Wehrbericht 2017:Bundeswehr hat "große Lücken bei Personal und Material"

Lesezeit: 4 min

Techniker warten einen Hubschrauber vom Typ CH-53 auf dem damaligen Heeresflugplatz im baden-württembergischen Laupheim (Archivbild von 2011) (Foto: picture alliance / dpa)
  • Der neue Bericht des Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels zeichnet ein ungutes Bild der Lage bei der Truppe.
  • Lücken bei Personal und Material sollen zum Teil noch größer geworden seien als bislang schon. Soldaten sind überlastet.
  • Nach mehreren verstörenden Vorfällen bei der Bundeswehr widmet sich der Bericht speziell auch dem Bereich der Inneren Führung.
  • Derweil wird ein neuer Vorfall in Pfullendorf bekannt, bei dem mehrere Soldaten zusammengebrochen sein sollen.

Mit dramatischen Worten beschreibt der Wehrbeauftragte des Bundestags den Zustand der Bundeswehr. In seinem am Dienstag präsentierten Jahresbericht beklagt der SPD-Politiker Hans-Peter Bartels, dass die Lücken bei Personal und Material zum Teil noch größer geworden seien.

Seit Tagen berichten verschiedene Zeitungen über fehlende Zelte sowie die fehlende Zahl einsatzbereiter Kampfpanzer, wodurch die geschäftsführende Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in die Kritik gerät. Die Einsatzbereitschaft der Waffensysteme bezeichnet Bartels als "dramatisch niedrig"; zugleich habe sich die enorme personelle Unterbesetzung verstärkt.

Bundeswehr
:Kaputte Truppe

Bessere Waffen und mehr Schutzwesten - Ursula von der Leyen hat viel versprochen und noch nicht viel gehalten. Warum sie trotzdem Verteidigungsministerin bleiben sollte.

Kommentar von Christoph Hickmann

Viele Soldaten sind nach Einschätzung des Wehrbeauftragten überlastet und frustriert. Die eingeleiteten Trendwenden müssten "deutlich mehr Fahrt aufnehmen", so die Forderung. Wichtige Aspekte des 120 Seiten starken Dokuments:

Material und Infrastruktur

Der Bericht bestätigt Medienberichte über die umfassenden Materialprobleme der Bundeswehr. Hubschrauber: "Mangelware". Verfügbarkeit von U-Booten: "prekär". Die Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme: "dramatisch niedrig" . Aufrüstung der Leopard-Panzer: "viel zu schleppend". Anzahl der Fahrzeuge: nur 95 von 244 einsatzbereit. Selbst an Zeckenschutzkleidung mangelt es.

Der Wehrbeauftragte beschreibt, wie die Truppe im Ausland den Lufttransport anderer Nationen nutzen muss, wie Bataillone einander gegenseitig Waffen ausleihen, wie es an Übungs- und Ausbildungsmaterial fehlt. Dass zwei Piloten 2017 einen Hubschrauberunfall mit Totalschaden hatten, führt Bartels auf mangelndes Training in Maschinen dieses Typs zurück. Aber immerhin seien die Soldaten mit neuen Kampfstiefeln ausgestattet worden, die gut ankämen.

Auch die Infrastruktur ist in Teilen marode. Dem Bericht zufolge schildern Soldaten eines Kampfhubschrauberregiments "eindrücklich, dass sie sich aufgrund des schlechten Zustands einiger ihrer Gebäude schämten, wenn sie Gäste bekämen".

Personal und Bürokratie

Wie beim Material sind auch die Lücken beim Personal weiterhin groß. Nach wie vor herrsche "eine enorme personelle Unterbesetzung". 21 000 Posten von Offizieren und Unteroffizieren seien nicht besetzt. Die Soldaten seien überlastet. Auch die Ausbildung leide unter fehlendem Personal.

Der Bericht bemängelt zudem eine zunehmende "Bürokratisierung" und "Zentralisierung". Sie führten zu "Verantwortungsdiffusion" und "Absicherungsdenken". Mit anderen Worten: Keiner fühlt sich mehr verantwortlich.

