Weihnachten:Im Anfang ist das Wort

Papst Franziskus

Papst Franziskus warnte in diesem Jahr aus erschütterndem Anlass vor einer Globalisierung der Gleichgültigkeit.

(Foto: dpa)

Mit Worten kann Heil wie Unheil anfangen. Vor hundert Jahren begann damit das Unheil. Die Weihnacht 1913 war die letzte vor dem Großen Krieg, in der Krippe lagen tödliche Worte. Im ablaufenden Jahr fehlte es an manch aufklärendem Wort. Doch 2013 war auch ein Jahr der guten, schöpferischen Worte. Papst Franziskus hat solche Worte auf Lampedusa gesprochen: über die Nächstenliebe und den Protest gegen den Tod.

Ein Kommentar von Heribert Prantl

Es gibt nur zwei Themen, über die zu sprechen sich wirklich lohnt: die Liebe und der Tod. Das ist kein Satz, der üblicherweise auf die Weihnachtskarten geschrieben wird; dort steht meist einfach: "Frohe Weihnachten" oder "Gesegnetes Fest". Was tut man also, wenn man in seinem Kartenstapel mit gedruckten Tannenbäumen, Weihnachtskugeln und Schweifsternen so ein tiefes Wort, so einen durchdringenden Satz findet? Man erschrickt. "Es gibt nur zwei Themen, über die zu sprechen sich wirklich lohnt": Ist das ein Glückwunsch, oder ist das eine Drohung?

So ein Wort reißt aus der Besinnlichkeit in die Besinnung. Das aber ist nicht das Schlechteste, was dem Menschen an Weihnachten passieren kann - dass ihm ein Wort beschert wird, das ihn aus dem allgemeinen Trott und dem persönlichen Tohuwabohu befreit; vielleicht nur für ein paar Stunden, aber immerhin. Worte haben Kraft, Worte können helfen, Worte können heilen, mit Worten kann eine neue Welt beginnen.

"Im Anfang war das Wort." So beginnt das Weihnachtsevangelium des Evangelisten Johannes. Es ist dies nicht das klassische Weihnachtsevangelium, nicht die Geschichte mit Stall und Krippe, die jeder kennt. Beim Evangelisten Johannes gibt es all das nicht. Es gibt bei ihm, anders als bei seinem Kollegen Lukas, keine Hirten und keine Engel, die die heilige Geburt verkünden.

Aber auch Johannes spricht von einer Geburt; er spricht von der Geburt einer neuen Welt. Er zitiert in seinem Weihnachtsevangelium die ersten Worte der Bibel, die Genesis: "Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde; die Erde war wüst und wirr." Wo Wirrnis ist, schafft Gott also Ordnung - er erschafft den Tag und die Nacht, das Meer und das Land, die Himmelsgestirne, Fauna, Flora und schließlich den Menschen. Geschaffen wird eine bewohnbare Welt. Und jeweils beginnt der Schöpfungsgott sein neues Werk mit dem Wort: "Es werde!"

Der Mensch braucht Heimat

Diese Schöpfungsgeschichte ist kein naturwissenschaftliches Protokoll über die Erdentstehung. Es geht nicht darum, wie Natur und Mensch entstanden sind. Es geht darum, wie die Welt sein muss, auf dass der Mensch darin leben kann. Die Botschaft ist: Der Mensch braucht Ordnung im Chaos; er braucht eine Lebensgrundlage; er braucht Heimat; es muss Transparenz in undurchsichtige Zustände und Recht in die Willkür. Das ist gemeint mit der Erschaffung des Lichts.

Es geht also um Bedingungen, die Leben überhaupt möglich machen - nicht nur am Nullpunkt der Zeit, sondern immer und immer wieder: Anfang ist immer wieder. Schöpfung ist nicht etwas, das einmal war; sie muss tagtäglich neu geschehen, um Leben in einer Welt von Krieg, Not, Gewalt und Ungerechtigkeit möglich zu machen.

Schöpfung ist das, was im anderen Weihnachtsevangelium, im Lukasevangelium, die Engel verkünden: "Friede den Menschen auf Erden". Das gilt nicht nur in Syrien und Afghanistan; es gilt auch mitten in Europa. Es gibt überall unfriedliche Leben.

