Weltgemeinschaft nach Israels Luftangriffen auf Syrien:Zur Vernunft verdammt

Barack Obama

Barack Obama und seine Regierung wurden von Israel offenbar nicht vorzeitig über den Angriff auf Syrien informiert

(Foto: AP)

Die Sorge vor einer Ausweitung des Syrien-Konflikts wächst: Nach den israelischen Bombardements will sich US-Präsident Obama nicht zum Handeln zwingen lassen. Verwirrung herrscht über die Aussage der UN-Ermittlerin Carla del Ponte, wonach die Rebellen das Nervengift Sarin eingesetzt haben sollen.

Von Matthias Kolb

Die Botschaft, die das Weiße Haus aussenden will, ist unmissverständlich: Kein Grund zur Aufregung, alles geht seinen sorgfältig geplanten Gang. Also reiste Präsident Barack Obama wie geplant nach Columbus, um die Abschlussrede für die Absolventen der Ohio State University zu halten.

An Bord der Air Force One gab sich Sprecher Josh Earnest zugeknöpft, wie anwesende Reporter später berichteten: Er habe Obamas Aussage, wonach Israel das Recht habe, sich zu verteidigen und "gegen den Transfer moderner Waffen an terroristische Organisationen wie die libanesische Hisbollah vorzugehen" nichts hinzufügen. So sehr die Reporter auch bohrten, das Weiße Haus blieb weitere Details schuldig.

Die abgeklärte Rhetorik kann nicht darüber hinwegtäuschen: Nach den beiden Bombardements der israelischen Luftwaffe, die unter anderem einem angeblichen Waffentransport sowie einer militärischen Forschungseinrichtung galten, läuft gerade wenig nach Plan. So ist mittlerweile bekannt, dass Washington von seinem engen Verbündeten Israel nicht vorab informiert wurde. Und natürlich versuchen verschiedenste Akteure, die Ereignisse vom Wochenende für ihre Argumentation zu nutzen. So sieht der republikanische Senator John McCain die Aktionen als weiteren Beweis, dass die USA stärker in den syrischen Bürgerkrieg eingreifen müssten, um zu verhindern, dass noch mehr als 70.000 Menschen sterben.

"Die Israelis haben vorgemacht, dass es recht leicht ist, die syrische Luftabwehr zu überwinden", argumentierte McCain in der TV-Sendung Fox News Sunday. Der Senator aus Arizona lehnt zwar einen Einsatz amerikanischer Bodentruppen ab, doch er möchte das Assad-Regime mit Luftschlägen schwächen und eine Flugverbotszone durchsetzen. Diese soll es auch ermöglichen, die Rebellen und die Flüchtlinge besser zu schützen.

Sarin-Gas von Rebellen eingesetzt?

Zuletzt hatte etwa Verteidigungsminister Chuck Hagel angedeutet, dass die USA zumindest bereit sein könnten, Waffen an die syrischen Rebellen zu liefern. In dieser Angelegenheit deutet sich Bewegung an: Senator Patrick Leahy aus Vermont - der Demokrat ist ungefähr genauso liberal wie McCain konservativ - zeigte sich bei einem TV-Auftritt überzeugt, dass die Obama-Regierung einer Entscheidung näher komme. "Wenn wir wissen, wer die richtigen Leute sind in Syrien, denen wir Waffen geben können, dann werden wir sie ihnen meiner Einschätzung nach liefern", sagte Leahy.

Weil neben Israels Geheimdienst auch amerikanische Agenten von "Hinweisen" sprachen, dass das Assad-Regime "in kleinen Mengen" Giftgas gegen die Rebellen eingesetzt habe, war der Druck auf Washington gewachsen und schien ein Eingreifen dringend geboten - trotz der berechtigten Sorge, dass westliche Waffen in den Händen von Islamisten landen könnten.

Über die Bedeutung dieses Arguments wird nun innerhalb der Vereinten Nationen diskutiert. Die UN-Ermittlerin Carla Del Ponte hatte dem Schweizer Fernsehsender RSI gesagt, dass es die Aufständischen gewesen seien, die in Syrien Sarin eingesetzt haben: "Nach Zeugenaussagen, die wir gesammelt haben, haben die Rebellen chemische Waffen eingesetzt, Sarin-Gas." Die Untersuchung müsse zwar noch "vertieft" werden, so die frühere Chefanklägerin des UN-Tribunals für das ehemalige Jugoslawien, aber nach den "bislang" vorliegenden Erkenntnissen gehe der Giftgas-Einsatz auf "Gegner des Regimes" zurück.

