Bundeswehr:"Unter einer Jahrhundert-Reform geht nichts"

Gegen massiven Widerstand setzte Verteidigungsminister Guttenberg den Abschied von der Wehrpflicht durch - und räumt mit manchen Klischee auf.

Peter Blechschmidt und Stefan Braun

Einem Sieger steht Demut gut an. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) zeigte diese Woche in der Haushaltsdebatte des Bundestags eine bislang unbekannte Seite seines Wesens. Die Bundeswehr stehe vor einer ihrer größten Herausforderungen, beschrieb Guttenberg die anstehende Streitkräfte- Reform. Diese Reform baue auf den "mutigen Schritten" seiner Vorgänger Franz Josef Jung, Peter Struck, Rudolf Scharping und Volker Rühe auf, und dafür bedanke er sich. Wenig später dankte er auch noch den Fachpolitikern, den Fraktionsvorsitzenden und den Berichterstattern im Haushaltsausschuss für die bisherige "Begleitung".

German Defence Minister zu Guttenberg makes point during speech at Bundestag in Berlin

German Defence Minister zu Guttenberg makes point during speech at Bundestag in Berlin German Defence Minister Karl-Theodor zu Guttenberg makes a point during his speech at the German lower house of parliament Bundestag in Berlin, September 15, 2010. REUTERS/Tobias Schwarz (GERMANY - Tags: POLITICS)

(Foto: REUTERS)

Lange Zeit hatte Guttenberg den Eindruck erweckt, er habe von seinen Vorgängern einen völlig maroden Laden übernommen und es brauche einen Herkules wie ihn, um diesen Saustall endlich auszumisten. Guttenberg galt als hochfahrend. "Er hat Fans, aber keine Freunde", sagte noch vor wenigen Wochen ein CDU-Abgeordneter. "Der schwebte immer über den Wassern, hat viele Leute düpiert", räsonierte ein anderer.

Umso erstaunlicher ist es, wie der Baron es geschafft hat, binnen dreier Monate in CDU und CSU den fundamentalen Sinneswandel in Sachen Wehrpflicht herbeizuführen - bei einem Thema, das Guttenbergs Parteivorsitzender Horst Seehofer noch Ende Juni zur "Identitätsfrage" der CSU erhoben hatte. Inzwischen sind auch die Verfechter der Wehrpflicht reihenweise umgefallen. Ernsthafter Widerstand gegen die Aussetzung des Zwangsdienstes, die de facto dessen Abschaffung bedeutet, ist auf den Parteitagen der CSU im Oktober und der CDU im November nicht mehr zu erwarten.

Das hatte Anfang Juni, als Guttenberg die Wehrpflicht-Debatte anzettelte, noch ganz anders geklungen. Von einem Angriff auf einen "Markenkern" der Union war da die Rede, von Überrumpelungsmanövern und von einer "Achterbahn der Argumente", hatte doch Guttenberg selbst noch am 8. Mai im CSU-Organ Bayernkurier versichert, es gebe "für mich überhaupt keinen Grund", von der Wehrpflicht abzurücken.

Keine drei Wochen später begann die Absetzbewegung. In seiner denkwürdigen Rede vor Bundeswehr-Kommandeuren in Hamburg am 26. Mai, bei der er die verfügbaren Haushaltsmittel zur Mutter aller Bundeswehrplanungen erhob, machte er auch vor der Wehrpflicht nicht halt. Angesichts der knappen Kassen werde "der Fortbestand der Wehrpflichtzur Gretchenfrage hochstilisiert werden", prophezeite der Freiherr.

Wenige Tage später - welch ein Zufall, für das folgende Wochenende war die große Sparklausur des Bundeskabinetts angesetzt - wurden Planspiele aus Guttenbergs Ministerium bekannt, wonach mit der Aussetzung der Wehrpflicht auf der Stelle 412 Millionen Euro pro Jahr eingespart werden könnten. "Guttenberg will Wehrpflicht abschaffen", lauteten prompt die Schlagzeilen. Mancher Unionspolitiker habe ihn am Telefon angebrüllt wie ein Ochse, erzählte Guttenberg. "Über Nacht so eine Reform - das kommt gar nicht in Frage", so ließ Unionsfraktionschef Volker Kauder intern seinem Zorn über den Jungspund freien Lauf.

