Weiterverbreitung von Atomwaffen:Im Kalten Krieg war es sicherer

Der Abbau der Atomwaffen muss geregelt werden, solange das Problem überhaupt noch regelbar ist.

Egon Bahr

Deutschland und die Atomwaffen in der Welt, das ist eine einzigartige Verknüpfung. In Berlin, am Kaiser-Wilhelm-Institut in Dahlem, entdeckte Otto Hahn die Atomspaltung, ohne sich dessen bewusst zu werden. Das entdeckte erst seine an den Vorarbeiten beteiligte Kollegin Liese Meitner, die vor den Nazis nach Stockholm emigriert war. Von dort wurde das auch emigrierte deutsche Genie Albert Einstein informiert, dessen unbestreitbare Autorität ausreichte, um Präsident Roosevelt zu alarmieren. Der gab sein Okay für eine einzigartige Anstrengung, um Hitler zuvorzukommen.

Weiterverbreitung von Atomwaffen: Atomtest 1955 in Nevada

Atomtest 1955 in Nevada

(Foto: Foto: AP)

Wenige Monate nach dessen Selbstmord wurde die Bombe einsatzfähig. Wäre diese Reihenfolge umgekehrt gewesen, wäre die erste Bombe mit hoher Wahrscheinlichkeit über Berlin erprobt worden.

Vor 50 Jahren stellte die Sowjetunion atomare Interkontinentalraketen in Dienst, und die USA verloren ihre Unverwundbarkeit. Um sie wiederzugewinnen, starteten sie ein Programm, das bis heute diese Aufgabe nicht gelöst hat. Washington und Moskau gewannen die gesicherte Zweitschlagskapazität, also die Fähigkeit, sich gegenseitig umzubringen, egal wer anfängt. Sie lernten, dass gemeinsames Überleben über jedem ideologischen Interesse rangierte.

So unterschiedlich die Männer waren, die über den Einsatz ihrer Superwaffen entscheiden konnten, sie folgten den Gesetzen kühler Rationalität. Ihr System der gegenseitigen Abschreckung funktionierte.

Gleichberechtigung, die es nicht geben konnte

Nachdem Adenauer Atomwaffen als Weiterentwicklung der Artillerie bezeichnet hatte, wandten sich 18 Göttinger Wissenschaftler, darunter der Nobelpreisträger Otto Hahn, gegen Versuche der Regierung, die Bundeswehr atomar zu bewaffnen. Das Diktum General de Gaulles galt schon damals und gilt bis heute: Kein Staat teilt die Entscheidung über den Einsatz seiner Atomwaffe mit irgendeinem anderen, und sei es der beste Freund. Also wurde begonnen, eine Gleichberechtigung vorzutäuschen, die es nicht geben konnte.

In meinem Wahlkreis sah die so genannte Teilhabe so aus: In der Mitte lagen die Atomgranaten, gut bewacht von den Amerikanern vor den Deutschen, drumherum lagen die Deutschen und bewachten die Amerikaner. Von ihrer Feuerstellung nördlich des Nord-Ostsee-Kanals konnten die Geschütze gerade Lübeck und Hamburg erreichen. Natürlich blieben die Versuche des Bundeskanzlers Helmut Schmidt vergeblich, ob es ein deutsches Veto gegen ihren Einsatz geben konnte. Konsultationen wurden zugesagt, "falls es die Zeit erlaubt". Im Ernstfall, hatte Franz Josef Strauß gesagt, würde er befehlen, die Amerikaner zu überwältigen. Der Bundeskanzler hatte intern erklärt: Sein letzter Befehl an die Bundeswehr wäre Befehlsverweigerung gegen amerikanische Weisungen.

Atomwaffen - Ziele für Atomwaffen

Atomwaffen sind auch Ziele für Atomwaffen. Schweden hat deshalb, obwohl es über die technischen Fähigkeiten verfügte, auf die Herstellung der Bombe verzichtet. Für Deutschland kann man nicht von Verzicht sprechen. In Ost und West gab und gibt es die gemeinsame Auffassung, dass es keinen deutschen Fingernagel geben darf, der auch nur in die Nähe eines atomaren Startknopfs kommen darf. Was einige meiner Landsleute als "nukleare Teilhabe" immer noch bezeichnen, ist Selbstbetrug.

