Warschauer Aufstand:Trauerfeier mit Zwischenrufen

Vor 60 Jahren begann, was als größte Tragödie der polnischen Geschichte gilt. Zum Gedenken des Warschauer Aufstandes mischen sich in Polen Stolz und Wut über den verzweifelten Widerstand gegen die Deutschen.

Von Thomas Urban

Seit Wochen schon steht Warschau im Zeichen des großen Tages. Überall hängen Plakate mit dem großen "P", dessen Bein sich in einen Anker teilt - das Symbol der Untergrundarmee im besetzten Polen. Die Schaufenster der Buchhandlungen sind Neuerscheinungen zum Thema gewidmet, die Zeitungen bringen Sonderbeilagen mit Augenzeugenberichten, alle Fernsehkanäle zeigen Dokumentationen und Spielfilme dazu, darunter Andrzej Wajdas düsteres, im Westen kaum bekanntes Meisterwerk "Der Kanal". Ein ausschließlich dem Ereignis gewidmetes Museum wird eröffnet. Eine ganze Woche ist Feierstunden, Gottesdiensten und Paraden gewidmet.

Warschauer Aufstand

Ein Kämpfer der polnischen Heimatarmee AK.

(Foto: Foto: dpa)

Der Warschauer Aufstand, der am 1. August vor 60 Jahren begann, gilt als die größte Tragödie der polnischen Geschichte. Der Aufstand wurde zum Symbol für das Schicksal der Nation - nicht nur, weil sich eine schlecht bewaffnete Truppe von Kämpfern der Untergrundarmee Armia Krajowa (AK) todesmutig den hochgerüsteten deutschen Besatzern entgegenwarf, nicht nur weil rund 16 000 Kämpfer und mindestens 150 000 Zivilisten umkamen. Er ist auch zum Symbol geworden, weil man seiner während der Sowjetzeit nicht angemessen gedenken durfte. Denn der Aufstand hatte sich militärisch zwar gegen die Deutschen, politisch aber gegen Moskau gerichtet: Die Polen wollten die Rote Armee als Herren in der eigenen Hauptstadt empfangen und sich nicht vom Kreml die politische Zukunft diktieren lassen.

So reagierten nun auch einige Kommentatoren mit Empörung darauf, dass der russische Botschafter in Warschau, Nikolaj Afanassjew, in einer Grußadresse an die überlebenden Aufständischen von den "heiligen Früchten unseres gemeinsamen Sieges" schrieb. Auch die Feststellung des britischen Botschafters Charles Crawford, man habe alles getan, was man habe tun können, wurde mit bitteren Worten kommentiert. Denn London hatte die im Exil aufgestellten und unter britischem Kommando kämpfenden polnischen Fallschirmjäger anderweitig eingesetzt - und der polnischen Exilregierung in London vorenthalten, dass man sich längst mit Stalin einig war: Polen sollte zur sowjetischen Einflusszone gehören.

Die Niederschlagung des Aufstandes markierte aber keineswegs nur den Auftakt zur Zwangsmitgliedschaft im Sowjetblock, sondern auch die systematische Zerstörung der Stadt, die Plünderung und anschließende Zerstörung von Bibliotheken, Palästen, Kirchen durch die Deutschen. Der Warschauer Oberbürgermeister Lech Kaczynski wird Bundeskanzler Schröder die Liste mit den ersten Schätzungen präsentieren: Die Schäden beliefen sich demnach auf 31,5 Milliarden Dollar.

Trauerfeier mit Zwischenrufen

Die Zerstörung Warschaus steht im Mittelpunkt der in Polen heftig geführten Reparationsdebatte, einer Reaktion auf Forderungen der von führenden Vertretern des "Bundes der Vertriebenen" gegründeten Preußischen Treuhand, die Entschädigung für verlorenes Eigentum in den Oder-Neiße-Gebieten durchsetzen will. Fast die gesamte Presse und die gesamte konservative Opposition fordern nun auch von Schröder ein deutliches Wort gegen die Preußische Treuhand, wie es bereits Bundespräsident Horst Köhler Mitte Juli in Warschau ausgesprochen hatte.

Die Inszenierung des Gedenktages als Heldenepos sowie die deutsch-polnische Kontroverse um gegenseitige Forderungen verdecken fast gänzlich die Stimmen, die in dem Jahrestag vor allem einen Anlass für Trauer und Reflexion sehen wollen. Der Versuch des liberalen Magazins Polityka, die seit Jahrzehnten geführte Debatte über den Sinn des Aufstandes fortzuführen, fand nur ein geringes Echo. Immerhin war schon vor dem Aufstand kein Geheimnis gewesen, dass die deutschen Besatzer sich nicht an das Kriegsvölkerrecht halten würden; schon zuvor waren sie mit äußerster Brutalität nicht nur gegen Kämpfer der AK, sondern auch gegen Zivilisten vorgegangen.

Zahlreiche AK-Offiziere warnten denn auch vor einem unbedachten Losschlagen gegen den vielfach überlegenen Feind. Im Ergebnis wurde, wie oft formuliert wird, die "Blüte einer ganzen Generation" ausgelöscht. Die Satirezeitschrift Nie, herausgegeben vom Ex-Regierungssprecher Jerzy Urban, zitierte Äußerungen von Mitgliedern der polnischen Exilregierung, die den Führern des Aufstandes wegen "Verantwortungslosigkeit" den Prozess machen wollten. Urban zog damit heftige Angriffe auf sich, ein konservativer Kommentator warf ihm vor, ein Heiligtum zu entweihen.

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