Wegen Mursis Machtfülle:EU-Parlamentspräsident will Ägypten-Hilfe stoppen

Der internationale Druck auf Ägyptens Präsident Mursi wächst. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat offen damit gedroht, wegen des "Staatsstreichs" Hilfszahlungen an das Land zu stoppen. Eine plurale Demokratie müsse entstehen. Auch Außenminister Westerwelle warnt. In Ägypten zeigen neue Massendemos die tiefe Spaltung der Gesellschaft.

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) hat dem ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi mit einem Ende der EU-Hilfen gedroht. "Die Europäische Union muss unmissverständlich klarmachen, dass es ohne plurale Demokratie in Ägypten weder wirtschaftliche, noch politische Zusammenarbeit geben kann", sagte Schulz in einem Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS). Das einzige, was solch ein Regime verstehe, sei ökonomischer Druck. Das EU-Parlamentverfügt über relativ wenig Macht im Vergleich mit dem Rat der Union, in dem die Regierungen der Mitgliedsländer sitzen. Bei der Entwicklungspolitik haben die Abgeordneten allerdings größeren Einfluss als in vielen anderen Politikbereichen.

In Ägypten gibt es heftige Auseinandersetzungen um die von Mursi beanspruchten Sondervollmachten. Die Opposition lehnt die vom Präsidenten dekretierten Sonderrechte und den Entwurf der von Islamisten dominierten Verfassungsversammlung für die künftige Verfassung ab. Schulz bezeichnete Mursis Dekret, das seine Entscheidungen von der Justiz unanfechtbar macht, als Staatsstreich. Die Muslimbrüder, aus denen Mursi hervorgegangen war, instrumentalisierten religiöse Gefühle zu politischen Zwecken, sagte Schulz.

Plenary session at the European Parliament

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) droht dem ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi.

(Foto: dpa)

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) sagte der FAS, er sei besorgt über die jüngsten Entwicklungen in Ägypten. Der Verfassungsprozess laufe derzeit Gefahr, die Gesellschaft zu spalten statt zu einen. Wichtige gesellschaftliche Gruppen wie Säkuläre und Christen dürften nicht außen vor bleiben. Grundlage für eine friedliche Entwicklung könne nur eine pluralistisch angelegte Verfassung sein, sagte Westerwelle.

Die Verfassungsversammlung hatte von Donnerstagnachmittag bis Freitagmorgen über jeden einzelnen der 234 Artikel abgestimmt. Artikel 2 des Entwurfs besagt etwa, dass die "Prinzipien der Scharia" die "wichtigste Quelle der Gesetzgebung" seien. Der Artikel erklärt den Islam zudem zur Staatsreligion und das Arabische zur Amtssprache. Die Dauer der Amtszeit des Präsidenten wird auf vier Jahre festgelegt, wobei nur eine einmalige Wiederwahl möglich ist. Husni Mubarak hatte bis zu seinem Sturz im vergangenen Jahr 30 Jahre lang geherrscht.

Der Entwurf der Verfassung sollte noch am Samstag Mursi übergeben werden. Ihm obliegt es dann, innerhalb von zwei Wochen ein Referendum über den Text zu organisieren. Der Staatschef ließ in den vergangenen Tagen erkennen, dass das umstrittene Dekret zur Ausweitung seiner Vollmachten mit der Annahme der Verfassung nichtig sein werde.

"Gesetzlichkeit und Scharia"

Die Spannungen im Land offenbarten sich an diesem Samstag in konkurrierenden Massenkundgebungen - sowohl für als auch gegen den ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi. Sie demonstrieren die tiefe Spaltung des Landes. An der Universität von Kairo demonstrierten tausende Anhänger Mursis, darunter zahlreiche Muslimbrüder, für dessen Machterhalt und die neue Verfassung. Unter dem Motto "Gesetzlichkeit und Scharia" forderten sie einen größeren Einfluss des islamischen Rechts auf den Alltag in Ägypten. Jenseits des Nil fanden sich die Gegner des Staatschefs auf dem Tahrir-Platz zu Protesten zusammen.

"Die Muslimbruderschaft unterstützt Mursis Entscheidungen" und "Gemeinsam für die Rettung der Revolution", war auf Schildern der Demonstranten zu lesen. Unter den Kundgebungsteilnehmern waren viele verschleierte Frauen und Anhänger der Salafisten. Sie skandierten: "Das Volk fordert die Anwendung von Gottes Gesetz." Die Menge hielt ägyptische Flaggen und Bilder von Mursi hoch, nachdem sie ein Massengebet vor der Universität abgehalten hatte.

Auf Transparenten und Plakaten stellten sie sich hinter den neuen Verfassungsentwurf und die Entmachtung der Richter. Demonstranten forderten: "Säubere das Land - und wir sind mit Dir, unser Führer" und riefen: "Der Koran ist unsere Verfassung."

Die Anhänger des Staatschefs sehen in der am Freitagmorgen angenommenen neuen Verfassung eine Garantie für Stabilität inmitten einer andauernden politischen Krise. Der Opposition werfen sie vor, die Errungenschaften der Revolte vom vergangenen Jahr aufs Spiel zu setzen. Auch in Alexandria sowie in der zentralen Provinz Assiut gab es Kundgebungen für Mursi.

Bei einer der Versammlungen ist ein Demonstrant getötet worden. Ursache war ein umstürzender Baum. Weitere 24 Menschen wurden verletzt, wie die Nachrichtenagentur dpa aus ägyptischen Sicherheitskreisen erfuhr. Die Demonstranten hatten versucht, auf den Baum in der Nähe der Kairoer Universität zu klettern, berichtete die staatliche Zeitung Al-Ahram in ihrer Online-Ausgabe.

Auf der anderen Seite des Nil harrten in Kairo hunderte Gegner des Präsidenten weiterhin auf dem Tahrir-Platz aus. Dort campieren sie, seit sich Mursi am 22. November mit einem umstrittenen Dekret weitere umfangreiche Vollmachten gegeben hatte und fordern die Rücknahme dieser Erklärung. Sie kritisieren zudem die neue Verfassung, die in ihren Augen die Vorherrschaft der Islamisten zementiert. Liberale und laizistische Kräfte hatten die Verfassunggebende Versammlung boykottiert.

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