Rechtsextremismus

Laut Wehrbericht verzeichnete der Militärischen Abschirmdienst MAD 2017 im Bereich Rechtsextremismus 379 neue Verdachtsfälle. 2016 waren es 230. Im Bereich Islamismus bearbeitete das Amt 46 neue Verdachtsfälle (2016: 50). Besondere Erwähnung findet der Fall von Franco A., jenem Bundeswehroffizier, der wegen Terrorverdachts festgenommen worden war, weil ihm eine "schwere staatsgefährdende Straftat" vorgeworfen wurde. Ende November hob der Bundesgerichtshof den Haftbefehl auf. A. hatte sich als Flüchtling ausgegeben und sich unter anderem ein Handbuch für Dschihadisten besorgt ( mehr Details in diesem SZ-Artikel)

Bei vielen im Berichtsjahr durch die Bundeswehr gemeldeten Verdachtsfällen habe es sich um sogenannte Propagandadelikte gehandelt. Dazu zählen laut Wehrbericht fremdenfeindliche und antisemitische Äußerungen sowie "das Hören von Musik mit extremistischen Inhalten, das Zeigen des Hitlergrußes sowie Hakenkreuzschmierereien in den Kasernen, 'Sieg-Heil'-Rufe'. Der SPD-Politiker Bartels verweist darauf, dass Soldaten auch "auf Mobiltelefonen, auf Facebook und in Whatsapp-Gruppen" Bilder, Texte und Musik mit extremistischen Inhalten verbreitet hätten.

  • Ein Oberleutnant sagte (...) zu einem Hauptgefreiten mit türkischem Migrationshintergrund: "Sie wissen ja, was ich von Ihnen und Ihrer Arbeit halte, generell von allen Türken, die wir hier haben. Die sollten alle wieder zurück." Er erhielt eine empfindliche Geldbuße.
  • Ein Hauptgefreiter äußerte sich auf dem Truppenübungsplatz mehrfach frauenfeindlich und antisemitisch. Wörtlich sagte er: "Eine Frau ist nichts wert. Wenn ich Jude wäre, würde ich mich sofort abstechen. Ich hasse Juden." Der Soldat wurde fristlos entlassen.
  • Ein Hauptfeldwebel versandte über Whatsapp ein Bild einer Weihnachtspyramide mit der Figur von Adolf Hitler. Unter dem Bild stand als Text: "... und einen schönen Grrruss von mirrr!" Einige Tage später schickte er an die gleiche Gruppe nochmals ein Bild, auf dem Hitler und weitere Nationalsozialisten mit Hitlergruß abgebildet sind, mit der Aufschrift: "Guten Rutsch Kameraden!" Gegen den Soldaten wurde eine empfindliche Geldbuße verhängt.

Zudem seien auch einige Soldaten gemeldet worden, die offensichtlich der Reichsbürgerbewegung oder der "Identitären Bewegung" zuzurechnen waren. So habe ein Gefreiter an einer Kundgebung der "Identitären" teilgenommen.

Übergriffe

Mehr als 4000 Mal haben Soldaten dem Wehrbeauftragten Probleme gemeldet. Davon wiesen 305 auf Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung hin. Die geschilderten Fälle sind verstörend. Die Betroffenen wurden gemobbt, genötigt und bei Beschwerden von ihren Vorgesetzten nicht ernst genommen. Hinzu kamen Übergriffe mithilfe sozialer Medien. So teilte ein Soldat ein Nacktfoto seines Gruppenführers ohne dessen Einwilligung in einer Whatsapp-Gruppe. Ein anderer postete betrunken ein Foto von G-20-Gegnern auf Facebook und drohte den "hirnlosen Pissnelken", es werde Zeit, dass die Polizei mit Maschinengewehren ausgestattet werde.

