Was wird nun aus der Anti-Bush-Bewegung?:Der Tag danach

Und was wird jetzt aus der Bewegung? Wer kümmert sich um die Millionen, die gegen Bush auf die Straße, in die Swing States und zu den Rockkonzerten gegangen sind?

Von Andrian Kreye

Für eine eigentlich so leidenschaftslose Führerfigur wie John Kerry war die Politisierung der amerikanischen Gesellschaft ja doch ganz erstaunlich.

Anti-Bush, AP

Die Leidenschaften gegen Bush waren groß - trotzdem wurde er eindeutig wiedergewählt.

(Foto: Foto: AP)

Film, Musik, Theater, Literatur - die gesamte Kulturszene hatte sich geschlossen hinter ihn gestellt. Von der Basisbewegung und der Jugend ganz zu schweigen. Ein paar elektrisierende Worte von Kerry zum Tag danach? Eher Homöopathen-Jargon: "Ich hoffe, wir können nun den Heilungsprozess beginnen."

Aber da sind ja noch all die Stars, die in den letzten Monaten so großartige Rebellen gaben. Da sollte sich doch bei einer Kontrolle der einschlägigen Medien eine wahre Flut von Zitaten über uns ergießen.

"Wähl oder Stirb"

Bruce Springsteen? Hüllt sich in Schweigen. Dito Jon Bon Jovi. Tim Robbins packt gerade für einen Dreh in Irland. Wenigstens Sean Penn, der zornigste aller Hollywoodstars, hat deutliche Worte gefunden. Allerdings nicht für George W. Bush, sondern für Matt Stone und Trey Parker, die politisch unkorrekte Zeichentrickserien und Puppenfilme wie "South Park" und "Team America" drehen.

"Wähl oder Stirb"-Initiator P. Diddy? Klagte in der Wahlnacht über Bauchweh, gelobte, nicht mehr so böse über Bush zu reden, und muss jetzt erstmal seine Geburtstagsparty beim Promi-Italiener Cipriani vorbereiten, zu der Mariah Carey und Sarah Jessica Parker geladen sind.

Techno-Politexperte Moby, der in New York auf keiner Basisparty fehlte? Schreibt in seinem Blog: "Ich hoffe, dass die Demokraten in Senat und Repräsentantenhaus den extremeren Tendenzen des erstarkten rechten Flügels vernünftige Einschränkungen auferlegen."

Will eigentlich noch jemand das neue Krawallvideo von Eminem sehen?

Unablässig in die Vergangenheit

Wie ein roter Faden hatte sich die Sehnsucht nach den großen Zeiten der Anti-Vietnam-Proteste durch die Opposition gegen die Bush-Regierung gezogen.

Sub- und Popkulturen vereint mit dem Volk gegen das Establishment! Mit entscheidenden Unterschieden. Die institutionalisierte Diskriminierung der Gegenwart wird niemals so umwälzende Dynamiken in Gang setzen, wie die offene Diskriminierung im Jahrhundert zwischen dem amerikanischen Bürgerkrieg und der Bürgerrechtsbewegung.

Überseekriege, die von einem Freiwilligenheer geführt werden, schaffen niemals den Leidensdruck, den der Vietnamkrieg mit seiner Wehrpflicht erzeugte.

Opposition wird zum leidenschaftslosen Moralisieren

Weil erstens nicht jede Familie betroffen ist, und zweitens die Familien der kämpfenden Truppe schon aus psychologischer Notwehr hinter ihrem obersten Befehlshaber Bush stehen müssen. So wird Opposition zum leidenschaftslosen Moralisieren.

John Kerry war aber nicht nur eine blasse Führerfigur, er war auch ein denkbar ungeeigneter Katalysator für eine Volksbewegung. Late-Night-Talker David Letterman brachte den Mangel an Überzeugungskraft auf den Punkt: "Der Arme muss nun wieder in sein kärgliches Leben als Senator, Milliardärsgatte und Windsurfer zurück."

