Wehrhahn-Prozess:Der Mann, der nichts sagte

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Ein Zeuge soll den Angeklagten belasten. Doch vor Gericht mag er sich nicht äußern - und kommt in Beugehaft.

Von Joachim Käppner, Düsseldorf/München

Sollte die Nachricht zutreffen, müsste sich die 1. große Strafkammer des Düsseldorfer Landgerichtes fragen, ob sie gut beraten war, den Angeklagten aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Seit gut vier Wochen ist Ralf S. wieder auf freiem Fuß. Der Prozess, in dem der frühere Soldat angeklagt ist, im Juli 2000 aus fremdenfeindlichen Motiven in Düsseldorf-Wehrhahn eine Bombe ferngezündet und zehn Menschen zum Teil schwer verletzt zu haben, läuft jedoch weiter. Nun hat eine Zeugin, die ehemalige Ehefrau von S., der Polizei berichtet, S. habe am Montag nach ihrer Aussage in der Parkgarage auf sie gewartet und sie trotz eines bestehenden Kontaktverbotes im Auto verfolgt. Sie will davon Fotos gemacht haben. Der Polizei sagte sie, sie habe große Angst, S. könne ihren Wohnort erfahren.

S., 51, hat stets bestritten, irgend etwas mit dem Anschlag zu tun zu haben, der Sprachschüler aus Osteuropa getroffen hatte, viele von ihnen jüdischer Herkunft. Zur allgemeinen Überraschung erklärte die Kammer im Mai, weder seien die Belastungszeugen glaubhaft noch die Indizien stichhaltig genug, um den Angeklagten weiterhin wegen dringenden Tatverdachts im Gefängnis zu behalten. Sie glaubte weder dem früheren Mithäftling L., demzufolge S. 2014 mit der Tat geprahlt habe, noch der Exfreundin des Angeklagten, die nach 18 Jahren erstmals aussagte, sie habe die Bombe in der Küche von S. gesehen. Dann aber überschlugen sich die Ereignisse. Kaum lief im Mai die Nachricht von S.' Entlassung durch die Medien, meldete sich ein weiterer ehemaliger Mithäftling bei der Justiz und gab an, S. habe ihm gegenüber kurz zuvor die Tat vom Juli 2000 bekannt, weil er ihn fälschlich für einen rechtsextremen Gesinnungsfreund gehalten habe. Der Mithäftling sitzt ein, weil ihn ein Verfahren wegen Geiselnahme und Drogendelikten erwartet. Außerdem sagte er aus, S. habe ihm angekündigt, den Vertreter der Anklage im Wehrhahn-Verfahren ermorden zu wollen. Der Staatsanwalt, der von der Schuld des Angeklagten überzeugt bleibt, zeigte sich wenig amüsiert, als ihn die Nachricht von dem angeblichen Mordplan mit elf Tagen Verspätung erreichte. Am Donnerstag kam nun der mit Spannung erwartete neue Zeuge - und sagte kein Wort. Der Mann, der im Rollstuhl erschien, reagierte nicht auf Fragen des Vorsitzenden. Der Zeuge habe um Schutz für sich und seine Familie gebeten, sagte der Staatsanwalt, und habe zuvor angedroht, die Aussage zu verweigern, wenn ihm kein Schutz gewährt werde. So blieb offen, ob der Mann wirklich weitere belastende Aussagen machen wollte, wie er angekündigt hatte. Das Landgericht verhängte daraufhin sechs Monate Beugehaft gegen den Zeugen, der offenbar Angst vor S. hatte. Ob sich so die Aussagebereitschaft eines psychisch angeschlagenen Mannes, der ohnehin im Gefängnis sitzt, erhöhen lässt, wird sich zeigen. Aus der Vertretung der Nebenklage wurde vergeblich gegen die Beugehaft argumentiert: Der Zeuge verweigere die Aussage ja keineswegs grundlos, sondern weil er sich bedroht fühle. Die Zeugin wiederum, die sich an die Polizei wandte, hatte ihren Ex-Mann, mit dem sie drei Kinder hat, am Montag zwar nicht in der Sache selbst belastet, aber das Bild eines gewalttätigen, unberechenbaren Mannes gezeichnet. Ihrer Aussage zufolge habe am Steuer des Wagens, der ihr vom Parkplatz aus gefolgt sei, einer seiner Verteidiger gesessen und S. neben ihm. Die Polizei hatte die Aussage an das Gericht weitergeleitet. Der Anwalt bestritt den Vorwurf: Man sei lediglich eine Zeit lang zufällig die gleiche Strecke durch die Stadt gefahren, schließlich aber in unterschiedliche Richtungen abgebogen. Ein Nebenkläger kündigte am Donnerstag an, den Ausschluss dieses Verteidigers aus dem Verfahren zu beantragen.

© SZ vom 15.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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