Widerstand gegen Großprojekte:Mit der Macht des Sauerkrauts

Ganz Schwaben, ach was - ganz Deutschland diskutiert verbissen über einen Bahnhof. Ist das noch normal? Ein Blick ins Ausland rückt die Debatte um Stuttgart 21 in ein ganz anderes Licht.

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Kohlmarkt in Shenyang

Quelle: dpa

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Die Opposition gegen den geplanten Tiefbahnhof Stuttgart 21 hat viele Menschen in Deutschland in ihrer Heftigkeit überrascht. Die Proteste heizen auch die Diskussion über die Demokratie an: Wie viel Mitsprache ist beim Bau von Großprojekten nötig, erwünscht, legitim und über welche Kanäle sollte sie erfolgen? Ähnliche Fragen stellen sich auch die Menschen in anderen demokratischen Staaten. Während die Protestkultur in einigen Ländern ausgeprägt ist, vertraut die Bevölkerung in anderen auf die Kraft der politischen Institutionen. In manchen Orten gehen vor allem Grundstücksbesitzer auf die Barrikaden, in anderen ist der Naturschutz eine größere Motivation für Widerstand. Neun Auslandskorrespondenten der SZ schildern ihre Beobachtungen.

Das Foto zeigt übrigens eine Kohlverkäuferin samt Kohl im Nodern Chinas. Der Kohl soll nach Südkorea exportiert werden. Was das mit einem Staudammgroßprojekt zu tun hat, lesen Sie weiter hinten.

Zentralbahnhof Wien - grafische Darstellung

Quelle: ÖBB/Aldinger & Wolf

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Österreich: Nur ein bisschen Häme

Die Situation in Wien gleicht in manchen Punkten der in Stuttgart: Auch in Österreichs Hauptstadt wird ein neuer Großbahnhof errichtet, der - wie Stuttgart - Teil der Hochgeschwindigkeitsmagistrale Paris - Budapest - Bukarest werden soll. Der geliebte Südbahnhof - ein Kopfbahnhof - muss für einen neuen Durchgangsbahnhof weichen. Und ebenso wie die Schwaben ärgern sich die Wiener über Planungsfehler: Die gesamte Bahnhofsplanung musste kassiert werden - sie war unkorrekt . Die Wiener warten nur darauf, dass das milliardenschwere Großprojekt doppelt so teuer wird. Hier enden die Gemeinsamkeiten: Denn anders als die Stuttgarter belassen es die Wiener beim mosern und bei ein bisschen Häme. Breiten Widerspruch oder gar offenen Protest gibt es kaum. Im Gegenteil: Die meisten Wiener freuen sich, in ein paar Jahren nicht mehr quer durch die Stadt von einem Kopfbahnhof zum nächsten gondeln zu müssen.

(Fk.)

A general view shows the north portal of the NEAT Gotthard Base Tunnel in Erstfeld

Quelle: REUTERS

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Schweiz: Glückliche Demokraten?

In der Schweiz dürfen die Bürger über fast alles abstimmen - auch über ähnliche Großprojekte wie Stuttgart 21. Ab einer bestimmten Größenordnung (oder wenn jemand das Referendum dagegen ergreift) wird das Volk bei Bauprojekten gefragt. Halb neidisch, halb abwehrend schauen die Deutschen deshalb wieder einmal auf das Nachbarland. Der Zürcher Ökonom Bruno Frey meint sogar beweisen zu können, dass direkte Demokratie die Menschen glücklicher macht. Auf jeden Fall steigt die Akzeptanz von Großprojekten, wenn die Bürger abstimmen dürfen. Das zeigt die Neue Alpentransversale (Neat). Die Idee für die Eisenbahntunnel stammt schon aus den sechziger Jahren. 1992 billigten sie die Schweizer an der Wahlurne. Leider wurde das Projekt immer teurer, mit voraussichtlich 24 Milliarden Franken kostet die Neat jetzt etwa doppelt so viel wie geplant. Was die Menschen anderswo auf die Barrikaden treiben würde, schlucken die Schweizer - sie haben ja ihr Plazet gegeben.