Die Leidenschaften kochten in Amerika an ganz anderen Orten. Es hat sich ja wirklich das Volk für George W. Bush entschieden, und so wie es aussieht eindeutig.

Michael Moore hatte in Florida und Ohio zwar 1200 Filmteams ausschwärmen lassen, musste dann aber nach der Wahlnacht kleinlaut vermelden, es sei zu keinen besonderen Unregelmäßigkeiten gekommen.

Worauf der Fernsehsatiriker Jon Stewart meinte: "Wisst ihr, was ich so richtig vermisse? Wahlbetrug." Denn während eine liberale Volksbewegung rückblickend doch nur der Wunschtraum eines moralisierenden Bürgertums geblieben ist, hat sich rechts außen eine Volksbewegung formiert, die den Marsch durch die Institutionen im Eiltempo durchlaufen hat.

So antwortet Sean Wilentz, Historiker von der Princeton University, auf die Frage, wie es nun weitergehe: "Wir müssen jetzt erst einmal das volle Ausmaß des religiösen Fanatismus zu fassen kriegen, der sich hier die Kontrolle über die Bundespolitik geschnappt hat. Senatoren, die Abtreibung mit der Todesstrafe ahnden wollen; ein oberster Gerichtshof, der bald schon auf die nächsten 40 Jahre hinaus mit Revanchisten des alten Südens und Theokraten besetzt wird; ein Präsident, der sich für 'den richtigen Gott' stark macht; Massenmedien, die sich offensichtlich der Lobotomisierung des amerikanischen Volkes verschrieben haben.

Wir müssen einsehen, dass niemand betrogen wurde, sondern dass es das ist, was die momentane Stimmung aus dem Wahlvolk gemacht hat. Und wir müssen begreifen, dass wir nun und für die absehbare Zukunft wirklich zwei verschiedene Länder sind."

Man darf die Anstrengungen der außerparlamentarischen Protest-, Antiglobalisierungs- und Umweltbewegten auch nicht überschätzen, die in der Abwahl von Bush plötzlich ein legitimes, gemeinsames und vor allem erreichbares Ziel vor Augen hatten.

Auch die Urväter der Protestbewegung aus der Bürgerrechts- und Anti-Vietnam-Ära haben in der amerikanischen Bundespolitik nicht viel ausrichten können.

"Angst, den Glauben zu verlieren"

Ach ja, die Basis. Die hätte man beinahe vergessen. Lakshmi Chaudhry hat die Stimmung in ihrer Kolumne für die Webseite Alternet zusammengefasst: "Niemand schreibt über das Offensichtliche: Das tut weh!", klagt sie. "Das war nicht nur irgendein konservativer Wahlsieg. Es geht nicht so sehr darum, eine Wahl zu verlieren, sondern um die Angst, den Glauben zu verlieren."

Die letzen Meldungen von der Protestfront: Loid wartet in Ohio darauf, dass der Mietwagen repariert wird, mit dem er und seine Freunde aus New York angereist waren, um letzte Zögerer zum Wählen zu motivieren.

Evan muss sich einen neuen Job suchen, weil man als Reporter für eine linke Online-Nachrichtenagentur nicht mal die U-Bahnfahrtkosten ersetzt bekommt.

Alexandra, die vor einem Monat ihr Filmausstattungsbüro geschlossen hatte, um in Iowa Wähler zu mobilisieren, und ihre Freunde in New York mit herzzerreißenden E-Mails von den Frontlinien im Mittleren Westen beschickt hat, fehlen die Worte.

Sie schickt ein Zitat aus "Der große Gatsby": "Der Traum muss so nahe geschienen haben, dass er ihn kaum verfehlen konnte. Morgen werden wir schneller rennen, unsere Arme noch weiter ausstrecken. Wie Boote gegen den Strom kämpfen wir uns weiter, unablässig in die Vergangenheit zurückgeworfen."

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