Bundespräsident:"Sprachlosigkeit heißt Stillstand"

German President Frank-Walter Steinmeier poses after the recording of the traditional Christmas message at Bellevue Palace in Berlin

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier

(Foto: REUTERS)

Frank-Walter Steinmeier appelliert in seiner Weihnachtsansprache an die Bürger, mehr miteinander zu reden - und zuzuhören: "Sprechen Sie mit Menschen, die nicht Ihrer Meinung sind!"

Von Nico Fried, Berlin

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Bürger zu mehr politischer Debatte aufgefordert. "Wir müssen wieder lernen zu streiten, ohne Schaum vorm Mund, und lernen, unsere Unterschiede auszuhalten", sagte Steinmeier in seiner Weihnachtsansprache laut vorab verbreitetem Redetext. Dies sei das Schöne, aber auch das Anstrengende an der Demokratie. "Wer Streit hat, kann sich auch wieder zusammenraufen", so der Bundespräsident. "Aber wer gar nicht spricht und erst recht nicht zuhört, kommt Lösungen kein Stück näher. Sprachlosigkeit heißt Stillstand."

Steinmeier äußerte sich beunruhigt über Entwicklungen in anderen Staaten. "Wir haben brennende Barrikaden in Paris erlebt, tiefe politische Gräben in den USA, Sorgen in Großbritannien vor dem Brexit, Zerreißproben für Europa in Ungarn, Italien und anderswo." Dies zeige, "was passiert, wenn Gesellschaften auseinanderdriften, wenn eine Seite mit der anderen kaum noch reden kann, ohne dass die Fetzen fliegen".

Nach seinem Eindruck sprächen auch die Deutschen immer seltener miteinander. "Und noch seltener hören wir einander zu." Statt dessen werde, vor allem in den sozialen Medien "gegiftet", so der Bundespräsident. "Da ist Lärm und tägliche Empörung." Noch mehr als dieser Lärm erfülle ihn jedoch "das Schweigen von vielen anderen" mit Sorge.

Immer mehr Menschen zögen sich zurück unter ihresgleichen, "zurück in die eigene Blase, wo alle immer einer Meinung sind - auch einer Meinung darüber, wer nicht dazugehört", so Steinmeier. "Nur, so sehr wir uns über andere ärgern oder sie uns gleich ganz wegwünschen, eines gilt auch morgen noch: Wir alle gehören zu diesem Land - unabhängig von Herkunft oder Hautfarbe, von Lebensanschauung oder Lieblingsmannschaft."

Die Demokratie sei "immer so stark, wie wir sie machen"

Steinmeier hatte sich in den vergangenen Monaten immer wieder für mehr Austausch ausgesprochen, um das gegenseitige Verständnis zu fördern und Vorurteile abzubauen. Der Bundespräsident hielt mehrere Reden zu diesem Thema und veranstaltete ein Treffen mit Nachbarn aus der unmittelbaren Umgebung seines Amtssitzes in Berlin mit unterschiedlicher Herkunft.

In seiner Weihnachtsansprache appellierte Steinmeier an seine Zuhörer: "Sprechen Sie mit Menschen, die nicht Ihrer Meinung sind! Sprechen Sie ganz bewusst mal mit jemandem, über den Sie vielleicht schon eine Meinung haben, mit dem Sie aber sonst kein Wort gewechselt hätten."

Die Demokratie sei "immer so stark, wie wir sie machen". Dabei bestehe auch die Gefahr, "dass auch der andere mal Recht haben könnte". Am Ende einen Kompromiss zu finden, sei aber keine Schwäche, sondern die Stärke der Demokratie. Die Ansprache des Bundespräsidenten ist am ersten Weihnachtsfeiertag in mehreren Fernsehsendern zu sehen.

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