Die Kraft anderer Worte

Es ist kein biblischer Flüchtigkeitsfehler, wenn Gott in der Schöpfungsgeschichte erst das Licht schafft und dann die Sonne. Das zeigt nur, dass dem biblischen Geschichtenerzähler die Logik egal ist. Es geht ihm um etwas anderes: Als die Schöpfungsgeschichte aufgeschrieben wurde, waren die Israeliten in der babylonischen Gefangenschaft. Die Sonne wurde von den Babyloniern als Gott verehrt, und sie zwangen die Israeliten, dabei mitzumachen.

Sie setzten dem ihre Schöpfungsgeschichte dagegen, etwa so: "Lasst euch nicht einschüchtern, Leute, die Sonne ist kein Gott; unser Gott, der Ewige, hat sie als Laterne aufgehängt, dass sie euch leuchtet."

Das war eine freche herrschaftskritische Ironie, das war die Entthronung des Gottes der Feinde. Sie hatte Kraft, sie sicherte in der babylonischen Gefangenschaft das Überleben und die Identität. Das heißt: etwas zu kritisieren, etwas zu benennen, andere Worte für ein Ding zu finden - das kann ein politischer, ein aufklärerischer, ein befreiender Akt sein.

Mit Worten kann Heil wie Unheil anfangen. Vor hundert Jahren begann damit das Unheil. Die Weihnacht vor hundert Jahren, die Weihnacht 1913, war die letzte Weihnacht vor dem Großen Krieg. In der Krippe lagen tödliche Worte. Selbst die großen Dichter und Denker predigten den Krieg herbei als die angeblich große Reinigung, Befreiung und Erlösung.

Warten auf den Versuch eines Trostes

Fast alle Welt glaubte damals, Krieg sei ein Akt der Schöpfung. Aber die Weihnachtsgeschichte wusste, weiß und erzählt davon, dass es genau anders ist. Sie ist die Gegengeschichte zur Krieg-schafft-Frieden-Weltmacht-Politik, damals der Römer. Die Weihnachtsgeschichte sagt: Glaubt dieser Lüge nicht. Sie sagt: Solange der Tod Leben und der Hass Liebe genannt wird, solange gesagt wird, das Ergebnis der richtigen und der richtig geführten Kriege sei Frieden und Erlösung - solange werden die Kriege nie aufhören.

Die Welt hat denn auch erlebt, wie der Erste Weltkrieg in den Zweiten, in die NS-Verbrechen und in den völligen Zusammenbruch Deutschlands mündete. Europa und die Welt mussten neu erschaffen werden nach diesen Kriegen.

Vor fünfzig Jahren wartete die Welt dann darauf, dass im Auschwitz-Prozess ein menschliches Wort fiele: "Die Welt würde aufatmen" und "die Luft würde gereinigt", sagte Generalstaatsanwalt Fritz Bauer damals. Doch auf ein Geständnis der KZ-Mörder wartete er vergebens. Auf ein aufklärendes Wort, den Versuch eines Trostes, warten bisher auch die Angehörigen der Opfer im Münchner NSU-Prozess vergebens. Die Angeklagte feixt und schweigt.

Liebe als Trost gegen den Tod

Im Anfang war - nein: im Anfang ist das Wort. Das Jahr 2013 war ein Jahr auch der guten, schöpferischen Worte. Papst Franziskus hat solche Worte gesprochen. Sie hatten zwei Themen: die Nächstenliebe und den Protest gegen den Tod. Er hat, als er auf Lampedusa der ertrunkenen Flüchtlinge gedachte, vor der "Globalisierung der Gleichgültigkeit" und einer Gewöhnung an das Leiden des Nächsten gewarnt und gefragt: "Wer hat über die Menschen geweint, die in den Booten waren?"

Franziskus hat die Klage über das Flüchtlingselend wenig später eingebettet in seine große Anklage gegen einen mörderischen Kapitalismus. Weihnachten 2013: Heute wäre der Stall ein Flüchtlingskahn; und die Hirten und die Drei Könige, sie kämen heute mit dem Rettungsboot. Bethlehem: Das sind heute die Inseln im Mittelmeer. Bethlehem heißt heute Lampedusa oder Leros oder Chios.

Es gibt nur zwei Themen, über die zu sprechen sich wirklich lohnt: die Liebe und der Tod. Manchmal verbindet das kraftvoll-schöpferische Wort den Tod und die Liebe und macht so neue Hoffnung. Denn die Liebe ist der Einspruch und oft der einzige Trost gegen den Tod, weil in ihr die Kraft des Anfangs steckt.

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