(kis)

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Quelle: AFP

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Frankreich: Vom Ärgernis zur Attraktion

Das Protestieren fällt Franzosen leicht. Und natürlich entzündet sich ihr Unmut auch an großen Bauprojekten. Der Protest artikuliert sich dann allerdings eher in beharrlicher Obstruktionspolitik etwa von Bürgerinitiativen. Derzeit kann man das bei einem der größten Bauvorhaben von Paris beobachten, der Umgestaltung der ehemaligen Markthallen Les Halles. Bemerkenswert in Frankreich ist aber auch, dass sich anfänglicher Protest häufig nach Fertigstellung des Bauwerks in Wohlgefallen auflöst. Diesen Sinneswandel kann man nirgends besser festmachen als am Viadukt von Millau. 20 Jahre lang zogen sich die Proteste gegen die Autobahnbrücke über das Tarn-Tal hin. 2004 wurde die weltweit längste Schrägseilbrücke schließlich in Betrieb genommen - knapp 2,5 Kilometer lang und mit Pfeilern höher als der Eiffelturm. Heute ist das Viadukt zur Attraktion geworden, den Protest von damals belächeln viele.

(kläs)

Damm im Saemangeum Wattenmeer

Quelle: dpa

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Südkorea: Beim Kohl endet die Geduld

Der Kohl wird knapp. Innerhalb von sechs Wochen hat sich der Preis verfünffacht. Die Opposition schimpft, das sogenannte Vier-Flüsse-Projekt sei schuld. Das Neun-Milliarden-Euro-Unterfangen hat schon 105 Quadratkilometer landwirtschaftlicher Fläche zerstört. Präsident Lee Myung-bak spricht von einer Restaurierung der wichtigsten Flüsse. Doch Kohl kostet nun mehr als Schweinefleisch. Aus Kohl macht man Kimchi, ein rohes Sauerkraut, das die Koreaner zu jeder Mahlzeit essen. Ohne Kimchi können sie nicht leben, für Kimchi würden sie auf die Straße gehen. Für die Regierung dienen die Staudämme dem Umweltschutz. Doch das hat ein Gutachten widerlegt, hinter das sich 2000 Professoren gestellt haben. Doch weil das Projekt bis zum Ende der Amtszeit des Präsidenten 2012 fertig werden soll, peitschte Lee die Bauarbeiten voran, bevor die Gutachten erstellt waren. Nun ist das Mega-Projekt zu einem Drittel fertig. Dabei fangen die Gerichte erst an, die 9300 Klagen zu behandeln. Die Anwälte sagen, die Demokratie und der Rechtsstaat stünden auf dem Spiel. Sogar die Gewerkschaften rufen zum Widerstand auf. Aber wirksamer als alles andere wird der Kimchi-Preis sein.

(nh.)

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Quelle: AFP

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Brasilien: Trotz aller Liebe

Für Präsident Lula da Silva sind große Bauprojekte ein entscheidender Antrieb für Brasiliens Aufstieg zur Wirtschaftsmacht. Daher unterschrieb er Ende August den Konzessionsvertrag für das Megaprojekt namens Belo Monte. Das Wasserkraftwerk im Amazonasgebiet soll ab 2015 mehr als elf Gigawatt liefern, elf Milliarden Dollar wird das Monstrum voraussichtlich kosten. Doch Lula und seine vermutliche Nachfolgerin Dilma Rousseff treffen auf einen Widerstand, der noch unangenehm werden kann. Nicht nur Umweltschützer sind entsetzt von dem Riesenbauwerk im bedeutendsten Naturraum der Erde. Auch Ureinwohner an dem Fluss lehnen den Vorstoß ab. 12.000 Menschen müssten umgesiedelt werden. Sie finden prominente Unterstützung, zum Beispiel Sänger Sting, den österreichischen Bischof Erwin Kräutler und Regisseur James Cameron. Verhindert werden kann der Baubeginn von Belo Monte zwar kaum mehr, dafür hat es Lula bereits zu weit vorangetrieben. Aber von der Opposition aus Ortsansässigen und internationalen Sympathisanten wird noch zu hören sein, wenn die Maschinen anrücken.

