter das Westjordanland und Ostjerusalem.

Der König büßte mit seinem Leben

Für diesen Verrat büßte der König mit dem Leben. 1952 wurde er von einem Palästinenser in Jerusalem ermordet. Und Ägypten, an diesem Vormittag Gastgeber für die letzte Ehrung Arafats? Es hat sich zwar immer über die Behandlung der Palästinenser durch Israels Premierminister Ariel Scharon beschwert. Persönliche Opfer für die Sache Palästinas zu bringen, ist aber kaum ein Ägypter heute noch bereit: "Wir haben genug Krieg für die Palästinenser geführt", sagen die meisten.

Kurz vor seinem Tod 1970 hatte der ägyptische Führer Gamal Abdel Nasser zu Arafat gesagt: "Versuch' es doch einmal mit Frieden." Mubarak sah sich zu einer Politik mit doppeltem Boden gezwungen. Er musste die Sache Arafats unterstützen, durfte aber seine amerikanischen Patrone und Geldgeber nicht verprellen. Nur einer kam den Palästinensern zu Hilfe, Kronprinz Abdallah von Saudi Arabien.

2002 schlug er Israel die Anerkennung der arabischen Welt vor, im Gegenzug verlangte er die Gründung eines palästinensischen Staates im Westjordanland und Gaza. Israel ignorierte den Plan. Überraschend war, dass der syrische Staatschef Baschar Assad nach Kairo gekommen war.

Sein Vater, der syrische Diktator Hafis al-Assad, war ein Erzfeind Arafats und hatte diesen in Damaskus sogar einmal einkerkern lassen. Einen palästinensischen Staat jedenfalls hat der alte Assad nie gewollt. Die Jordanier und die Libanesen wiederum hatte Arafat erzürnt, weil sich seine Untergrundkämpfer erst in Amman, und später in Beirut als Herren im Lande aufführten.

Stadt voller Pilger

Die Golfstaaten, insbesondere Kuwait und Saudi Arabien, verprellte der Palästinenserführer, weil er 1990 Saddam Husseins Invasion in Kuwait nicht verurteilte. In den Jahren zuvor hatte Arafat die Golfstaaten gezwungen, von jedem dort lebenden Palästinenser eine der PLO zuzuführende Steuer zu erheben.

Als Gegenleistung versprach Arafat, Emire, Sultane und Könige von Terroranschlägen auszusparen. Gekommen war der saudische Kronprinz Abdullah dennoch, der Emir von Kuwait hatte einen Minister geschickt.

Zu Lebzeiten hatte Arafat von keinem dieser arabischen Führer Solidarität erfahren. Kein Mubarak und kein König Abdallah, Führer, die jetzt an seinem Sarg in Kairo standen, hatte den gefangenen Arafat in der Mukata besucht. Und auch nach seinem Tod wollte kein arabischer Staatsmann Arafat von Kairo aus nach Palästina begleiten - obwohl Israel gegen einen solchen politischen Pilgerzug keine Einwände erhoben hatte.

Doch in Ramallah ist sein Volk. Und sein Volk himmelt ihn an. Die Stadt ist voller Pilger, auch wenn viele an israelischen Straßensperren abgewiesen wurden. Zehn Stunden hätten sie gebraucht für die Reise aus dem nicht einmal fünfzig Kilometer entfernten Bethlehem, erzählen sie. Die gesamte Innenstadt und viele Bezirke sind für den Autoverkehr gesperrt worden.

Der Tag bringt eine Reihe von politischen Botschaften

Die palästinensische Polizei ist unbewaffnet, wie es Israel verlangt hatte. Schon am Abend zuvor hatten Tausende das Gelände um die Mukata aufgesucht. Einige schmückten kleine Winkel der Außenmauer mit brennenden Kerzen und Arafatbildern. Stundenlang hielten sie dort Totenwache.

Der Tag des Begräbnisses von Jassir Arafat enthält eine Reihe von politischen Botschaften. Denn an diesem Tag wird klar: keinem arabischen Führer, außer 1970 dem ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser, hat ein Volk je ein solches Begräbnis gewährt. 1996 ist Jassir Arafat in freien Wahlen zum Vorsitzenden der Palästinensischen Autonomiebehörde gewählt worden.

An diesem Freitag ist er zum zweitenmal zum Führer erkoren worden. Mahmut Abbas und Ahmed Kureia, die ihn zu Grabe tragen, verblassen jetzt neben ihm. In vielen Städten und Dörfern des Westjordanlandes und Gazas finden zu diesem Zeitpunkt symbolische Begräbnisse für den palästinensischen Führer statt.

Ariel Scharon, Israels Premier und jahrzehntelanger persönlicher Feind des Palästinenserführers, mag sich freuen über Arafats Tod. Aber dieses Begräbnis macht klar, dass es sich die Nachfolger nicht leisten können, in zukünftigen Verhandlungen hinter die Positionen Jassir Arafats, des Vaters der palästinensischen Nationalidee, zurückzugehen.

© SZ vom 13.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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