Dass sich die Anzahl der Fälle im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt hat, muss nicht unbedingt heißen, dass es tatsächlich mehr Straftaten gab. Sie könnte auch Resultat eines geänderten Anzeigeverhaltens sein. Nachdem öffentlich viel über den Umgang der Soldaten miteinander diskutiert wurde, könnte die Scheu vor einer Meldung oder einer schriftlichen Eingabe gesunken sein.

Breiten Raum widmet der Wehrbeauftragte im Bericht und in seiner Rede auch der Diskussion um "Führung und Haltung" in der Bundeswehr. Laut Bartels sahen sich 2017 zahlreiche Soldatinnen und Soldaten "einem Generalverdacht gegen alle Bundeswehrangehörigen ausgesetzt". Das Misstrauen sei deutlich spürbar. Er erinnert an jene Fälle, die im vergangenen Jahr für großes mediales Aufsehen gesorgt hätten: Pfullendorf, Munster, Illkirch und Sondershausen.

Im französischen Illkirch war der terrorverdächtige Franco A. stationiert gewesen, während im niedersächsischen Munster Offiziersanwärter bei einem Fußmarsch bewusstlos zusammengebrochen und später gestorben war. Im thüringischen Sondershausen sei es zu "erniedrigenden Aufnahmeritualen unter Mannschaftssoldaten" und überzogenen Ausbildungsmethoden gekommen.

Die Vorgänge im Ausbildungszentrum Spezielle Operationen in Pfullendorf beschreibt der Bericht auf plastische Art: "Bei sogenannten Taufen wurden Kameraden aus ihren Stuben geholt, in den Duschraum gebracht und dort mit kaltem Wasser abgespritzt. In mindestens zwei Fällen wurden den Betroffenen Stiefelbeutel über den Kopf gezogen, ihre Hände mit Klebeband fixiert und das Prozedere gefilmt." Verteidigungsministerin von der Leyen hatte die Vorgänge als "abstoßend und widerwärtig" bezeichnet.

Neuer Vorfall bei Ausbildung in Pfullendorf

An diesem Dienstag wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft die Aufnahme von Ermittlungen wegen möglicherweise neuer Verfehlungen bei der Ausbildung junger Soldaten in Pfullendorf prüft. Das sagte ein Sprecher der zuständigen Behörde in Hechingen (Zollernalbkreis). Zuvor hatte Spiegel Online darüber berichtet.

Nach Angaben der Bundeswehr fand beim Ausbildungszentrum Spezielle Operationen in Pfullendorf Anfang Januar ein Geländelauf statt, den sechs Soldaten aufgrund von körperlicher Erschöpfung oder Verletzung abbrachen. Ein Soldat sei vorsorglich zur weiteren medizinischen Behandlung in ein nahe gelegenes Krankenhaus gebracht worden.

Das Heer sei bereits dabei, "die Umstände, die dazu führten, umfassend zu ermitteln", teilte ein Bundeswehr-Sprecher mit. Ein verantwortlicher Ausbilder wurde demnach bereits von seiner Aufgabe entbunden. Die Fitness von Soldaten sei eine Grundvoraussetzung für die körperlich fordernde Ausbildung, dabei müsse aber der individuelle Trainingsstand berücksichtigt werden, hieß es. Ausbilder sollten diesbezüglich sensibilisiert werden, teilte der Sprecher des Heeres mit. "Die Vorgaben sind schon jetzt glasklar", sagte hingegen der verteidigungspolitische Sprecher der SPD im Bundestag, Fritz Felgentreu. Das Verteidigungsministerium kommentierte die laufenden Ermittlungen zunächst nicht.

Bei einer ähnlichen Übung im Munster waren am 19. Juli 2017 mehrere Offiziersanwärter kollabiert, einer starb später offenbar an den Folgen eines Hitzschlags.

© SZ.de/mati/jsa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusBundeswehr
:Was fehlt

Eigentlich hatte Verteidigungsministerin von der Leyen eine "Trendwende" in der Ausrüstung der Truppe versprochen. Die Bilanz aber ist durchwachsen. Es fehlen einsatzbereite Panzer und vieles mehr.

Von Christoph Hickmann und Mike Szymanski

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: