Welterschöpfungstag:Mein Fleisch, mein Thailand

Wofür interessieren sich die Menschen? Für Griechenland, für den HSV. Aber nicht dafür, dass sie am 13. August bereits die Ressourcen des Planeten für 2015 verbraucht haben.

Von Detlef Esslinger

Wofür interessieren sich Menschen? Für die chinesische Wirtschaft, denn sollte die auf Dauer Probleme bekommen, könnte das auch Jobs in Deutschland kosten. Für Griechenland, wenn auch nicht vorrangig unter dem Aspekt "Sorge um die Griechen". Für einen Rucksack, den ein Chef des Hamburger Sportvereins verloren hat und in dem sich die Gehaltsliste der Spieler befand; man will ja auch mal was Nettes lesen, nicht immer bloß Griechenland. Wofür interessieren sich Menschen nicht? Für den Welterschöpfungstag. Den was?

Einmal im Jahr errechnet die amerikanische Organisation "Global Footprint Network" jenen Tag, an dem die Menschheit all die Ressourcen aufgebraucht hat, die der Planet innerhalb eines Jahres regenerieren kann. In diesem Jahr war es Donnerstag, der 13. August. Seit Freitag und bis Silvester zehrt die Menschheit also wieder von der Substanz. Sie isst zu viel Fisch, sie verbraucht zu viel Energie, sie holzt zu viel Wald ab. Zu sagen, die Menschheit tue dies, ist natürlich grob unfair. Jeder Deutsche verbraucht doppelt so viele Ressourcen, wie ihm rechnerisch zustehen. Jeder in Sambia verbraucht nur ein Drittel dessen, worauf er Anspruch hätte.

Die Nachricht ist selbstverständlich untergegangen im allgemeinen China-Griechen-HSV-Gewese, und viele von denen, die sie wenigstens mitbekommen haben, amüsieren sich vermutlich eher, als dass sie besorgt wären; nach der Devise: "Welterschöpfungstag? Ist bei mir persönlich immer." Zugegebenermaßen hört sich die deutsche Bezeichnung unfreiwillig komisch an. Der englische Earth Overshoot Day hingegen drückt präzise aus, worum es geht. Nur: Auch ein gelungener deutscher Begriff würde kaum mehr Aufmerksamkeit bewirken. Denn der von ihm umrissene Vorgang läuft nun mal leider nicht so ab, wie Aktivisten ihn am Donnerstag, dem 13., vor dem Berliner Kanzleramt dargestellt haben: mit einer Erde in Form eines Getränkekartons, der unter Zischen und Röcheln immer kleiner und gequetschter wird, je länger oben einer am Strohhalm saugt.

Das Problem besteht ja gerade darin, dass man im Alltag nichts sieht und hört und riecht. Wäre der Deckel aus Kohlendioxid in der Atmosphäre braun und grau; würde er am besten auch noch so stinken, dass man es im Freien kaum mehr aushielte; würde der Boden nachgeben, so dass man beim Bundesliga-Auftakt in der Münchner Arena freie Sicht aufs Erdmagma hätte - so etwas würde die Menschen vielleicht in einer Weise beunruhigen, wie einst kahle Bäume und tote Flüsse sie beunruhigt haben. Menschen begreifen Katastrophen, die ihnen vor Augen stehen. Also haben sie damals mit Katalysatoren und Kläranlagen die Dinge repariert.

Heute hingegen gelten Warnende letztlich als Langweiler, und das aus mehreren Gründen. Zum einen ist das von ihnen beschriebene Problem noch relativ diffus. Zum anderen fügen die Warnenden immer hinzu, dass es mit ein paar Reparaturen diesmal nicht getan sein wird. Sie stellen den Lebensstil infrage. Aber wer verzichtet schon auf täglich Fleisch und jährlich Thailand, in der Gewissheit, dass man mit solchem Verhalten ohnehin nur zu einer nicht ins Gewicht fallenden, also bescheuerten Minderheit gehören würde? Folglich bedient sich lieber jeder weiter bei der großen Party, die doch in Wahrheit ein "kosmischer Coup d'État" ist, wie es der südafrikanische Schriftsteller Deon Meyer bereits vor Jahren in einem seiner Gesellschaftsthriller genannt hat.

Mit dem Ergebnis, dass die Ressourcen in diesem Jahr noch sechs Tage eher als erschöpft gelten als im vergangenen.

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