Warnstreiks:Die Saison ist eröffnet

Immer wenn's wieder wärmer wird, geht's von Neuem los mit den Gewerkschaftskundgebungen und den Warnstreiks. Das ist keineswegs seltsam - sondern genau so kalkuliert.

Von Detlef Esslinger

Es ist April und damit Saisonstart: Seit Montag gibt es wieder Gewerkschaftskundgebungen, noch diese Woche werden im öffentlichen Dienst die ersten Warnstreiks folgen. Es ist keineswegs seltsam, dass diese Aktionen immer im Frühling losgehen, immer, wenn's gerade wieder wärmer wird - es ist kalkuliert. Jede Gewerkschaft beachtet bei jedem Tarifabschluss ja nicht nur, wie viel Prozent Lohnerhöhung sie herausholt. Ebenso wichtig ist es, wann der Tarifvertrag ausläuft, auf den sie sich jeweils einlässt. Ende November oder Ende Januar? Niemals. Denn das hieße, dass die nächste Tarifrunde in der Weihnachtszeit und in der Kälte begänne. Zu der Zeit lässt sich aber kaum mobilisieren. Und Verhandlungen, zu denen Gewerkschafter niemanden auf die Straße bekommen, tun sie sich nicht an.

Der Verhandlungsführer des Beamtenbunds hat am Montag bei einer Kundgebung in Rostock erklärt, diesmal "auf schnelle Ergebnisse ohne eingeübte Rituale" gedrungen zu haben. Dieser Satz gehört zur Saisoneröffnung wie die Ostsee zu seinem Kundgebungsort. Es gibt nur wenige Dinge, die für Gewerkschafter und Arbeitgeber schlimmer wären als schnelle Ergebnisse - allenfalls noch der Verzicht auf eingeübte Rituale (für Gewerkschafter).

Eine schnelle Einigung, ohne die üblichen Rituale? Ein Horror!

Wer sich schnell einigt, würde von der jeweils eigenen Klientel wahrgenommen werden als jemand, der nicht ernsthaft gekämpft hat. Gewerkschaften wie der Beamtenbund und Verdi, die auf die Rituale Kundgebung und Warnstreik verzichteten, brächten sich langfristig sogar in Gefahr: Zu keinen anderen Gelegenheiten ist es so leicht, neue Mitglieder zu werben - und damit zumindest die Abgänge aus der Zeit zwischen zwei Tarifrunden wieder wettzumachen. Man stelle sich also vor, was die Konsequenz wäre, wenn die Gewerkschaften nicht (wie geschehen) sechs Prozent gefordert hätten, sondern bloß drei, und wenn die Arbeitgeber von Bund und Kommunen gleich bei der ersten Verhandlung vor zwei Wochen darauf ein Angebot von 2,8 Prozent präsentiert hätten. Ein Horror, für alle Beteiligten.

Das heißt aber nicht, dass diese Tarifrunde im öffentlichen Dienst nur aus Ritualen bestehen würde. Ihre Brisanz bezieht sie daraus, dass die Kommunen bei der betrieblichen Altersvorsorge sparen wollen. Sie argumentieren, dass die Kassen sich die ursprünglichen Versprechen nicht mehr leisten könnten. Damit haben sie eine gewisse Erbitterung bei den Arbeitnehmern ausgelöst - zumal die Kommunen insgesamt im vergangenen Jahr einen Überschuss von 3,2 Milliarden Euro erzielt haben; zumal viele Beschäftigte sich durch die Organisation des Flüchtlingszustroms besonders belastet sehen.

Dieser Konflikt könnte einerseits zu mehr als nur ein paar Warnstreiks führen. Andererseits steht den Gewerkschaften nicht jede Möglichkeit der Eskalation wirklich offen. In den Kitas hätten sie zwar bekanntlich viele Truppen zur Verfügung. Aber ob sie sich wirklich schon wieder die Auseinandersetzung mit den Eltern der Republik antun wollen?

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