Wein und Wärme:Prima Klima

Für die Winzer war das ungewöhnliche Wetter 2015 vermutlich Gold wert. Die Beeren sind oft kleiner ausgefallen als sonst, doch genau das verheißt einen großen Jahrgang, bei den Roten wie den Weißen.

Von Michael Frank

Über nichts wird schon lange vor seiner Reife so ausgiebig spekuliert wie über den Wein. Was sonst nährt eine eigene Beschreibungslyrik, die weit auspendelt zwischen Geschwätz und Poesie? Schon sehr früh hob das Deutsche Weininstitut, prominentester Lobbyist der Winzer, mit Hymnen auf den Jahrgang 2015 an. Jetzt ist fast alles gelesen, manches in Fass und Stahltank schon ausgegoren. Und siehe: Der 2015er kann als ein ganz großer gelten, sei er weiß oder rot.

Die frühe, eilige Blüte hatte noch Sorgen genährt. Aber dann haben Hitze und Trockenheit im Hochsommer, rettender Regen in August oder September, und zuletzt noch dieser Herbst, so golden wie nie, ausnahmslos allen Weinregionen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz Kreszenzen beschert, wie sie nur selten reifen. Alte Reben, die tief gründen, und solche auf schweren Böden haben das sommerliche Wüstenwetter schadlos bewältigt. Junge Reben und die auf sandigem, leichtem Grund musste man allerdings vielerorts bewässern, um dem Trockenstress zu wehren. Der große Vorteil des Extremklimas: Die Beeren bleiben kerngesund. Nassfäule oder Ähnliches konnte nicht aufkommen.

Keine faulen, keine Essigbeeren, schwärmt Hermann Dörflinger aus Müllheim im badischen Markgräflerland. Der renommierte Winzer folgt der Familientradition, die kräftigen Weißen dieser Region voll ausgären zu lassen. Dieses Jahr hielt sich sogar manchmal feine Restsüße, die der reinen Natur und keinen Kellermanipulationen zu danken ist. Dörflingers Fazit: "Wer mit dem Fuffzehner keinen erstklassigen Wein zustande bringt, sollte den Beruf wechseln." Der Rote ist recht dickschalig ausgefallen. Das Beerenfleisch bringt den Zucker und damit den Alkohol, in der Schale aber lagern sich Mineralien, Tannine und andere wundersame Ingredienzien an, die Charakter, Körper und Eleganz bestimmen. So bestätigt das auch Maté Klikovitz, dessen Blaufränkisch aus Zagersdorf im ostösterreichischen Burgenland mehr auf Eleganz denn Bombast setzt.

Die Klimabesonderheiten dieses Jahres haben den Wein allüberall kleinbeeriger ausfallen lassen. Rot wie Weiß sammeln so höheres Konzentrat all jener Stoffe an, die aus Wein erst die betörende Essenz machen, die uns mehr sinnlich als alkoholisch berauscht. Dafür aber, und auch das gilt 2015 für fast ganz Europa, ist die Erntemenge geringer ausgefallen.

Das Spiel der Säuren macht einen Wein erst delikat und glanzvoll. Zu viel Som-mer kann dem schaden. Um das Mostgewicht nicht zu hoch, die Säurewerte nicht zu flach werden zu lassen, setzte man die Lese recht früh an. Hier zeichnen sich für die Zukunft unerfreuliche Folgen des Klimawandels ab: Kommen die Trauben aus Sorge um Alkoholgrade und Säurekostüm zu früh vom Stock, wird Wein schmaler und langweiliger. In diesem Ausnahmejahrgang ist das Winzern und Zechern erspart geblieben, was ihn nach Expertenurteil größer machen kann als den des Extremjahres 2003. Was übrigens heute, Ende November, noch am Stock hängt, ist die Hoffnung auf reichlich Eiswein.

Das Ausnahmeklima hat sogar Auslesen in Fülle reifen lassen, so wünscht man sich zur Krönung alsbald knackigen Nachtfrost.

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