 (pb)

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Quelle: AP

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USA: Geld entscheidet

In den USA entstehen Konflikte um Großprojekte, wenn mächtige Investoren in gewachsene Viertel eingreifen und versuchen, die Politik für sich zu instrumentalisieren. Meist werden sie mit Geld gelöst. Ein typischer Fall ist das Projekt Atlantic Yards in Brooklyn. Hier sollen auf einem ehemaligen Bahngelände eine neue Arena für das Basketball-Team der Nets und Tausende neue Wohnungen entstehen. Der Eigentümer der Nets brachte Bürgermeister Michael Bloomberg und den Stadtrat hinter sich. Auf der anderen Seite standen die Anwohner. Aus Angst um ihre gewachsene Wohnidylle organisierten sich in Bürgerinitiativen und klagten. Viele der Bedenken bestätigten sich in der Wirtschaftskrise. Investor Bruce Ratner aus Ohio geriet in Geldschwierigkeiten und musste die Kosten drastisch senken. Als ein Gericht jedoch entschied, dass das Enteignungsverfahren rechtens sei, gab auch der letzte Protestierer auf. Nach sieben Jahren erbitterten Streits begannen die Bauarbeiten am 1. März 2010.

(N.P.)

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Quelle: AFP

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Schweden: Bloß nicht aufmucken

Die neue Umgehungsstraße im Westen Stockholms soll 21 Kilometer lang werden, sechsspurig und voraussichtlich wird sie umgerechnet fast drei Milliarden Euro kosten. Natürlich gibt es Proteste - doch besonders laut sind sie nicht. Dabei ist die Straße nicht nur teuer. Eine Ausfahrt soll direkt hinter dem Park von Schloss Drottningholm entstehen, das zum Weltkulturerbe gehört. Mårten Wallberg kämpft seit den 1990er Jahren gegen die Straße. "Die Sache ist noch nicht entschieden", meint er. Sein Naturschutzverband will weiter mit Pressemitteilungen und Infoblättern "um die öffentliche Meinung ringen". Großdemonstrationen sind nicht geplant. Das ist typisch für Schweden: Auseinandersetzungen spielen sich nahezu geräuschlos ab, in Tageszeitungen, an Infoständen und in Gerichtsverfahren. Grund für diese Ruhe ist das große Vertrauen in ihre Obrigkeit. Das sieht auch Wallberg so und man bekommt den Eindruck, dass er es auch ganz gut findet. Dann sagt er aber: "Manchmal denke ich schon, dass die Schweden etwas kritischer sein könnten. Wenigstens ein bisschen." (ghe)

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Quelle: AP

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Spanien: Der Kampf um des Wassers Fluss

Mit der Protestkultur gegen die Umweltzerstörung und Großprojekte, so lautet das Klischee, ist es in Spanien nicht allzu weit her. Und auf den ersten Blick stimmt es ja auch. Selbst der Unmut gegen einen Tunnel für den Hochgeschwindigkeitszug in Barcelona war vergleichsweise kleinlaut. Doch es gibt auch ganz andere Beispiele, bei denen Protest Großvorhaben teilweise sogar gestoppt hat. Vor allem die Schlachten rund um ein in Spanien immer knapperes Gut namens Wasser haben Massen mobilisiert, sagt Ladislao Martínez vom Vorstand von Attac Spanien. Zum Beispiel wenn es darum ging, Stauprojekte abzuwenden, die Naturschutzgebiete bedrohten. Die größten Demonstrationen rief der Kampf um den Ebro-Fluss hervor. Die konservative PP verfolgte bis 2004 den Plan, den Fluss um Hunderte Kilometer umzubetten, um das Wasser aus dem Nordosten in den versteppenden Süden umzuleiten. Zehntausende gingen bei Demonstrationen dafür und dagegen auf die Straßen, der irrwitzig anmutende Plan wurde nach dem Regierungswechsel fallen gelassen.

 (jc)

© sueddeutsche.de
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