Warschau:Mit dem Segen von oben

Warschau: Laut Polens damaligem Innenminister ein "schönes Bild": Nationalisten bei einer Demonstration im vergangenen Herbst in Warschau.

Laut Polens damaligem Innenminister ein "schönes Bild": Nationalisten bei einer Demonstration im vergangenen Herbst in Warschau.

(Foto: Czarek Sokolowski/AP)

In Polen finden rechte Thesen bei den Bürgern breiten Zuspruch, die populistische Regierung selbst fördert den Nationalismus.

Von Florian Hassel

Der 25. Mai wird für Polens Boxfans ein besonderes Datum. An diesem Abend soll in Warschau die "größte Box-Gala in der Geschichte Polens" stattfinden - den Organisatoren zufolge ausdrücklich als Teil der 2018 durchziehenden Veranstaltungen zu Ehren von "100 Jahren polnischer Unabhängigkeit". Im November 1918 war der polnische Staat wiedererstanden. Unter den Stars des 25. Mai ist auch Artur Binkowski. Der 43 Jahre alte Boxer ist nicht nur für seine Fäuste bekannt, sondern auch für seine Neonazi-Ansichten. Die Bürgergruppe Nigdy Wieciej dokumentierte Äußerungen Binkowskis, denen zufolge Polen seit Ende des Kommunismus von "Juden und Israel kontrolliert" werde. "Linke, Judasse, vergiftete Gehirne, Idioten und Verräter. Man sollte sie gegen eine Wand stellen und erschießen!"

Gewiss, eine Gala mit einem Neonazi-Boxer steht nicht für die polnische Gesellschaft. Allerdings findet die Box-Gala nicht irgendwo statt, sondern im Warschauer Nationalstadion, dem mit Steuer-und EU-Geld gebauten Aushängeschild Polens. Neonazi Binkowski durfte die Pressekonferenz zur Vorstellung der "Nationalen Box-Gala" nutzen, um zur Schaffung eines "sauberen weißen Polen" aufzurufen. Offizielle Schirmherrin der Box-Gala ist Anna Maria Anders, Tochter eines legendären polnischen Weltkriegsgenerals und Parlamentarierin der nationalpopulistischen Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (Pis).

Schon bei anderer Gelegenheiten bekamen Nationalisten, Rassisten und Neonazis in Polen gleichsam offiziellen Segen. Als am 11. November 2017 zum Jahrestag der Unabhängigkeit weit mehr als 60 000 Nationalisten durch Warschau marschierten und dabei Rechtsradikale gegen Muslime oder Juden hetzten, lobte der damalige Innenminister Mariusz Błaszczak die Kundgebung als "schönes Bild".

Die Pis fördert seit Jahren systematisch Nationalismus, patriotische Erziehung und die Erinnerung an polnische Helden, spielt gleichzeitige dunkle Seiten der polnischen Geschichte herunter und greift dabei oft auch ins Lager der Rechtsradikalen oder Rassisten aus. Pis-Chef Kaczyński sammelte schon im Wahlkampf 2015 Stimmen mit - falschen - Warnungen über angebliches Scharia-Recht in Schweden oder massenhaft durch Flüchtlinge nach Europa eingeschleppte Krankheiten.

Dem Warschauer Soziologen Rafał Pankowski zufolge hat die Pis-Regierung die in Polen schon seit den 90er-Jahren auftretenden Rechtsradikalen und Rassisten nicht begründet, aber "hoffähig" gemacht. "Unter 18- bis 24-jährigen Polen sagen 38 Prozent, dass sie Gruppen wie die faschistische ONR unterstützen." Bei einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes CBOS unter derselben Altersgruppe waren 87 Prozent gegen die Aufnahme von Flüchtlingen - und dies, obwohl Polen gar keine Flüchtlinge aufnimmt.

Sein zuletzt angekratztes Image versucht Polen im Ausland oft mithilfe des verbindlich auftretenden Präsidenten Andrzej Duda aufzupolieren, wie etwa am Donnerstag dieser Woche, als Duda zusammen mit Israels Präsidenten Reuven Rivlin an einem Marsch jüdischer Auschwitz-Überlebender teilnahm und eine Rede gegen Antisemitismus und Rassismus hielt. Duda ist auch oft Ansprechpartner bei Besuchen ausländischer Regierungschefs oder Vertreter der EU-Kommission. Nach innen aber hat Duda den Abbau des Rechtsstaats mit seiner Unterschrift unter etliche verfassungswidrige Gesetze erst möglich gemacht.

Wie stark ist das Lager der Nationalisten in Polen? Der regierenden Pis hat ihre Demontage des Rechtsstaats wenig geschadet. In Umfragen erreichte sie bis vor Kurzem meist an die 40 Prozent Zustimmung. Dazu kommt die ebenfalls im Parlament vertretene, auf bis zu zehn Prozent taxierte Bewegung des Ex-Rocksängers Paweł Kukiz, ein Sammelbecken von Nationalisten und Rechtsradikalen. Der Demokratie fehlen in Zentraleuropa oft entschlossene Verteidiger: Dass Demokratie besser als jede andere Regierungsform ist, glauben weniger als die Hälfte der Polen, Ungarn und Tschechen, so eine Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Pew. Gut ein Viertel der Bürger antwortete, je nach Umstand könne eine undemokratische Regierung besser sein; rund ein weiteres Fünftel interessiert sich nicht dafür, wie es regiert wird.

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