Weltordnung:Die Denkfehler der Kritiker des Westens

Französischer Präsident zu Besuch in den USA

Nicht nur US-Präsident Donald Trump (links) ist eine Bedrohung für die Werte des Westens. Hier erhebt er mit seinem französischen Amtskollegen Macron das Glas bei einem Staatsbankett.

(Foto: dpa)

Eine wertebasierte Außenpolitik sei verlogen, behaupten viele. Der Westen muss aber gerade jetzt an ihr festhalten. Gedanken zu Macrons Besuch bei Trump.

Kommentar von Stefan Ulrich

Lange waren Frankreich und die USA Brüder - oder Schwestern - im Geiste, jedenfalls was ihre Grundwerte und deren Inszenierung anbelangt. Beide sahen sich als Leuchttürme, die allen Völkern den Weg zu Freiheit, Menschenrechten und Demokratie weisen wollten. Um diese Verbundenheit zu feiern, schenkte das französische Volk den USA die Freiheitsstatue.

In Paris lebende Amerikaner spendierten der französischen Hauptstadt später eine Kopie des Monuments. Und heute: umschmeicheln sich Donald Trump und Emmanuel Macron und können doch nicht kaschieren, dass die gemeinsame Wertebasis ihrer Länder zerbröselt - und damit das Fundament jenes Konstrukts, das man den "Westen" nennt.

Entfremdungstendenzen gab es schon unter vorherigen US-Präsidenten. Doch erst Trump kündigte das gemeinsame Werteprojekt brutal auf. Die Prämisse seines Handelns lautet: Gut ist, was gut für die USA ist. Eine freie Weltordnung, der Schutz der Menschenrechte und die multinationale Arbeit an einem Weltgemeinwohl - etwa bei den Themen Frieden und Umwelt - interessieren ihn allenfalls noch peripher.

Der Westen wird auch von Innen zersetzt

Frankreich, Deutschland und andere Demokratien halten dagegen, jedenfalls verbal, an den alten Werten fest. Sie fürchten, reine Interessenpolitik werde zu noch mehr Nationalismus und Konfrontation führen und in globalen Katastrophen enden.

Nicht nur Trump stellt den Wertewesten infrage. Auch der Kreml fordert ihn mit geschickter Machtpolitik heraus, die er mit russischen Interessen begründet. China wiederum setzt dem Westen ein eigenes, ganz anderes Wertesystem entgegen. Sicherheit, Stabilität, Kontrolle und rasantes Wachstum werden dabei hoch über die klassischen Freiheitsrechte der Bürger gestellt.

Der Wertewesten wird auch von innen zersetzt. Von Staaten wie Ungarn und Polen, die in autoritäre Strukturen zurücksacken. Aber auch von vielen Menschen in den westlichen Ländern selbst. Diese kritisieren die Moralrhetorik als verlogene Verkleidung westlicher Macht- und Interessenpolitik, als eine Art unlauterer Werbung sozusagen.

Sie werfen den westlichen Ländern vor, im Kleid der Moral herumzulaufen und zugleich einen schweren Knüppel zu schwingen. Da sei es ehrlicher, die Verkleidung abzulegen und, wie Putin oder Trump, offen zu zeigen, dass sie schlicht und einfach eigene Interessen verfolgen.

Warum Werte in der Außenpolitik eine Rolle spielen sollten - drei Beispiele

Ist es so? Gehört eine wertegeleitete Außenpolitik in die Truhe mit den abgelegten Requisiten des Welttheaters? Richtig ist, dass sich westliche Mächte oft der Doppelmoral schuldig machen. Sie predigen Russen oder Chinesen das Völkerrecht und den Schutz der Menschenrechte, verstoßen aber immer wieder selbst massiv dagegen, etwa indem sie den Irak angreifen, das libysche Gaddafi-Regime stürzen oder Waffen in Problemstaaten liefern. Das hat die Überzeugungskraft des Westen wuchtig erschüttert.

Den Kritikern unterlaufen jedoch oft drei Denkfehler. Erstens sprechen Verfehlungen und Verbrechen westlicher Politik nicht gegen diese Werte selbst. Im Gegenteil. Die Folgen der Völkerrechtsbrüche etwa im Irak zeigen, wie sinnvoll es gewesen wäre, sich an die Werte zu halten. Verstöße müssen angeprangert werden, nicht um eine an Werten orientierte Politik abzuschaffen, sondern um sie zu stärken.

Zweitens legitimieren Verbrechen westlicher Staaten nicht die Verbrechen anderer Regierungen. Wladimir Putins Raub der Krim wird durch George W. Bushs Überfall auf den Irak um keinen Deut besser.

Drittens stehen sich Werte und Interessen näher, als es den Anschein hat. Eine Politik, die sich an Werten orientiert, wird oft zu Ergebnissen kommen, die den langfristigen Interessen der Menschheit und damit auch der Bürger in den einzelnen Staaten nutzen.

Drei Beispiele

Beispiel Klimaschutz: Trumps Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen mag manchen Wirtschaftszweigen der USA vorläufig nutzen. Langfristig werden auch die Amerikaner schwer unter dem Klimawandel leiden.

Beispiel Handel: Die Subvention von EU-Agrarprodukten wie etwa Milchpulver oder Tomatenmark für den afrikanischen Markt mag zunächst attraktiv erscheinen, da sie europäischen Bauern hilft. Doch am Ende trifft es auch die Europäer, wenn afrikanische Erzeuger kapitulieren, das Leben vieler Afrikaner unerträglich wird und diese versuchen, illegal nach Europa zu gelangen.

Beispiel Syrien: Momentan stärkt der Kreml durch seine Hilfe für das syrische Verbrecherregime seine geopolitische Stellung. Langfristig könnte die Intervention für Russland extrem teuer werden, politisch, militärisch und wirtschaftlich.

In der Welt von heute lässt sich das Wohl eines Volkes weniger denn je vom Wohl der Menschheit trennen. Eine kluge Politik wird beides zusammendenken. Und die heute oft bespöttelten westlichen Werte - Rechtsstaat, Demokratie, Menschenrechte, Pluralismus, Toleranz - eigenen sich besonders gut, um das zu tun.

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