Weltordnung:Wehrhafte Werte

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Die Vereinten Nationen erleben eine schlimme Woche. Ausgerechnet während ihrer Generaldebatte wird ihnen gezeigt, wie ohnmächtig sie sind. Es ist an der Zeit, dass sich die Demokraten gegen die Autoritären verbünden.

Von Stefan Ulrich

Er wirkte oft wie ein Mann ohne Haltung. Leisetreterisch und - zumindest öffentlich - konsequent konfliktscheu agierte Ban Ki Moon in den vergangenen zehn Jahren als UN-Generalsekretär. Der General im Sekretär war fahnenflüchtig. Selbst bei schwierigsten Auftritten verbarg ein enigmatisches Lächeln das wahre Gesicht des höchsten Vertreters der Staatengemeinschaft. Als Ban diese Woche in New York die Generaldebatte der Vereinten Nationen eröffnete, wirkte er zunächst wie immer. Doch dann trauten die Präsidenten, Premiers und Minister ihren Sinnen nicht mehr: Ban fiel aus der Rolle.

"Blut an ihren Händen" hätten einige hier versammelte Regierungen, sagte er. Sie begingen Gräueltaten im Syrien-Krieg, am schlimmsten sei die Regierung in Damaskus. Auch in anderen Konflikten wie im Südsudan versagten die Führungseliten. "Es gibt eine erbärmliche Verrohung der Welt." Diplomatisch klingt anders.

Es muss Außergewöhnliches passiert sein, wenn Ban so wütet: Am Montag war ein Hilfskonvoi der UN und des Roten Halbmonds beschossen worden, viele Menschen starben. Dabei war der Konvoi mit Schutzzeichen markiert. Dreister hätten die Vereinten Nationen kaum verhöhnt werden können: Da wurde ihnen zum Höhepunkt des UN-Jahres, in der Woche der Generaldebatte, ihre Ohnmacht demonstriert.

Die Gemeinschaft der Staaten scheitert seit Jahren dabei, die Syrer zu retten. Jetzt zeigt sich, dass sie nicht einmal ihre eigenen Leute schützen kann. Dabei ist es der wichtigste Auftrag der UN, Frieden zu schaffen. In ihrem Hauptquartier in Manhattan steht die Skulptur eines Revolvers mit verknotetem Lauf. Doch wenn hier etwas verknotet ist, ist es der Völkerclub selbst. Seine Waffe, der Sicherheitsrat, ist blockiert. Und das, obwohl der Syrien-Krieg Hunderttausenden Menschen das Leben und Millionen die Heimat raubt, Nachbarländer destabilisiert, Hass zwischen Sunniten und Schiiten befeuert und, wegen der Flüchtlingskrise, die EU auseinandertreibt. Wann, wenn nicht hier, müssten die UN einschreiten?

Sie können es nicht. Russland und China nutzen ihre Vetorechte im Sicherheitsrat aus, um alles zu blockieren, was gegen ihre Interessen verstoßen könnte. Diese liegen aus Sicht ihrer Führungen darin, ihre Länder immer mächtiger zu machen. China zeigt im Konflikt im Südchinesischen Meer, wie offensiv es seine Souveränität heute definiert. Russland beweist durch seine neoimperialistische Politik in der Ukraine und seine Hilfe für Syriens Tyrannen Baschar al-Assad, dass es an Sowjetzeiten anknüpfen will. Der Westen tut sich schwer, darauf zu antworten. Er ist verunsichert, zerstritten und mit einer Führungsmacht geschlagen, in der ein Donald Trump Präsident werden könnte.

Ein Teil des Westens ist zudem mit daran schuld, wenn die UN als Friedenskraft ausfallen. Die USA und einige Verbündeten haben 2003 mit ihrem Irak-Krieg die UN düpiert und das Völkerrecht gebrochen. 2011 nutzten sie eine Resolution des Sicherheitsrats zum Schutz der libyschen Zivilbevölkerung aus, das Gaddafi-Regime wegzubomben. Auch das ist ein Grund, warum Russland und China im Sicherheitsrat nicht mehr kooperieren.

Das Vertrauen in der internationalen Politik schrumpft schneller, als es aufgebaut wird. Außer den Vereinten Nationen erodieren auch die Europäische Union und das Völkerrecht. Der Trend geht zurück in eine Zeit, da Staaten noch so souverän waren, dass sie sogar Angriffskriege führen durften. Es war keine gute Zeit. Nationalistische Exzesse, insbesondere Nazi-Deutschlands, verheerten halb Europa. Aus dieser Erfahrung heraus wurden die UN und die EU aufgebaut und das Völkerrecht gestärkt. Ist das heute vergessen?

Die Welt erlebt eine neue Blockkonfrontation. Sie ist komplizierter, als es der Kalte Krieg war. Diesmal verlaufen die Fronten durch Bündnisse wie die EU mit ihren Problemregierungen in Warschau und Budapest und durch einzelne Länder. Vereinfacht ausgedrückt, stehen hier die, die am Ideal offener Gesellschaften samt Demokratie und Rechtsstaat festhalten und Macht durch Regeln zähmen wollen. Dort sammeln sich Verfechter sich abschottender Völker und autoritäre Anführer, die Opposition als Verrat abtun. Da die Autoritären die Regierungen in Moskau und Peking in ihren Reihen haben und in verwirrenden Zeiten das einfachere Modell bieten, wird es für liberale Demokraten schwer, ihre Werte zu verteidigen. Das gilt auch mitten in unseren westlichen Ländern, etwa in der Auseinandersetzung mit Pegida, Trump oder dem Front National. Und es gilt in der Weltpolitik.

Was können Demokratien Moskau, Peking oder Damaskus entgegensetzen, auf möglichst friedliche Weise? Die Bündelung ihrer Kräfte. Es gibt bereits eine - im Verborgenen blühende - "Community of Democracies" und eine Staaten-Plattform bei den UN namens "Democratic Caucus". Hieran lässt sich anknüpfen. Westliche Demokratien könnten sich mit Ländern wie Brasilien, Indien oder, sofern es demokratisch bleibt, Südafrika, zusammentun, um innerhalb wie außerhalb der Vereinten Nationen gemeinsame Werte durchzusetzen. Solange der UN-Sicherheitsrat blockiert bleibt, könnte ein solcher Bund der Demokraten für Frieden und Menschenrechte eintreten. À la longue könnte er sich zu einer eigenen Staatenorganisation entwickeln.

Dabei gilt ein Aber: Ein solcher Bund wehrhafter Demokratien darf nicht dazu missbraucht werden, das Völkerrecht zu umgehen und nach Belieben militärisch zu intervenieren. Gerade der real existierende Westen muss verlorenes Vertrauen in seine Wertetreue zurückgewinnen. Vereinte Demokratien hätten auch andere Mittel als Waffen: politischen Druck, Wirtschaftsmacht, gezielte Sanktionen.

Nur: Das sind Zukunftsmelodien. Was nutzen sie den Bürgern in Aleppo, die am Freitag wieder von Russland und dem Regime in Damaskus bombardiert wurden? Nach jeder Waffenruhe scheint es schlimmer weiterzugehen. Können die UN gar nichts tun? Vielleicht sollte Ban Ki Moon nochmals wütend werden - und die Menschen in aller Welt zu Massenprotesten gegen das Morden in Syrien aufrufen.

© SZ vom 24.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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