Später relativierte die unabhängige Syrien-Kommission die Aussage von del Ponte: Es gebe "keine beweiskräftigen Ermittlungsergebnisse für einen Chemiewaffeneinsatz in Syrien durch irgendeine der an dem Konflikt beteiligten Parteien." Weitere Kommentare seien derzeit nicht möglich.

Ein möglicher Grund für die Verwirrung: Carla del Ponte gehört jener Kommission an, die Menschenrechtsverletzungen in Syrien untersucht und dazu Flüchtlinge in Nachbarländern befragt. Die UN-Expertenkommission, die den Einsatz chemischer Waffen prüfen soll, wartet seit langem auf die Einreiseerlaubnis.

Parallel zu Del Pontes TV-Auftritt wurde bekannt, dass türkische Ärzte einem Bericht des Online-Nachrichtenportals globalpost.com zufolge keine Rückstände von Sarin im Blut von 13 Opfern eines vermeintlichen Giftgas-Anschlags des Regimes Ende April fanden.

Angst vor einem Stellvertreterkrieg

Unterdessen kündigte die türkische Regierung an, sich auf die Behandlung von Opfern atomarer, biologischer oder chemischer Kampfstoffe aus dem Nachbarland Syrien vorzubereiten. Einem Bericht der Zeitung Zaman zufolge werden in Flüchtlingslagern der türkischen Grenzprovinzen Sanliurfa und Gaziantep spezielle Dekontaminierungszelte eingerichtet. Premier Recep Tayyip Erdogan will Mitte Mai bei einem Besuch in Washington mit Obama über die Lage in Syrien beraten.

David Sanger, der gewöhnlich exzellent informierte Sicherheitspolitik-Experte der New York Times, berichtet von einem wachsenden Handlungsdruck. Bereits vor Israels Bombardement sei in Geheimgesprächen zwischen Washington, Paris und London über mögliche Lufteinsätze diskutiert worden - sollten sich die Staaten dazu durchringen, müssten die USA ähnlich wie beim Libyen-Krieg zumindest anfangs die Führung übernehmen.

US-Außenminister John Kerry reist heute nach Moskau, um Russland weiter dazu zu drängen, vom Assad-Regime abzurücken. Es scheint jedoch unrealistisch, dass Moskau und Peking im UN-Sicherheitsrat einem Militäreinsatz zustimmen werden - eine Sprecherin des chinesischen Außenministeriums rief Israel zur Zurückhaltung auf: "Wir sind gegen den Einsatz von Gewalt und glauben, dass die Souveränität von Staaten gewahrt werden muss."

Auch Netanjahu demonstriert Gelassenheit

Ein schlüssiges Konzept für eine Lösung ist derzeit nicht erkennbar: Die Option, sich ins Exil abzusetzen, hat Assad schon 2011 zurückgewiesen - nach dem brutalen Vorgehen des Regimes erscheint dies für den Westen ohnehin nicht mehr akzeptabel.

Beobachter wie der Politik-Professor Juan Cole fürchten inzwischen, dass Israel und die Hisbollah nach einer langen Phase des Abwartens in Syrien in einen Stellvertreterkrieg mit unabsehbaren Folgen für die Region geraten könnten. Die libanesische Miliz unterstützt das Assad-Regime, auch, um weiter auf dem Landweg via Irak von ihrem Förderer Iran beliefert werden zu können.

Und was macht Israels Premierminister Benjamin Netanjahu? Auch er verhält sich so, als habe seine Armee durch die Luftschläge mit mindestens 15 Toten keine Verschärfung der Situation herbeigeführt. Dabei hat die syrische Regierung deutlich gemacht, dass sie die Attacken als Kriegserklärung interpretiert. Netanjahu folgte ebenfalls seinem planmäßigen Programm und reiste nach einer Sitzung des Sicherheitskabinetts zu einem Staatsbesuch nach China.

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