In der Kabinettsklausur habe sich Guttenberg dann - so verbreiteten Koalitionäre genüsslich - wie "Rumpelstilzchen" aufgeführt und sogar mit Rücktritt gedroht, falls man nicht seiner Linie folge, dass nennenswerte Einsparungen nur bei Aussetzung der Wehrpflicht zu erzielen seien. "Seine Botschaft war: Ich mache eine Jahrhundertreform, drunter geht gar nichts", schildert einer aus der CDU-Spitze, der dabei war: "Das war für viele bei uns zu dick aufgetragen."

Ungerührt verlangten Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble, Guttenberg solle bis Anfang September prüfen, welche Folgen eine Reduzierung der Streitkräfte um bis zu 40000 Berufs- und Zeitsoldaten hätte. Immerhin machte die Kanzlerin deutlich, bei diesen Reformüberlegungen dürfe es "keine Denkverbote" geben, die Wehrform eingeschlossen.

"Das war die Lizenz zur Abschaffung", sagt heute resignierend ein Verfechter der Wehrpflicht. Das sah Guttenberg auch so. Systematisch begann der Minister seinen Feldzug.

Sachlicher Stimmungswechsel

Er gab Interviews in Serie, er besuchte Parteizirkel - manchmal sogar, noch in Khakihose und Bundeswehr-T-Shirt, direkt von der Truppenbetreuung in Afghanistan kommend. Er reiste von einem Standort zum anderen, um den Soldaten seine Ideen zu erläutern - und natürlich den Reportern, die stets in großer Zahl mit von der Partie waren. Es konnte passieren, dass Bundestagsabgeordnete ein Telefongespräch abbrachen, weil gerade "der Minister" auf dem Handy anrief. "Auf einmal machte er den Eindruck, als höre er zu. Das hat er bis Mai nicht gemacht," sagt ein Parteifreund. Und bis in die letzten Tage hinein begann er nicht selten seine Erklär-Runden mit der Botschaft, der Start in seine Reform, naja, sei ein bisschen holprig gewesen.

"Er hat den Stimmungswechsel bewirkt, indem er sachlich informiert und auf jedes Pathos verzichtet hat", beschreibt der CDU-Abgeordnete und Oberst a.D. Roderich Kiesewetter die Taktik des Ministers. Den Fakten - vom Kostendruck bis zum demographischen Faktor, der in Zukunft ohnehin nur noch eine Armee von 180000 Mann zulassen werde - hatten die meist emotional argumentierenden Befürworter der Wehrpflicht nichts entgegenzusetzen. Auch sein hohes Ansehen in der Öffentlichkeit und bei den Soldaten machten es seinen Gegnern schwer. "Ein weniger charismatischer Politiker hätte sich vielleicht nicht so leicht durchsetzen können", sinniert ein Parlamentarier.

Guttenberg gelang es auch, so berichten Abgeordnete, seinen eigenen Sinneswandel glaubhaft zu begründen. Er war ja kein geringes Risiko eingegangen. Noch im August schloss so mancher in Ministerium und Fraktion nicht aus, dass Guttenberg am Ende des Jahres würde zurücktreten müssen, wenn er mit seinen Reformplänen scheitern sollte.

Umgekehrt hatten wohl die Befürworter der Wehrpflicht ihren Rückhalt in der Partei überschätzt. Eines ihrer Hauptargumente, dass die Wehrpflicht der Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft diene, erwies sich als nicht mehr tragfähig. Und das als Gefahr beschworene Bild einer Berufsarmee als Staat im Staate ist veraltet.

Derweil outeten sich die Guttenberg- Anhänger. Fraktionsvize Andreas Schockenhoff plädierte für den freiwilligen Wehrdienst, der Vorsitzende der CSU- Landesgruppe im Bundestag, Hans Peter Friedrich, sagte öffentlich, so wie bisher gehe es mit der Wehrpflicht nicht weiter. Unterstützung fand Guttenberg bei den CSU-Frauen, und selbst die Hardliner in der Münchner Landtagsfraktion drehte er um. Da musste auch Seehofer einsehen, dass er auf verlorenem Posten stand. Bei einem Treffen Anfang September in München vereinbarten Seehofer und Guttenberg, dass der CSU-Chef sich in Kürze erklären werde, was er eine Woche später im Spiegel dann auch tat.

Jetzt räumen führende Politiker in der Union ein, dass eigentlich nur einer wie Guttenberg diesen Kraftakt schaffen konnte. "Er hat kein Weichei-Image, und er fremdelt nicht im Milieu", heißt es in der CDU-Spitze. Es sei ihm überdies gelungen, Aufregungen zu verhindern: "Wir befürchteten einigen Widerstand - und haben bis jetzt so gut wie keinen bekommen." Wer sich so durchsetzt, kann sich leicht demütig zeigen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: