Whistleblower Edward Snowden:Allein gegen die Supermacht

"Dann ist man bereit, jedes Risiko zu tragen": In einem Video erklärt Whistleblower Snowden die Motive für seine Enthüllungen über die Praktiken des US-Geheimdienstes NSA. Im Netz und bei Menschenrechtsgruppen wird er dafür als Held gefeiert. Jetzt hofft der ehemalige Techniker darauf, dass ihn Hongkong nicht ausliefert. Doch das ist ein riskantes Unterfangen.

Von Hannah Beitzer und Oliver Klasen

Es ist ein ziemlich bequemes und privilegiertes Leben, das Edward Snowden aufgibt. "Einen Haufen Geld" habe er verdient, erzählt der 29-Jährige, der hinter den aufsehenerregenden Enthüllungen über die Internet-Überwachung durch den US-Militärgeheimdienst NSA steckt. 200.000 Dollar soll er im Jahr verdient haben und glücklich mit seiner Freundin auf Hawaii gelebt haben. Nun sagt er, dass er nicht mehr damit rechnet, seine Freundin und seine Familie wiederzusehen.

In einem zwölfminütigen Video, das sich seit seiner Veröffentlichung in rasender Geschwindigkeit im Netz verbreitet, erklärt Snowden, der sich gerade in einem Hotel in Hongkong aufhält, seine Motive. Er vermeidet dabei konsequent das Wörtchen "Ich" und stellt dem Publikum so die Frage: Wie würden Sie handeln, wenn Sie Zugang zu brisanten Informationen hätten?

Informationen wie die, zu denen Snowden Zugang hatte. Selbst wer nicht gegen Gesetze verstoße, könne überwacht werden, sagt der Techniker, der in den vergangenen vier Jahren als externer Dienstleister bei verschiedenen Firmen im Auftrag der NSA arbeitete. Die Möglichkeiten der Überwachung erweiterten sich im Zuge des technischen Fortschritts enorm. Für die Zukunft befürchtet Snowden deshalb Schlimmes: "Du musst überhaupt nichts falsch gemacht haben, du musst nur irgendwie in Verdacht geraten." Dann könne die Regierung alles über einen erfahren, E-Mails, Telefonate, persönliche Kontakte. Für Snowden ein unerträglicher Zustand, über den er nun die Öffentlichkeit informiert hat.

"Ich will nicht in einer Gesellschaft leben, die so etwas macht. Eine Gesellschaft, in der alles, was ich mache und sage, aufgenommen wird", sagt Snowden. Am Sonntagabend enthüllte die britische Zeitung Guardian Snowdens Identität - offenbar auf dessen ausdrücklichen Wunsch. "Sie haben keine Ahnung, was alles möglich ist", sagt er über die Spionage-Möglichkeiten der NSA-Systeme, mit denen in großem Stil Daten bei Internet-Diensten wie Google, Facebook, Microsoft, Apple und Yahoo gesammelt werden.

Ein ungutes Gefühl, das zunahm

Die Regierung räumt zwar die Existenz des Überwachungsprogramms namens Prism ein, weist jedoch Kritik an ihren Überwachungsmethoden zurück. Prism sei nur "ein internes Computersystem der Regierung", sagt Geheimdienstkoordinator James Clapper. Es sei vom Kongress abgesegnet, diene lediglich dazu, das gesetzlich erlaubte Sammeln von Informationen bei der Auslandsaufklärung zu unterstützen und richte sich nicht gegen US-Bürger.

In seinem Hongkonger Hotelzimmer spricht Snowden über ein ungutes Gefühl, dass bei seiner Arbeit zunahm: "Wenn man bereit ist, unfrei, aber bequem zu leben - und ich denke, das viele von uns bereit dazu sind, das ist menschlich -, dann kann man jeden Tag aufstehen, zur Arbeit gehen und für relativ wenig Aufwand einen ordentlichen Gehaltsscheck bekommen." Dann handle man zwar gegen das öffentliche Interesse - aber man könne durchaus jeden Abend bequem ins Bett gehen, nachdem man noch ein bisschen ferngesehen hat.

Er habe aber, so erklärt sich der 29-Jährige, irgendwann erkannt, dass man daran beteiligt sei, die Architektur der Unterdrückung auszubauen: "Dann merkt man, dass man bereit ist, jedes Risiko zu tragen, ganz egal, was dabei herauskommt, solange die Öffentlichkeit selbst entscheiden darf."

Dass Snowden sich gegen die US-Regierung stellen würde, war vor einigen Jahren noch nicht absehbar. Im Jahr 2003, nach einem nicht abgeschlossenen Informatik-Studium, meldete er sich sogar freiwillig für den Irakkrieg, wie der Guardian schreibt: "Ich wollte im Irak kämpfen, weil ich glaubte, dass ich als Mensch die Pflicht hatte, andere von Unterdrückung zu befreien", sagt Snowden im Interview mit der Zeitung. Nach seiner Rückkehr trat er einen Job beim CIA an, wo er für die Computersicherheit zuständig war und aufgrund seines Talents relativ schnell aufstieg. Der Auslandsgeheimdienst entsandte Snowden im Jahr 2007 nach Genf. Dort hatte er Zugang zu einer Fülle von geheimen Daten und es kamen ihm zum ersten Mal Zweifel an der Rechtmäßigkeit seiner Arbeit: "Ich erkannte, dass ich Teil von etwas geworden war, dass viel mehr Schaden anrichtete als Nutzen brachte."

