Welthandel:Gefesselt von alten Versprechen

Nov 6 2015 Brussels BXL BELGIUM European Trade Commissioner Cecilia Malmstrom addresses a ne

Muss bald eine Lösung finden: Die Brüsseler Handelskommissarin Cecilia Malmström.

(Foto: imago/ZUMA Press)

Die EU wird sich künftig nur noch schwer gegen Chinas Dumpingpreise wehren können.

Von Alexander Mühlauer

Cecilia Malmström wollte nur mal kurz rausgehen. Zum Mittagessen, ein paar Schritte zu Fuß. Doch sie durfte nicht. Die EU-Handelskommissarin musste in ihrem Büro bleiben. Aus Sicherheitsgründen. Draußen, vor dem Gebäude der Europäischen Kommission in Brüssel, standen sie nämlich: Stahlarbeiter mit Helm und Trillerpfeife, zu Tausenden zogen sie durch das Brüsseler Europaviertel, um ihre Wut zu demonstrieren. "Stoppt China Dumping", stand auf ihren Plakaten. "Sichert unsere Arbeitsplätze." Und der Satz: "China ist keine Marktwirtschaft." So war das damals, am 15. Februar. Nun, fast vier Monate später, ist die Wut der Arbeiter noch nicht verraucht. Und die Frage, die Malmström beantworten muss, nach wie vor ungelöst: Ist China eine Marktwirtschaft?

Was wie ein Thema für eine Uni-Vorlesung klingt, ist in Wahrheit eine Abwägung von hoher politischer Brisanz. Bis Jahresende muss die EU China offiziell als Marktwirtschaft anerkennen; so wurde es der Volksrepublik bei ihrem Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) im Jahr 2001 zugesichert. Tut die EU das nicht, droht ein schwerer Konflikt. Die Zeichen aus Peking jedenfalls sind eindeutig. Sollten die Europäer sich weigern, China den Status einer Marktwirtschaft zuzugestehen, könnten die Wirtschaftsbeziehungen Schaden nehmen, schrieb die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua am Dienstag. Und weiter: "Das schlimmste Szenario könnte ein ausgewachsener Handelskrieg sein."

Peking lässt die Staatsmedien schon über einen drohenden Handelskrieg schreiben

In Brüssel ist man sich dieser Gefahr bewusst. Das Problem ist nur: Gewährt die EU China diesen Status, würde es sehr viel schwieriger, die Volksrepublik wegen Billigpreisen zu belangen. Die EU könnte dann nicht mehr so einfach Anti-Dumping-Zölle verhängen. Denn genau das werfen die Europäer den Chinesen vor: dass sie den Weltmarkt mit Produkten zu Billigpreisen fluten. Zum Beispiel beim Stahl. Die chinesischen Staatskonzerne haben gigantische Überkapazitäten angehäuft. In Chinas Werken wird derzeit so viel Stahl wie in Japan, Indien, Russland und den USA zusammen hergestellt. Was an Überschuss produziert wird, geht in den Export.

Kein Wunder also, dass die Stahlarbeiter aus Deutschland, Italien und Frankreich in Brüssel demonstrieren. Sie fürchten um ihre Arbeitsplätze, genauso wie ihre Kollegen aus der Textil- und Solarbranche. Denn wenn China erst einmal als Marktwirtschaft eingestuft wird, muss die EU das Land auch so behandeln. Kommissarin Malmström lässt deshalb genau prüfen, welche Folgen dieser Einschnitt für die europäische Industrie bedeutet. Im Sommer soll es eine Vorentscheidung geben, unter welchen Bedingungen die EU-Kommission bereit wäre, China als Marktwirtschaft zu akzeptieren. Ein klares Nein aus Brüssel scheint so gut wie ausgeschlossen, denn selbst der juristische Dienst der Kommission hat bereits ein klares Urteil gefällt: Wenn die EU China den Status nicht zugesteht, wird die WTO das mit großer Wahrscheinlichkeit kippen.

Nach außen vertritt Malmström jedoch eine harte Linie. Das muss sie auch, denn viele EU-Staaten sind misstrauisch, besonders Italien und Frankreich. Großbritannien wiederum ist für eine Anerkennung. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird am Sonntag zu Regierungskonsultationen nach Peking reisen. Mit dabei ist Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), der China erst den Marktwirtschaft-Status zuerkennen will, wenn die Volksrepublik sich auch so verhält. Das Europäische Parlament hat bereits klargestellt, dass China derzeit keine Marktwirtschaft sei. Das alles weiß Malmström. Und doch muss sie eine Lösung finden. Wie die aussehen könnte, skizziert ein EU-Diplomat: "China erhält den Status. Gleichzeitig federt die EU diesen Schritt durch Verschärfungen im Anti-Dumping-Recht ab." Ob das auch den Stahlarbeitern reicht? "Denke nicht", sagt der Diplomat.

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