Westerwelle vertritt Merkel:Aus dem Leben eines Eintagskanzlers

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"Hauptsache, es läuft gut": Für FDP-Chef Guido Westerwelle durfte in Abwesenheit der Bundeskanzlerin die Kabinettssitzung leiten. Viel zu entscheiden gab es nicht, aber er konnte zu den Hauptstadtjournalisten reden. Und die wissen: Der Eintagskanzler hat übermenschliche Verantwortung gespürt.

Thorsten Denkler, Berlin

Das erste Gelächter gibt es bereits, als Werner Gößling, der Leiter der Bundespressekonferenz, den Anlass der Veranstaltung vorträgt. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) ist da, der Reservekanzler, und soll über Ergebnisse der Kabinettssitzung und aktuelle Themen referieren.

Er ist mit sich zufrieden: Guido Westerwelle lächelt bei seinem Auftritt vor der Bundespressekonferenz. Erstmals hatte der Vizekanzler an diesem Mittwoch die Kanzlerin vertreten und eine Kabinettssitzung geleitet. (Foto: APN)

Die Kabinettssitzung am Morgen mitten im Sommerloch muss von erstaunlicher Kürze gewesen sein. Die Lateinamerikakonzeption der Bundesregierung sowie der Führerschein mit 17 standen auf der Tagesordnung. Und das war auch schon das Berichtenswerteste.

Aber schließlich durfte Westerwelle - als Außenminister in Ausübung der Amtsgeschäfte - statt der Bundeskanzlerin die Kabinettssitzung leiten. Angela Merkel weilt im Urlaub, was den FDP-Vorsitzenden Westerwelle offenbar in eine gewisse Hochstimmung versetzt hat, die er so aber natürlich nie zeigen würde.

Ein Tag Bundeskanzler - mehr kann Westerwelle in seinem politischen Leben kaum noch erreichen. Ein Karrierehöhepunkt.

Als ein Journalist ihn endlich darauf anspricht, wie es denn so war, auf dem Platz der Kanzlerin sitzen zu dürfen, da lächelt er erst mal wie ein kleiner Junge, der gerade zum ersten Mal mit einem Flugzeug geflogen ist. Dann aber reißt sich Westerwelle schnell zusammen und versucht es mit vorgetäuschter Zurückhaltung: "Das einzig Neue für mich ist, das ich sage Ihnen ganz ehrlich, man empfindet das als große Ehre, dass man dem Land dienen darf."

Kleiner geht es bei Westerwelle nicht. So klingt es auch bei Christian Wulff. Oder es klang so bei Horst Köhler.

Später holt der Eintagskanzler etwas weiter aus und versucht sich eine persönliche Note zu geben. "Wenn Sie nach langen Jahren der Opposition in der Regierungsverantwortung sind, dann freuen Sie sich darauf, sie zu bekommen. Wenn Sie sie dann haben, dann spüren Sie ein Maß von Verantwortung, und zwar Tag und Nacht, wie sich das nur wenige ausmalen können."

Das klingt, als wundere sich der kleine Guido manchmal, dass er jetzt als Weltstaatsmann eine Weltstaatsmannverantwortung zu tragen hat. Gut möglich, dass mancher ihn jetzt sehr gerne von dieser Last befreien würde.

Lieblingsthema Abrüstung

Bei Westerwelle hat alles "große" oder wenigstens "enorme" Bedeutung. Das gilt für die Abrüstung (nicht von geringerer Bedeutung wie der Klimaschutz), für die Einordnung des Afghanistan-Einsatzes als "bewaffneten Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts" (eine bedeutende Erklärung) sowie selbstredend für das Lateinamerikakonzept der Bundesregierung (große politische und strategische Bedeutung der Region). Und natürlich kümmert er sich immer "sehr persönlich" um die Dinge.

Das Thema Abrüstung hat Westerwelle von Beginn an als wesentlichen Bestandteil seiner Agenda definiert. Manche munkeln, weil das wohl das einzige außenpolitische Feld sei, auf dem Merkel ihrem Vizekanzler freie Hand lässt. Alles andere ist Sache der Chefin. Gott sei Dank, wie manch ein Ministerieller im Auswärtigen Amt lästert, der sich mit Westerwelles wenig ausgeprägtem Sinn für Details konfrontiert sah.