Für viele ist Snowden ein Held

Schon damals dachte er nach eigenen Angaben darüber nach, Geheimnisse zu enthüllen, doch die Wahl Obamas zum Präsidenten im November 2008 ließ ihn zunächst hoffen, dass Reformen angegangen und fragwürdige Praktiken abgeschafft würden. Doch diese Hoffnung erfüllte sich nicht, und als Snowden die CIA kurz darauf verließ und in den folgenden Jahren für verschiedene private Dienstleister im Namen der NSA tätig war, sei in ihm immer stärker die Haltung herangereift, dass er nicht warten könne. Er musste handeln - und die Praktiken der Geheimdienste offenlegen.

Für viele Menschen ist Edward Snowden deshalb ein Held. Sie verbreiten das Video, auf dem Snowden seine Motivation darlegt, im Netz. Die Stichworte "Hongkong", "NSA" und "Edward Snowden" stehen in den weltweiten Twitter-Trends weit oben.

"Dieser junge Mann hat mehr Mut als jeder andere, den ich kenne", sagt auch Russell Tice, ein ehemaliger NSA-Mitarbeiter, der bereits vor Jahren heftige Kritik an dem Militärnachrichtendienst geübt hatte, weil dieser seine Kompetenzen überschreite.

Auch von Menschenrechtsaktivisten bekommt der junge Mann Zuspruch: "Das ist eine der bedeutensten Enthüllungen in der Geschichte der USA", sagt Jesselyn Radack, eine ehemalige Mitarbeiterin im US-Justizministerium, die sich jetzt für Whistleblower einsetzt.

US-Republikaner fordern "Strafverfolgung mit der vollen Härte des Gesetzes"

Das Weiße Haus äußert sich bisher nicht direkt zu Snowden. Doch in Washington werden erste Rufe nach einer Auslieferung laut. Der Republikaner Peter King, Mitglied im Geheimdienstausschuss des Abgeordnetenhauses, fordert erste Schritte für eine Überstellung in die USA. Er rief außerdem zu einer "Strafverfolgung mit der vollen Härte des Gesetzes" auf, sollten die anlaufenden Ermittlungen Snowden als Informanten bestätigen.

Bisher aber ist Snowden noch in Hongkong. Er habe die Stadt ausgesucht, weil sie "eine lange Tradition der freien Rede" habe, sagte der 29-Jährige dem Guardian. So werde zum Beispiel das Internet nicht gefiltert, es gebe ein Recht auf politischen Widerstand, Demonstrationen auf der Straße seien erlaubt. Außerdem glaube er, dass Hongkong einer der wenigen Orte auf der Welt sei, die in der Lage und willens seien, der US-Regierung und ihren Forderungen zu widerstehen. "Ich glaube, dass die Regierung von Hongkong unabhängig ist, im Gegensatz zu vielen westlichen Regierungen", so Snowden.

Seine Hoffnung sei, dass ihn Hongkong nicht ausliefern werde. Nach Einschätzung des Guardian ist das allerdings eine riskante Strategie. Hongkong, das im Jahr 1997 aus britischer Souveränität entlassen wurde und seitdem ein halbautonomes Territorium Chinas ist, hat nämlich ein Auslieferungsabkommen mit den USA geschlossen. Dieses sieht vor, dass beide Parteien jeweils Personen überführen, die wegen krimineller Vergehen in dem jeweils anderen Land gesucht werden. In Fällen politischer Delikte gibt es allerdings die Möglichkeit, eine Auslieferung zu verweigern. Snowden hofft wohl, dass die Verwaltung in Hongkong in seinem Fall genau von dieser Regelung Gebrauch macht.

China kann ein Veto gegen die Auslieferung einlegen

Zusätzlich sei es denkbar, dass die chinesische Regierung ein Veto gegen eine Auslieferung aus Hongkong einlegt, weil die "Verteidigung des Landes" oder "grundlegende öffentliche Interessen" dem entgegenstehen. "Es würde mich sehr überraschen, wenn Peking in diesem Fall intervenieren würde, gerade weil Chinas Interessen nicht direkt berührt sind", sagt zum Beispiel Nicholas Beleguin von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch.

Kritiker wie James Fallows von der Zeitschrift The Atlantic weisen auch darauf hin, dass Hongkong kein souveräner Staat sei, sondern Teil der Volksrepublik China. Nach den demokratischen Standards von freier Rede und Pressefreiheit, von denen Snowden spreche, schneide die Regierung in Peking keinesfalls besser ab als die USA. Der Überwachungsstaat werde dort noch viel exzessiver praktiziert als von den Geheimdiensten der USA.

In dem Guardian-Interview soll allerdings auch noch von einem anderen Zufluchtsort die Rede sein. Demnach beabsichtigt Snowden, in Island Asyl zu beantragen, weil dieses Land die Internetfreiheit achte und die gleichen Werte vertrete wie er selbst. Das Problem: Ein Asylantrag von Hongkong aus ist nicht möglich. Ein Verfahren könne nur im Land selbst eingeleitet werden, sagte die isländische Botschafterin in Peking, Kristín Árnadóttir, der Zeitung South China Morning Post.

Snowden legt Wert darauf, dass er mit seinen Enthüllungen nicht in erster Linie der amerikanischen Regierung schaden wolle. In diesem Fall, so argumentiert er im Video, hätte er andere Informationen veröffentlicht: Daten von Geheimdienstmitarbeitern, geheime Operationen und ihre Standorte, die Namen von verdeckt agierenden Agenten. Er sagt: "Wenn ich nur den USA hätte schaden wollen, hätte ich den ganzen Überwachungsapparat lahmlegen können."

Doch das sei nicht sein Ziel. Die Öffentlichkeit müsse entscheiden, ob sie das aufgedeckte Maß an Überwachung tolerieren wolle. Auf die Frage, was seine größte Angst sei, gibt Edward Snowden eine klare Antwort: dass sich nichts ändert.

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