Westliche Haltung zu Syrien-Krieg:Zwischen Vorsicht und Fatalismus

Barack Obama

 US-Präsident Barack Obama

(Foto: AP)

Einigkeit sieht anders aus: Während Obama zögert und bessere Belege für den Giftgas-Einsatz des Assad-Regimes fordert, drängen Briten und Franzosen darauf, die Aufständischen in Syrien zu bewaffnen. Deutschland hat sich ebenso festgelegt wie Russland und China. Am Ende fällt die wichtigste Entscheidung an einem einzigen Ort.

Von Matthias Kolb

Großes Rätselraten, kaum Gewissheiten: Noch immer ist unklar, was es mit dem möglichen Chemiewaffeneinsatz in Syrien auf sich hat. Mehrere westliche Geheimdienste, vor allem Briten, Israelis und Franzosen, zeigen sich überzeugt, dass das Assad-Regime tödliche Kampfstoffe wie das Nervengift Sarin gegen die eigene Bevölkerung verwendet habe.

Doch je länger diese Einschätzung bekannt ist, desto verwirrender erscheint die Lage: UN-Ermittlerin Carla del Ponte sorgte mit der Einschätzung für Aufsehen, dass es womöglich die Aufständischen gewesen seien, die Sarin eingesetzt hätten. Del Ponte stützte ihre Vermutung auf Interviews mit syrischen Flüchtlingen - und wurde nur wenig später öffentlich von den Vereinten Nationen korrigiert. Gewissheit könnte nur eine Untersuchung vor Ort liefern, doch das Regime von Assad weigert sich, unabhängige Inspektoren ins Land zu lassen.

In Washington erklärt Regierungssprecher Jay Carney, man halte es weiterhin für "sehr wahrscheinlich", dass nur die syrische Regierungstruppen C-Waffen verwendeten. Ob diese jüngsten Entwicklungen und die israelischen Luftschläge auf syrischem Gebiet die Gedanken seines Chefs rund um die "rote Linie" und das mögliche Eingreifen der USA in den seit 2011 andauernden Bürgerkrieg beeinflussen, verrät Carney nicht.

Obama hat wenig zu gewinnen

Womöglich sieht der Ultra-Rationalist Obama das Durcheinander aus Forderungen, Spekulationen, Relativierungen und Dementis als Beleg für sein Zögern. Obamas Furcht, sich zu früh und dadurch falsch zu entscheiden, ist ebenso offensichtlich wie der Unwillen, dass die USA in einen weiteren Konflikt hineingezogen werden - das nächste teure nation building soll in Amerika selbst geschehen.

Ob der US-Präsident politisch etwas zu gewinnen hat? Trotz aller Debatten um Amerikas Niedergang wartet die Welt auf Zeichen aus dem Weißen Haus - und äußert Kritik, egal, wie dort entschieden wird. Solange Obama abwartet, wird ihm vorgeworfen, dass ihm der Tod zehntausender Araber nichts bedeute oder seine Außenpolitik nur auf Wunschdenken basiere, wie jüngst der Economist urteilte. Wenn die USA nun aber dazu übergehen, die Rebellen zu bewaffnen oder mit ihrer Luftwaffe Stellungen des Assad-Regimes zu bombardieren, würden der Bruch des Völkerrechts - eine UN-Resolution erscheint derzeit unmöglich - sowie die Militarisierung der Außenpolitik beklagt.

70.000 Tote

Die Skepsis von Obama und dessen Beratern basiert auf der Sorge vor unzureichenden Geheimdienst-Informationen über den Einsatz chemischer Waffen. Die Glaubwürdigkeit Amerikas im Rest der Welt zu stärken ist eines der wichtigsten Ziele des 44. US-Präsidenten - und ein weiterer Militäreinsatz in Nahost basierend auf falschem Material wäre in dieser Hinsicht fatal.

Dass diese Glaubwürdigkeit als selbst empfundener "Anführer der freien Welt" angesichts von mehr als 70.000 Toten enorm leidet, illustriert Obamas Dilemma. 2009 hatte er in seiner Dankesrede für den Friedensnobelpreis noch argumentiert, dass der Einsatz von militärischer Gewalt zur Bekämpfung des "Bösen in der Welt" oftmals nötig sei. Was ihm damals Kritik einbrachte, wird heute als leeres Versprechen gedeutet.

Die Verantwortung, zu schützen

Andere Akteure haben sich in ihrer Haltung festgelegt: Russland und China stützen weiterhin das Regime in Damaskus, während Frankreich und Großbritannien das Waffenembargo der EU gegen Syrien, das Ende Mai ausläuft, nicht verlängern und die Aufständischen stärker aufrüsten wollen. Die EU ruft durch die Außenbeauftragte Catherine Ashton alle Seiten - inklusive Israel - zur Mäßigung auf und Außenminister Westerwelle lehnt Waffenlieferungen an die Rebellen ab, da es fraglich sei, dass durch "mehr Waffen weniger Menschen" sterben würden.