Guidomobile im Test
:"Mächtig in Fahrt"

Alle kennen das Guidomobil aus dem Wahlkampf 2002, doch der FDP-Chef ist noch mit anderen Fortbewegungsmitteln unterwegs. Ein Auszug aus der satirischen Westerwelle-Biographie in Bildern.

Wer ihm unbefangen zuhört, wenn er über Abrüstungspolitik spricht, der muss den Eindruck gewinnen, dass eigentlich Westerwelle der Erfinder der nuklearen Abrüstung ist. "Wir haben es geschafft, dass die Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag erfolgreich abgeschlossen werden konnte", sagt er. Und lässt offen, ob er mit "wir" sich selbst, das Auswärtige Amt, die Bundesregierung oder möglicherweise doch die weltumspannende Staatengemeinschaft meint.

Premiere für Guido Westerwelle: Weil Kanzlerin Angela Merkel im Sommerurlaub ist, leitete der Außenminister an diesem Mittwoch die Kabinettssitzung. Mit der Glocke werden die Sitzungen eröffnet und geschlossen. (Foto: Reuters)

Vor fünf Jahren sei die Konferenz noch ergebnislos gescheitert, erklärt Westerwelle. Mit anderen Worten: Seit in Deutschland Schwarz-Gelb regiert, klappt's auch mit der weltweiten Abrüstung.

Ach ja, und dann ist da ja auch noch das weite Feld der Innenpolitik, zu dem Westerwelle vielleicht als FDP-Chef das ein oder andere sagen möchte. Aber da gibt er den Mann fürs Grobe, oder wie er sagen würde, den für die "großen Linien". Hartz-IV-Sätze erhöhen? Das Lohnabstandgebot müsse gewahrt bleiben. Atomlaufzeiten verlängern? Wir brauchen Atomkraft als Brückentechnologie. Rentengarantie abschaffen? Praktisch stellt sich die Frage nicht.

Bitte, keine Details!

Antworten auf detaillierte Nachfragen spart er sich. Der Reserve-Kanzler erlaubt sich sogar die Blöße, auf eine Frage nach dem umstrittenen Marschbefehl des US-Generals David Petraeus für alle Isaf-Soldaten in Afghanistan, also auch für die deutschen ("Rammt eure Zähne in das Fleisch des Gegners"), den Eindruck zu erwecken, den Befehl gar nicht zu kennen. Er wisse ja nicht mal, ob die Worte so gefallen seien.

Dabei hatte am Montag noch ein Sprecher des Verteidigungsministers den Wortlaut des Befehls vor der Bundespressekonferenz wiedergegeben.

Aber wie gesagt, das sind halt alles Detail-Fragen, die bitte an den sehr geschätzten Herrn Bundesverteidigungsminister zu richten seien.

So umschifft Westerwelle kritische Frage für kritische Frage. Schlechte Umfragewerte, die hat es immer mal wieder gegeben, sollte man nicht so wichtig nehmen. Die Verantwortung für die desaströse Außenwirkung der FDP, die trägt ein Parteivorsitzender immer. Und das miserable Abschneiden der FDP bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen war ja gar nicht miserabel. Das sei dort das zweitbeste Ergebnis der Liberalen seit 30 Jahren gewesen.

Dieser Mann redet sich die Welt schön und lässt Hauptstadtjournalisten teilhaben. Und wie Westerwelle es macht, lässt die Befürchtung zu, dass er selbst daran glaubt. An einer Stelle lobt er sogar die Vorgängerregierung dafür, auch ihren Teil zum derzeitigen Wirtschaftswachstum und den erfreulichen Arbeitsmarktdaten beigetragen zu haben.

Diese Form der politischen Selbstlosigkeit soll wohl Selbstbewusstsein demonstrieren. "Sie sehen, wenn es dem Frieden dient, bin ich gerne bereit, dem Erfolg viele Mütter und Väter zuzugestehen" sagt er, lässt eine gekünstelte Pause folgen und setzt hinterher: "Hauptsache, es läuft gut." Dann grinst Westerwelle.

Spätestens da muss dem Eintagskanzler ein gewisser Realitätsverlust attestiert werden. Dann dass es für Schwarz-Gelb gerade gut läuft, kann nun nicht gerade behauptet werden. Aber was zählen schon Umfragen in dieser Situation!

Guido Westerwelle redet an diesem Mittwoch dort, wo sonst die Kanzlerin redet. Das zählt.

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