Warschau:Marathon des Unrechts

Law and Justice party leader Jaroslaw Kaczynski enters the parliament as his party members applause in Warsaw

"Sie sind Schurken": PiS-Chef Jaroslaw Kaczyński beschuldigte die Opposition schwer.

(Foto: Agencja Gatzeta/Reuters)

Änderungsanträge werden abserviert, Proteste von Richtern ignoriert: Wie Polens Regierungspartei die Verfassung aushebelt.

Von Florian Hassel

1000 Änderungsanträge muss auch ein Parlament, dem Eile befohlen wurde, erst einmal verarbeiten. Die 1000 Anträge, ein mehrere Armstärken dicker Papierstapel, haben die Abgeordneten der polnischen Opposition dem Parlamentspräsidenten auf den Tisch gelegt. So wollten sie die Verabschiedung des umstrittenen Gesetzes zur Abschaffung von Polens Oberstem Gericht in seiner bisherigen Form jedenfalls kurzzeitig aufhalten. Doch die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (Pis) wusste schnell Rat: "Ein Teil der Anträge wird blockiert, ein Teil im Paket abgestimmt", gab Pis-Parlamentarier Marek Ast die Parteilinie vor.

Als Polens Parlament am Mittwoch seine Arbeit aufnahm, da hatte es sich kaum von einer Marathonsitzung von 15 Stunden erholt, die am Vortag erst kurz vor Mitternacht geendet hatte. In dieser Zeit hatte das Parlament das erst morgens auf die Tagesordnung gebrachte Gesetz angenommen, in erster Lesung zumindest. Auch für einen Einwand von Präsident Andrzej Duda fand sich eine - der Schnelligkeit nach zu urteilen: zuvor abgesprochene - Lösung. Kurz vor 18 Uhr drohte der Präsident am Dienstagabend scheinbar unnachgiebig in einer Fernsehansprache, er unterschreibe das Gesetz zum Obersten Gericht nicht, wenn ein bereits beschlossenes Gesetz zur Abschaffung des Landesrichterrates (KRS) in seiner bestehenden Form nicht geändert werde.

Statt mit einer einfachen Mehrheit, so verlangte der Präsident, müssten die KRS-Mitglieder künftig von drei Fünfteln aller Parlamentarier gewählt werden. Das klang so, als würde Duda seinen Parteifreunden in die Parade fahren. Doch dass jede Wahl von KRS-Mitgliedern durch das Parlament polnischen Juristen zufolge der Verfassung widerspricht, davon war keine Rede. Auch nicht davon, dass ein ebenfalls bereits verabschiedetes Gesetz genauso verfassungswidrig sein dürfte, das normale Gerichte dem Justizminister unterstellt. Vor allem blieb unerwähnt, dass auch das Gesetz zum Obersten Gericht die Verfassung verletzt. Nach dem Einwand Dudas dauerte es nur wenige Stunden, bis die gewünschte Dreifünftel-Bestimmung im Gesetzestext stand.

Die polnische Richtervereinigung "Iustitia" kritisierte Duda scharf. Sein Vorschlag widerspreche "sowohl der Verfassung wie internationalem Recht". Jede Wahl von Richtern durch das Parlament laufe der in der Verfassung festgelegten Richterwahl ausschließlich durch eine Generalversammlung der Richter zuwider.

Wie vergiftet das Klima im Parlament ist, zeigte ein mitternächtlicher Schlagabtausch: Borys Budka von der oppositionellen Partei Bürgerplattform wandte sich direkt an Pis-Chef Jarosław Kaczyński, dem die unabhängigen Gerichte seines Landes seit Langem ein Dorn im Auge sind. Sein Zwillingsbruder Lech, bis zu seinem Tod 2010 polnischer Präsident, habe die Unabhängigkeit der Justiz nicht angetastet. "Solange Lech Kaczyński lebte, haben Sie es nicht gewagt, die Justiz anzugreifen, weil es zum Glück jemanden gab, der die Gewaltenteilung verstand." Kaczyński antwortete erregt: "Beschmutzen Sie mit Ihren Mörderfressen nicht den Namen meines heiligen Bruders, den Sie vernichtet, den Sie ermordet haben. Sie sind Schurken!" Kaczyński hält die - allen offiziellen Erkenntnissen zuwiderlaufende - These aufrecht, der Flugzeugabsturz, bei dem sein Bruder im April 2010 starb, sei ein Mordanschlag unter Beteiligung der heutigen Opposition gewesen.

Der ersten Marathonsitzung folgte am Mittwoch die zweite. Außerhalb des Parlaments verstärkte die Polizei Barrieren gegen protestierende Demonstranten. Im Parlament setzte Stanisław Piotrowicz, Vorsitzender des Justizausschusses und einer der Hauptarchitekten des Kreuzzugs der Pis gegen eine unabhängige Justiz, für den Abend eine Ausschusssitzung an. In ihr sollte über das Schicksal der 1000 Änderungsanträge entschieden werden - mit erwartbarem Ergebnis. Dann sollte die zweite Lesung im Plenum folgen. Polens Parlamentarier richteten sich auf eine weitere lange Nacht ein.

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