Weltkonzern und Zulieferer:Ein Fall für zwei

Es gibt viele ungeklärte Fragen in dem ruinösen Streit zwischen Volkswagen und Prevent. Eines aber ist klar: Beide Seiten trauen sich gegenseitig alles zu - vor allem das Schlechte.

Von Thomas Fromm und Klaus Ott

Viele ungeklärte Fragen gibt es in diesem seltsamen Fall. Wohl auch deshalb haben die Arbeitnehmervertreter der Firma ES Automobilguss für diesen Dienstag zu einer Betriebsversammlung ins sächsische Schönheide geladen. Um 14 Uhr soll die Geschäftsführung der Belegschaft erklären, wie es weitergehen soll im Streit mit dem Großkunden Volkswagen aus Wolfsburg. Und wie es so weit kommen konnte, dass die kleine, unscheinbare Firma ES plötzlich in aller Munde ist, weil man einen Konzern herausfordert. Und ob das für den Zulieferer und seine 450 Mitarbeiter gut ist oder ob das am Ende die eigenen Jobs gefährden könnte.

Bis vor zwei Wochen wurden bei ES Automobilguss noch Sonderschichten gefahren, um genügend Getriebeteile für VW und andere Abnehmer herzustellen. Inzwischen sei die Produktion "eingeschränkt", sagen Leute an Ort und Stelle. Dass die Getriebeteile, die hier gebaut werden, nicht mehr bei VW ankommen, hat folgenden Grund: ES Automobilguss gehört inzwischen zusammen mit Car Trim, einem Zulieferer von Bezügen für Autositze, zur bosnisch-deutschen Unternehmensgruppe Prevent. Die liegt wegen eines von VW gekündigten Auftrags für Car Trim mit den Wolfsburgern im Clinch. Die Folge: Zehntausende VWler können nicht mehr arbeiten; in diversen Werken von Zwickau über Kassel bis Salzgitter steht vor allem die Produktion von Golf und Passat still. Zum Unmut der Belegschaft, die ohnehin in Sorge ist wegen der Abgasaffäre, die den Konzern viele Milliarden Euro kostet.

Viele VW-Beschäftigte sind auch sauer, dass der Vorstand trotz der prekären Lage nicht auf Boni in Millionenhöhe verzichtet. In Schönheide, bei dem langjährigen und vertrauten VW-Partner ES Automobilguss, der plötzlich zum Gegner geworden ist, wundern sie sich. Der Zulieferer war erst im November von der Prevent-Gruppe übernommen worden. Es ist ein Traditionsunternehmen, das im 16. Jahrhundert als Hammerwerk begann und seinen Stammsitz in der örtlichen Gießereistraße hat. Eine solide Firma, bei der jetzt vieles eskaliert. Vor etwa zwei Wochen soll VW eigenes Personal nach Schönheide geschickt haben, um sich ein Bild der Lage zu machen und die dortigen Abläufe zu prüfen.

Weltkonzern und Zulieferer: Illustration: Stefan Dimitrov

Illustration: Stefan Dimitrov

Bei ES Guss werden zwar weiter Teile für VW produziert. Aber keiner weiß, wo die sind

Den Hausherren gefiel das offenbar überhaupt nicht. Die VW-Leute seien vom Werksgelände verwiesen worden, sagt einer, der die Abläufe vor Ort kennt. Einige Tage später sind dann Lkw des VW-Hauslogistikers Schnellecke vor den Werkstoren in Schönheide aufgefahren, um jene Getriebeteile abzuholen, die von ES Automobilguss nicht mehr an den Autokonzern geliefert wurden. Volkswagen hatte schließlich beim Landgericht Braunschweig das Recht erstritten, die Ware zu bekommen. Die Lkw sind allerdings von ES Guss nicht beladen worden - wie auch. Die Ware war schon da offenbar längst nicht mehr in Schönheide, sondern, so vermuten Insider, an einen geheimen Ort gebracht worden. Bei ES werde in den Öfen zwar weiterproduziert, aber wo die Getriebeteile blieben, sei Betriebsgeheimnis. Angeblich werden sie nicht auf dem Werksgelände in Schönheide gelagert, damit Volkswagen ins Leere laufe, sollte der Konzern versuchen, die Getriebeteile von einem Gerichtsvollzieher abholen zu lassen.

Bei Prevent sagt man dazu nichts, um sich nicht in die Karten schauen zu lassen. Und bei VW wüsste man gerne, wo die so dringend benötigten Getriebeteile sind; und hat deshalb angeblich die eigene Konzernsicherheit eingeschaltet, um das herauszufinden. Lässt man das Werk in Schönheide beobachten? So etwas sei Volkswagen durchaus zuzutrauen, heißt es im Umfeld von Prevent. Das ist ja genau das Problem in diesem verrückten Wirtschaftskrimi, in dem die üblichen Spielregeln der Autobranche längst außer Kraft gesetzt sind: Beide Seite trauen sich gegenseitig offenbar alles zu, vor allem alles Schlechte. Grenzenloses Misstrauen unter Partnern, das gerade macht eine Lösung so schwierig. Gleichwohl äußerte sich die Prevent-Seite vorsichtig optimistisch vor der neuen Verhandlungsrunde, die Montagnachmittag begann. Im Laufe des Abends sei mit einer Entscheidung zu rechnen. "Das Gesprächsklima ist derzeit gut."

