Wertestreit in der CDU:Schon lange nicht mehr konservativ

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Die Union streitet darüber, ob die Anerkennung der Kinderadoption durch homosexuelle Paare, nach Wehrpflicht und Atomkraft, eine weitere Preisgabe konservativer Positionen sei. Aber soll sich die Union im Gestern verbunkern?

Eine Analyse von Joachim Käppner

Zu Gerhard Schröders Lieblingspolemiken in seinen Kanzlerjahren gehörte der Begriff "die Konservativen". Das klang nach einer hinter Spitzengardinen verdorrenden Gesellschaftsschicht, in der die Frau am Herd steht und die Familie beim sonntäglichen Kirchgang misstrauisch auf den Istanbul-Grill an der Straßenecke schielt.

Heute aber ist zu hören, die Grünen und ihre Klientel seien die neuen Konservativen, siehe Baden-Württemberg, und auf einmal sind Konservative engagierte, für das Bewährte eintretende Bürger. Und hat nicht schon Franz Josef Strauß verkündet: Konservativ sei, wer an der Spitze des Fortschritts marschiert. Ganz offenkundig meint jeder etwas anderes damit.

Gegenentwurf zur Moderne

In der jetzigen Debatte ist mit "konservativ" das rechte Lager in der CDU gemeint, das sich ungeachtet seiner Schwindsucht als Herz und Seele der Partei versteht, wie es rechte Lager eben gerne tun. Die Union streitet darüber, ob die Anerkennung der Kinderadoption durch homosexuelle Paare, nach Wehrpflicht und Atomkraft, eine weitere Preisgabe konservativer Positionen sei. Bei dieser Debatte wird eines meist vergessen: Der deutsche Konservativismus ist lange schon tot.

Er starb nicht als Held unter den Guillotinen des Zeitgeistes. Er hat sich selbst umgebracht, weil er sich - bis auf tapfere Ausnahmen - den Nazis auslieferte, sich zu ihrem Pudel machte und 1945 mitunterging. Der konservative Geist in Deutschland, so vielfältig er war, verstand sich seit der Französischen Revolution als Gegenentwurf zur Moderne, zum Parlamentarismus, zur westlichen Welt.

Die Weimarer Republik bekämpfte er mit enormer Destruktivität, 1931 hieß es in einer typischen Kampfschrift der Deutschnationalen: "Autorität, Gottesgnadentum, Treue, Vaterlandsliebe, Achtung vor fremdem Hab und Gut wurden in die Rumpelkammer verwiesen - neue Götter wurden auf dem Throne erhoben: Demokratie, Nacktbewegung, Kameradschaftsehe, schrankenloser Libertinismus."

Ohne geistige Heimat und Mitte

Die Union ist daher nie eine konservative Partei gewesen, sondern etwas Neues, eine demokratische Volkspartei mit christlichen Wurzeln. Gewiss, die alten, mit den Jahren dahinschmelzenden sozialen Milieus der klassischen Konservativen fanden in der Union Unterschlupf, ohne sie je dominieren zu können. Bis heute haben CSU und CDU so die Etablierung einer rechtskonservativen Partei verhindert.

Im Kinder-Küche-Kirche-Lebensgefühl, im restaurativen Klima der Ära Adenauer war daher das Entscheidende leicht zu übersehen: Alles, was Konservativen eine Generation zuvor heilig gewesen war, hatte sich ins Gegenteil verkehrt. Die verpönte Demokratie? Galt als Beleg für die neue Salonfähigkeit der Deutschen. Der alte Ständestaat? Im Osten sprengten die Sowjets Schlösser der geflüchteten Ost-Elbier, im Westen predigte die soziale Marktwirtschaft Wohlstand für alle. Der angeblich wertelose Westen? Garantierte mit seinen Panzerdivisionen an der Zonengrenze die Freiheit der Bundesrepublik und prägte die Kultur der Jugend.

Der deutsche Konservative war seit 1945 ohne geistige Heimat und Mitte. Anders als die britischen Konservativen konnte er nur mit Scham an die eigene Geschichte denken. Was ihm blieb, war ein vages Unbehagen über die neuen Zeiten, was ihn prägt, ist eine eigentümliche Wehleidigkeit. Er sah Abendland und Nation innerlich erschlaffen und dem Kommunismus ausgeliefert - obwohl gerade die Gesellschaft der Bundesrepublik stets vor jeder kommunistischen Versuchung gefeit war.

Als dann die 68er aufbegehrten, galt jählings als konservativ, was eben noch fortschrittlich war: das Bekenntnis zur Bindung an den Westen, zum Bündnis mit Amerika, zur freiheitlichen Demokratie, zum Staatsbürger in Uniform. Als die Ostpolitik der sozial-liberalen Koalition ab 1970 Wandel durch Annäherung schaffte, waren Konservative einmal mehr im Abseits. Sie beanspruchten den Patriotismus für sich und hatten doch nichts zu bieten als weltfremdes Wettern, das die Deutschen in Ost und West nur weiter auseinander trieb.

