Wetter:Egon der Ruppige

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Eiszeit, Stürme, Verkehrschaos: Was das turbulente Wetter in Mitteleuropa mit der Arktis zu tun hat.

Von Patrick Illinger

Temperaturunterschiede müssen ausgeglichen werden. So wollen es die Gesetze der Thermodynamik. Das gilt schon für die Kaffeetasse auf dem Schreibtisch: Die Differenz zur Raumtemperatur ist kein haltbarer Zustand. So ist das auch mit dem Wetter. Wenn die winterliche Arktis mangels Sonnenstrahlung besonders kalt ist, versucht die Atmosphäre mit aller Macht, das Temperaturgefälle zu wärmeren Gefilden auszugleichen. Meist geht das über Mitteleuropa recht glimpflich ab, weil die dort vorherrschende "Westlage" mit stabilen Tiefdruckwirbeln im Nordostatlantik für einen dauernden, wenig spektakulären Austausch der Luftmassen sorgt. Doch manchmal verläuft die Sache ruppig. So wie in diesen Tagen.

Die Menschen in Mitteleuropa erleben dann plötzlich polare Temperaturen wie am vergangenen Wochenende, gefolgt von einem Sturmtief wie Egon am Ende dieser Woche. Zwischendurch ist es - wie in Baden-Württemberg - vergleichsweise warm. Und für die kommenden Tage ist wieder klirrender Winter angesagt. Besonders Egon war das Bilderbuchbeispiel eines kräftigen, schnell wandernden Tiefdruckgebiets - ein Phänomen des turbulenten Austauschs zwischen dem Süden und der Arktis.

Vor allem den Norddeutschen haben Schnee und Wind am Freitag Glatteisunfälle und Verkehrsprobleme beschert. In einigen Landkreisen und Städten konnten sich die Schüler über einen freien Tag freuen. Mehrere Menschen, vor allem in Schleswig-Holstein, wurden bei Unfällen verletzt. In manchen Landkreisen krachte es innerhalb kurzer Zeit Dutzende Male. Auch in Nordbayern blieben Schulbusse auf der Strecke. Auf einigen Autobahnen waren Anschlussstellen durch querstehende Lastwagen blockiert. "Im Schüttorfer Kreuz ging in den frühen Morgenstunden gar nichts mehr", sagte ein Polizeisprecher.

Doch insgesamt blieb Egon gnädig. Ein oder zwei Grad weniger, und es hätte weit schlimmer werden können, sagen Meteorologen. Dass Fernzüge zeitweise nicht schneller als 200 km/h fahren durften, wird manche Reisende geärgert haben. Gleichzeitig relativiert eine solche Meldung das Ausmaß der Katastrophe.

Bedeutenden Einfluss auf das Gesamtgeschehen hat in diesen Tagen der sogenannte Jetstream. Das ist ein zusammenhängendes Band aus Höhenwinden, das sich etwa fünf Kilometer über dem Erdboden um die nördliche Erdhalbkugel schlängelt. Der Jetstream wirkt wie ein Wall, der südliche Regionen vom kalten Polar abschottet. Doch diese Höhenwinde sind nicht stabil wie ein Gürtel, sondern winden sich in wechselnden Bögen wie eine Schlange. Manchmal bricht eine der Windungen nach Süden aus und macht Platz für polare Kaltluft. So war das am vergangenen Wochenende über der Ägäis. Es brachte Kaltluft nicht nur nach Deutschland, sondern Schnee bis in die Türkei.

Ein ähnliches Phänomen erwarten die Wetterforscher in den kommenden Tagen. Ein erneutes Ausschlagen des Jetstreams wird Polarluft über dem zentralen Mittelmeer kreisen lassen. Nicht nur in Deutschland wird es wieder kalt: Von Korsika bis Sizilien müssen die Bewohner mit Schnee rechnen.

© SZ vom 14.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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