Die 20 Atombomben, die ein deutsches Luftwaffengeschwader befördern soll, sind ein Relikt aus dem Kalten Krieg. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie als Landsknechte der Luft amerikanischen Befehlen folgen, ohne dass die deutsche Regierung die Befehlsverweigerung übt.

Auch die Sorge, dass das Wissen um Herstellung der Bombe nicht in einer Truhe des Vergessens verschlossen werden kann, führte zu dem Konzept eines weltweiten Nichtverbreitungs-Vertrags. Seine Mitglieder sollten auf eigene Atomwaffen verzichten, die Kernenergie friedlich nutzen dürfen und erhielten das Versprechen der fünf Kernwaffenstaaten, nuklear abzurüsten. Dieses System ist in einen beunruhigenden Prozess der Erosion geraten.

Das Gegenteil von kühler Rationalität

Die beiden Giganten haben ihre Arsenale reduziert, aber verfügen immer noch über 90 Prozent der Sprengköpfe. Einige Atomstaaten rüsten sogar weiter auf. Andere Staaten fühlen sich diskriminiert; denn sie stellen fest, dass ein Staat, der sich die Atomwaffen verschafft hat, als unangreifbar gilt, jedenfalls mit Vorsicht behandelt wird - während etwa Iran mit Interventionen gedroht wird, bevor das Land diesen Zustand erreicht hat.

Was die Besitzer immer noch für die unentbehrliche Garantie ihrer Sicherheit halten, sollen andere nicht bekommen. Inzwischen ist fraglich geworden, ob Staaten, die über ein atomares Potential verfügen, wirklich gegenüber den nicht atomar bewaffneten Ländern eine entscheidende, politisch nutzbare Souveränität gewonnen haben.

Was im Kalten Krieg als bipolares Instrument der Disziplinierung der beiden gegeneinander gerichteten Lager funktioniert hat, taugt nicht mehr in einer unbestreitbaren multipolaren Welt. Darüber hinaus ist ein Element hinzugekommen, das unter der Bezeichnung al-Qaida für entstaatlichte Gewalt steht, die das Böse aus der Welt schaffen will, nämlich eine gottlose Lebensweise, der die Mehrzahl der Staaten anhängen.

"Die Prager Rede Obamas ist ein Glück"

Dieser Fundamentalismus ist das Gegenteil von kühler Rationalität. Er breitet sich aus. Es kann nur eine Frage der Zeit sein, wann er sich atomare Sprengmittel beschafft, und nicht zwischen Unsauberen und Sauberen unterscheidet, wenn er sie beim Einsatz gegen das Böse benutzen kann. Für das nächste Jahr ist eine Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungs-Vertrags vorgesehen. Ihre Teilnehmer werden unter ungewöhnlichem Druck stehen, wenn das atomare Thema geregelt werden soll, bevor es unregelbar wird.

Vier amerikanische Staatsmänner, gestählt in der Ära des bipolaren Gleichgewichts, haben vor zwei Jahren einen parteiübergreifenden Aufruf veröffentlicht, zu einem schrittweisen vollständigen Abbau der Atomwaffen. Einer von ihnen, Henry Kissinger, sagt, er fühle sich heute unsicherer als während des Kalten Krieges. Ich teile diese Analyse.

Anfang dieses Jahres haben vier ebenfalls nicht mehr in der Tagespolitik stehende Deutsche, ebenfalls parteiübergreifend den Aufruf unterstützt: Helmut Schmidt, Richard von Weizsäcker, Hans-Dietrich Genscher und ich. Wir betrachten die Rede Präsident Obamas in Prag als Glück, und nicht weniger, dass der russische Präsident Medwedjew das gleiche Ziel teilt. Ohne diese beiden Länder sind anderer Staaten überzeugende Schritte in dieser Richtung nicht denkbar. Die Zeit drängt.

Egon Bahr, Jahrgang 1922, war der Architekt der Ostpolitik des Bundeskanzlers Willy Brandt. Der Text basiert auf einer Rede, die Bahr vor einigen Tagen in der japanischen Botschaft in Berlin hielt.

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