Und als Helmut Kohl und die Union 1982 an die Regierung kamen, verkündeten sie eine "geistig-moralische Wende" wider den linken Zeitgeist, die Verhetzung der Jugend in roten Gesamtschulen, angebliche deutsche Schuldbesessenheit und so fort. Mit der deutschen Einheit war all das nebulöse Geschwafel über die angeblich mangelnde patriotische Identität der Deutschen vergessen, und Wahlen, das verstand Kohl bei aller Rhetorik sehr gut, wurden in der Mitte gewonnen.

Heute herrscht in der Union Unklarheit

Zwei politische Sternstunden gab es, die Konservative gern für sich reklamieren: die Entscheidung, 1982/83 gegen den Druck einer Massenbewegung die atomare Nachrüstung der Nato auf deutschem Boden durchzusetzen. Aber das war nur die - gewiss mutige - Fortsetzung der Realpolitik des SPD-Kanzlers Helmut Schmidt. Und natürlich 1989/90 der entschlossene Kurs zur Wiedervereinigung - den eine SPD-Regierung vielleicht weniger zielsicher, aber doch ebenfalls eingeschlagen hätte. Die überwältigende Mehrheit der Deutschen wollte es so.

Heute herrscht in der Union Unklarheit, ob die zahlreichen Kurswechsel der Partei Verrat an wertkonservativen Prinzipien seien; nur weiß leider keiner so recht, was damit eigentlich gemeint ist. Es war doch nur vernünftig, die Wehrpflicht abzuschaffen, weil sie sich überlebt hatte. Und konnte eine so gefährliche Technologie wie die Atomkraft identitätsstiftend für eine christliche Partei sein, welche für die Bewahrung der Schöpfung eintritt? Gewiss wäre es gesinnungsstark, das neue Adoptionsrecht abzulehnen. Doch sollen sich CDU und CSU wie in der Reformära Willy Brandts trotzig im Gestern verbunkern? Der Niedergang der Union in den Großstädten zeigt: Sie wandelt sich nicht zu schnell, sondern noch immer zu langsam.

Konservativ sollte es sein, Lebensformen mit Kindern zu fördern

Der rechte Flügel hat weder klare politische Vorstellungen noch überzeugende Persönlichkeiten. Vielleicht gibt es ja deshalb keine konservativen Unionspolitiker von Bedeutung mehr wie Strauß, Dregger oder Koch, weil sich die Gesellschaft viel zu rasch gewandelt hat und sie heute nur noch wirken würden wie Ritter von der traurigen Gestalt. Ihren schmalbrüstigen Nachfolgern ist mit dem Sozialismus das Feindbild abhanden gekommen.

Sie lamentieren ersatzweise in Talkshows über den Zeitgeist, der unsere Kinder zwingen will, in der Kita Koransuren anzuhören, und halten noch ihre tölpelhaftesten Plattitüden für scharfsinnigen Einspruch gegen die "politische Korrektheit". Oder es spricht das letzte Aufgebot der Stahlhelmfraktion wie Erika Steinbach, die gern schwadroniert, Polen habe 1939 vor den Deutschen mobil gemacht - womit sie aber nicht gesagt haben wolle, dass sie damit etwas gesagt haben wolle. Das Konservative könnte eine attraktivere Zukunft haben.

Es müsste sich besinnen. Besinnen auf das Bewahrende, das es im Namen trägt, auf seine gesunde Skepsis gegenüber weltverbesserischen Ideologien, auch solchen der Gier und des globalen Geldes. Besinnen auf ethische Normen des Zusammenlebens: Konservativ zu sein, muss nicht bedeuten, Migranten mit Argwohn und Abwehr zu begegnen; es sollte aber bedeuten, sie auf die Werte unserer Gesellschaft zu verpflichten. Besinnen auf unsere Verantwortung in der freien Welt; statt obsoleten Modellen der Wehrverfassung nachzutrauern, gilt es zu verstehen, dass der Westen seine Werte als ultima ratio auch mit Gewalt verteidigen muss (daran gemessen, wäre die Regierung Merkel progressiv).

Konservativ sollte es sein, Lebensformen mit Kindern zu fördern und sich nicht das Maul zu zerreißen, wie diese Lebensformen auszusehen haben. Konservative sollten die Natur bewahren und global dafür eintreten, statt nur davon zu reden. Konservativ sein, das könnte im Guten bedeuten: einen konstruktiven Standpunkt zu haben statt einer guten alten Zeit nachzutrauern, die es niemals gab.

© SZ vom 02.03.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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