Bei den Überlegungen zu einem aktiven internationalen Engagement in Syrien kommt auch die jeweilige Haltung zum Prinzip der humanitären Schutzverantwortung (responsibility to protect; R2P) hinzu. Diese Norm entstand in Reaktion auf die Kriege in Bosnien und Ruanda - und die Untätigkeit der übrigen Welt. Der Libyen-Einsatz 2011 wurde mit R2P begründet, doch mittlerweile sind nicht nur Russland und China, sondern auch Schwellenänder wie Brasilien äußerst skeptisch, was das Konzept angeht: Ohne eine Zustimmung der UN und eine "penible Prüfung der Durchführbarkeit" und zu erwartenden Resultate seien Interventionen nicht zu unterstützen.

Angst vor verspielter Glaubwürdigkeit

Bislang vermeidet Barack Obama klare Aussagen - doch er wird sich in den nächsten Wochen entscheiden müssen: Neben den täglichen Meldungen über die Gewalt in Afghanistan und die Diskussion um das EU-Waffenembargo wächst der politische Druck auch aus dem eigenen politischen Lager und dem diplomatischen Korps.

Robert Menendez, Demokrat aus New Jersey und Chef des außenpolitischen Ausschusses des US-Senats, wird bald ein Gesetz einbringen, das die Bewaffnung der Rebellen fordert. Der Vorstoß dürfte die Unterstützung von Falken wie John McCain und Lindsay Graham erhalten, die seit Monaten ein Eingreifen fordern, allerdings ohne Bodentruppen. Im Repräsentantenhaus arbeitet Eliot Engel, ebenfalls Demokrat, an einem ähnlichen Vorschlag.

Auch Robert Ford, US-Botschafter in Syrien, hält ein stärkeres Engagement für dringend geboten. In einer schriftlichen Zeugenaussage vor dem Kongress sagte er, dass das Assad-Regime "eine Umgebung geschaffen habe, in der der Extremismus wachse" und dass dem Terrornetzwerk al-Qaida nahestehenden Gruppen dies zu ihrem Vorteil ausnütze.

Amerika, so Diplomat Ford, müsse sich hier einschalten, um jene zu unterstützen, die sich "für Freiheit und Toleranz einsetzen". Dass sich bereits 2012 Hillary Clinton und der damalige CIA-Chef David Petraeus vergeblich für Waffenlieferungen an die Rebellen ausgesprochen haben, wird Obama noch als verpasste Gelegenheit vorgehalten.

Auch in den US-Medien wird Obamas Zögern immer kritischer gesehen. In einer viel beachteten New York Times-Kolumne argumentierte Bill Keller, der zu Zeiten des Irak-Krieges Chefredakteur der Zeitung war, dass sich die US-Regierung bei ihrer Lageanalyse nicht zu stark von dem Irak-Desaster leiten lassen sollte.

Er fürchte, dass "Vorsicht zu Fatalismus" werden könnte und Amerika so die Tragödie vergrößern, Gelegenheiten verpassen und die eigene Glaubwürdigkeit verspielen könnte. Keller verweist darauf, dass die USA gar keine Soldaten entsenden müssten (boots on the ground), um die Lage in Syrien zu verbessern und wieder Führungsstärke zu zeigen.

Die Mehrheit will keinen Syrien-Einsatz

Die Mehrheit der kriegsmüden Amerikaner scheint dies nicht zu interessieren. Die Aussicht auf ein weiteres militärisches Abenteuer schreckt viele ab. Auch die Strategen im Weißen Haus kennen die aktuellen Umfragen, wonach eine Mehrheit den Irak-Einsatz rückblickend als Fehler ansieht und nur ein Viertel der Befragten der Meinung sind, die USA seien "verpflichtet", den Kämpfen in Syrien etwas entgegenzusetzen.

Eines scheint sicher: Das innenpolitische Ziel, 2014 die Mehrheit im Senat für die Demokraten zu behalten und den Republikanern die Mehrheit im Repräsentantenhaus abzunehmen, würde durch ein stärkeres Engagement in Syrien sicher nicht leichter zu erreichen.

Linktipp: Eine sehr kritische Auseinandersetzung mit dem Meinungsstück von Bill Keller zu einem möglichen Engagement in Syrien hat Greg Mitchell vom Magazin The Nation in seinem Medien-Blog veröffentlicht.

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