Prevent gilt in der Branche als selbstbewusst und durchaus widerspenstig

Getroffen hatten sich die Emissäre in einem Wolfsburger Hotel, auf neutralem Boden. Keiner mochte zum anderen gehen, obwohl die jeweiligen Unternehmenszentralen in Wolfsburg ganz nahe beieinander liegen. Auch das sagt viel aus über die Verhandlungen, die für Volkswagen von Ralf Brandstätter geführt werden. Der Wirtschaftsingenieur ist Generalbevollmächtigter der VW AG, er kümmert sich seit Jahren um den Einkauf bei den Lieferanten und gilt als einer der engsten Vertrauten von Beschaffungsvorstand Francisco Javier Garcia Sanz. Der Spanier hat den Ruf, den Lieferanten harte Bedingungen zu stellen und so Milliardenbeträge für Volkswagen herauszuholen.

Kurz mal in Kurzarbeit

Zu einzelnen Firmen dürfe sie nichts sagen, erklärt die Dame von der Arbeitsagentur in Helmstedt, also auch nicht zu Volkswagen. Ob etwa ein Wolfsburger Werk wegen Teilemangels mal eben Kurzarbeitergeld bekommen kann, dazu könne sie allenfalls "ein wenig theoretischen Input" geben. Und der klingt dann so: Kurzarbeitergeld können Beschäftigte erhalten, "wenn ein wirtschaftlich bedingter Arbeitsausfall vorliegt". Das wiederum könnte bei "fehlender Zulieferung von Teilen" der Fall sein. Kurzum: Volkswagen hätte gute Chancen, sich mit betroffenen Beschäftigten auf eine Kurzarbeiter-Regelung zu verständigen. Die würden dann, mangels Sitzbezügen und Getriebeteilen, erst einmal zu Hause bleiben. Bis zu zwei Drittel des Verdienstausfalls übernähme damit die Arbeitslosenversicherung, mithin die Gemeinschaft der Beitragszahler.

Aber ist das wirklich so einfach? Experten haben Zweifel. "Das Instrument war ursprünglich für ernsthafte Wirtschaftskrisen gedacht", sagt Karl Brenke, Arbeitsmarkt-Experte am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, "und nicht für Streitigkeiten mit einem Zulieferer." Da ein solcher Konflikt nicht über Nacht entstehe, könne sich das Unternehmen auch nicht darauf berufen, es sei von dem Produktionsausfall überrascht worden.

Wann ein Ereignis unabwendbar ist und wann nicht, das hat die Bundesagentur für Arbeit in einer "Geschäftsanweisung" zum Kurzarbeitergeld dargelegt. Etwa, wenn ein Werk abbrennt. Oder, wenn ein Betrieb wegen Smog-Alarm nicht weiterarbeiten kann und keine Löhne mehr zahlt. Doch schon für "mittelbar betroffene Betriebe" gilt das nicht mehr: Etwa, wenn der Smog-Alarm auch einen Zulieferer lahmlegt. Was aber bei einem Streit zwischen Zulieferer und Abnehmer geschieht, steht nicht darin. "Die Frage der Fahrlässigkeit ist nicht ganz klar geregelt", sagt Holger Bonin, Arbeitsforscher am Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA). Letztlich entscheidet die zuständige Arbeitsagentur - im Falle Wolfsburgs die in Helmstedt. Für das Emdener Werk hat VW den Antrag schon gestellt.

Auch Experten der Unionsfraktion prüfen gerade die rechtliche Grundlage, haben aber schon jetzt Bauchschmerzen, "wenn bewusst herbeigeführte Konflikte auf dem Rücken der Beitragszahler ausgetragen werden". Entscheidend, sagt IZA-Forscher Bonin, sei aber doch die Frage, was die Kurzarbeit überhaupt soll - schließlich könne Volkswagen den Ausfall auch anders kompensieren. "Möglicherweise ist das nur ein Eskalationsschritt", sagt Bonin, "um die Zulieferer weiter unter Druck zu setzen." Michael Bauchmüller

Bei Prevent geht diese Taktik aber nicht mehr auf. Die Familie Hastor aus Bosnien-Herzegowina, die den Zulieferer gegründet und groß gemacht hat, steht Garcia Sanz offenbar in nichts nach. Prevent wird von Autokonzernen gerne als "schwierig" bezeichnet. Soll heißen: selbstbewusst, widerspenstig, unnachgiebig. Keiner der üblichen Zulieferer, die sich von den Autoherstellern viel gefallen lassen. Wie ernst es Prevent ist, zeigt alleine schon der Umstand, dass sich deren Tochterfirmen für den Konflikt mit Volkswagen den Beistand der Münchner Kanzlei Bub, Gauweiler und Partner gesichert haben. Peter Gauweiler, streitbarer CSU-Politiker, und seine Anwaltskollegen legen sich gerne auch mit Konzernen an. Für die Familie des verstorbenen Medienmagnaten Leo Kirch hat die Kanzlei in einem mehr als einem Jahrzehnt währenden Schadenersatzprozess gegen die Deutsche Bank 925 Millionen Euro herausgeholt.

Statt gegen Deutschlands größte Bank geht es nun eben gegen Deutschlands größten Autokonzern, der beim Landgericht Braunschweig allerlei Anträge gegen Prevent laufen hat. Montagfrüh verschickte das Gericht wieder einmal Post an die Parteien. Montagabend sah es dann eher nach einer Einigung aus.

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