Weltkongress der Uiguren:Die Nerven liegen blank

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Exil-Uiguren fürchten eine weitere Eskalation in Xinjiang. Wie angespannt die Lage ist, zeigt sich auf einer Pressekonferenz des Weltkongresses der Uiguren in München.

Lilith Volkert

Glaubt man der chinesischen Regierung, dann werden die Unruhen in der Provinz Xinjiang vom Münchner Bahnhofsviertel aus geplant und gesteuert: Hier hat der Weltkongress der Uiguren (WUC) seinen Sitz - für Peking der Drahtzieher.

In Urumqi eskaliert der Konflikt zwischen Han-Chinesen und Uiguren (Bild) - auch in München liegen die Nerven blank. (Foto: Foto: ddp)

Der Zugang von der Straße liegt zwischen einem Callshop und einem Gemüseladen. Die politisch brisante Bedeutung des Ortes lässt sich nur an den davor postierten Polizisten erkennen. Sie mustern jeden Passanten genau.

Die Hauptgeschäftsstelle des WUC liegt in einer Wohnung im dritten Stock. Im größten der vier Zimmer, am Ende eines schmalen Ganges, drängen sich heute neben den uigurischen Gastgebern zwei Dutzend Journalisten und drei Kamerateams.

Auch Han-Chinesen - sie gehören der Gruppe an, die in Peking den Ton angibt - sind gekommen: Drei junge Männer hören sich mit unbewegtem Gesichtsausdruck an, was Asgar Can zu den Unruhen in Xinjiang zu sagen hat.

"Wir nennen das Gebiet Ostturkestan," stellt der Vizepräsident des Weltkongress der Uiguren als Erstes klar. "Xinjiang ist der chinesische Name." Dann berichtet der 50-Jährige mit ruhiger Stimme von Gräueltaten, die er und seine Kollegen in Telefonaten mit Freunden und Verwandten erfahren haben. In Urumqi sollen vier uigurische Studentinnen geköpft worden sein. Ihre Leichen seien am Eingang der Universität aufgehängt worden.

Eine Moschee habe gebrannt und in einer Traktorfabrik seien 150 Uiguren getötet worden, ergänzt Dolkun Isa, Generalsekretär des WUC. Auch in Kashgar, wo mehrheitlich Uiguren leben, und in zwei weiteren Städten, gebe es inzwischen Unruhen. Die Organisation geht davon aus, dass in der westchinesischen Provinz seit Sonntag bis zu 800 Uiguren ums Leben gekommen sind - nach offiziellen Angaben sind es 156.

In Urumqi trauten sich die meisten Uiguren seit Sonntag nicht mehr auf die Straße, sagt Asgar Can, sie säßen zu Hause und hungerten. "Und wenn sie bei uns anrufen, riskieren sie damit ihr Leben", fügt er hinzu. Gerade wurde bekannt, dass die Kommunistische Partei die für die Unruhen verantwortlichen Personen hinrichten lassen will.

Der Weltkongress der Uiguren vertritt nach eigenen Angaben die Interessen der turkstämmigen Minderheit, er will auf friedlichem Weg Demokratie, Menschenrechte und Religionsfreiheit für die Uiguren erlangen. Jeder Uigure, der außerhalb Chinas lebt, ist automatisch Mitglied.

Der WUC ist auch gegen die "chinesische Besetzung von Ostturkestan", doch Asgar Can ist vorsichtig genug, um keine eindeutigen Separatismuswünsche erkennen zu lassen: Erst solle es für Uiguren möglich sein, in China ihre Meinung frei zu äußern, dann könnte man vielleicht über ein Referendum nachdenken, das den künftigen Status der Region regelt. Gewalt sei aber keine Lösung. An der Wand hinter ihm hängt neben der deutschen auch die Fahne der uigurischen Freiheitsbewegung: Weißer Halbmond und weißer Stern auf hellblauem Grund.

Kaum ist Asgar Can fertig, verteilen die drei jungen chinesischen Besucher sorgfältig zusammengeheftete Farbfotoausdrucke von blutverschmierten Menschen, anscheinend Han-Chinesen. Sie liegen auf der Straße, auf dem Bürgersteig oder sorgsam aufgereiht in einer Halle. Der Menge des Bluts nach zu urteilen, sind die meisten von ihnen tot.

"Photo tell the truth" steht auf dem ersten Blatt. Schauen Sie sich diese Wunden an, sagt Hu Jian auf Englisch. "They kill like terrorists." Was in den Medien über China berichtet wird, möchte der Student so nicht auf seinem Land sitzen lassen, deshalb ist er mit seinen Freunden gekommen.

Im Flur schreien sich zwei Männer auf Chinesisch an. Bevor die Situation eskaliert, stürmt einer aus der Tür. "Ich habe ihn gefragt: Siehst du nicht die Bilder im Fernsehen?" erzählt Muhammad Tursun, noch immer fassungslos. "Wie kann er nicht begreifen, dass dort etwas Furchtbares geschieht?" Tursun lebt seit 13 Jahren in München. Hier gibt es die größte Exilgemeinde von Uiguren in Europa.

Wie gespannt das Verhältnis zwischen Uiguren und Han-Chinesen auch in Deutschland ist, zeigte sich auch gestern auf dem Münchner Marienplatz: Bei einer Demonstration gingen Uiguren auf chinesische Touristen los, die Polizei musste dazwischengehen. Der Dialog zwischen den beiden Volksgruppen, den sich Asgar Can so sehr wünscht, wird derzeit - wenn überhaupt - sehr laut geführt.

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