Der Abwehrkampf der Kanzlerin:Angela Merkel und die jungen Männer

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Angela Merkel und ihre männlichen Gegenspieler (von links oben im Uhrzeigersinn): Christian Lindner (FDP), Jens Spahn, Alexander Dobrindt und Paul Ziemiak (Junge Union). (Foto: dpa/Combo: SZ.de)

Was Roland Koch und Co. nicht gelungen ist, wollen Jens Spahn, Alexander Dobrindt und Christian Lindner jetzt nachholen: die Stimmung in der Union drehen und Merkel langsam, aber sicher ablösen.

Von Stefan Braun, Berlin

Schachzug, Coup, Sensation - für die Nominierung ihrer neuen Generalsekretärin hat Angela Merkel in ersten Reaktionen viel Lob geerntet. Dass die Kanzlerin sich damit aber auch für einen besonders komplizierten Abwehrkampf gerüstet hat, könnte erst in den nächsten Wochen und Monaten richtig zu Tage treten.

Mehr noch. Möglicherweise zeigt sich irgendwann im Rückblick, dass Merkel mit Annegret Kramp-Karrenbauer etwas gelungen ist, was sie ohne die Saarländerin nicht mehr erreicht hätte: Das Drängen jüngerer, konservativerer Männer nach einem beschleunigten Ende der Merkel-Ära noch einmal abzuwehren.

Nach zwölf Jahren Kanzlerschaft muss sich die CDU-Vorsitzende zwar nicht mit einer offenen Attacke, aber mit einer stetig wachsenden Anti-Stimmung auseinandersetzen. Und die speist sich aus mehreren Entwicklungen gleichzeitig: Merkels Flüchtlingspolitik und das Gefühl, dass der Staat nicht mehr alles im Griff hatte, dazu die schwierige und unverständlich organisierte Koalitionssuche; schließlich das aus Sicht vieler Christdemokraten bescheidene Verhandlungsergebnis und eine als Niederlage empfundene Ressortverteilung.

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All das hat eine seit längerem dräuende Kritik erheblich wachsen lassen. Und es hat so unterschiedliche Figuren wie den eher liberalen Norbert Röttgen und den an der Seitenlinie nach wie vor existenten wirtschaftsliberal-konservativen Friedrich Merz dazu verleitet, von einer "Demütigung" (Merz) und einer inhaltlichen "Entleerung" (Röttgen) zu sprechen.

Solche Stimmen können einer Parteivorsitzenden Merkel schon weh tun. Aber sie entfalten vor allem deshalb eine Wirkung, weil sich etwas verschoben hat bei den Christdemokraten. Es ist keine harte Kursänderung, es ist keine offene Rebellion, es ist eine schleichende Veränderung der Grundstimmung. Die Kritiker wollen die aus ihrer Sicht zu liberale, zu mittige und zu unkonkrete Politik Merkels durch einen anderen Kurs ersetzen.

Für Merkel kommen deshalb nun zwei Dinge zusammen: Während ihre getreuen Unterstützer wie Kanzleramtschef Peter Altmaier, Fraktionschef Volker Kauder, Gesundheitsminister Hermann Gröhe oder Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen politisch zunehmend erschöpft wirken, hat sich im konservativen Milieu von CDU, CSU und FDP eine neue Generation auf den Weg gemacht, um diesen etwas entgegenzusetzen.

In der Union stehen dafür Personen wie der CDU-Politiker Jens Spahn, der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und - wenn auch schon älter - der künftige bayerische Ministerpräsident Markus Söder. Hinzu kommen Politiker im gleichen Alter, die deren Bemühungen von der Seitenlinie aus massiv befeuern. Der eine ist FDP-Parteichef Christian Lindner; der andere ist der Österreicher Sebastian Kurz.

Lindner ist dabei möglicher Bündnispartner und lauernder Kontrahent in einem. Nimmt man seine ziemlich harschen Positionen in der EU-Finanz- und in der Flüchtlingspolitik, dann steht er Dobrindt, Spahn und Söder politisch nahe, bietet sich ihnen auf diesen Feldern als Mitstreiter geradezu an.

Lindner hat es auf die Merzianer abgesehen

Als FDP-Vorsitzender verfolgt er aber noch eine zweite Strategie. Seit längerem hat er sein Handeln darauf ausgerichtet, gerade um jene wirtschaftsliberal-konservativen Wähler zu werben, die lange Zeit Union wählten, aber beim für sie unberechenbar liberalen Kurs Merkels nicht mehr mitgehen möchten. Man könnte auch sagen: Lindner hat es auf die Merzianer in der CDU abgesehen, also jene, die einst Friedrich Merz verehrten und sich seit Jahren heimatlos fühlen. Sie sollen seine Fans werden, mindestens solange es für eine Koalition mit einer neuen, konservativeren Union (noch) nicht reicht.

Dabei will er seine Freunde Spahn und Dobrindt natürlich nicht vergraulen. Und die wollen sich umgekehrt durch Lindners Machtkalkül (noch) nicht abschrecken lassen. Lindner und Spahn haben das ausgerechnet in dem Moment bewiesen, als das Jamaika-Bündnis gescheitert war. Nur wenige Tage danach luden sie junge Abgeordnete aus beiden Fraktionen zu einem Treffen ein. Sie wollten sich die wachsenden Bande auch durch Lindners Jamaika-Nein nicht zerstören zu lassen.

Und Kurz? Der 31-jährige Regierungschef aus Wien spielt in Deutschland formal natürlich keine Rolle. Aber er zählt zu jenem Kreis Jung-Konservativer, die der Merkel-Politik überdrüssig sind etwas entgegensetzen möchten. Kurz ist nicht nur seit Jahren eng mit zahlreichen jüngeren CSU-Politikern befreundet. Er dient Merkel-kritischen Medien in Deutschland als Folie dafür, wie es aus ihrer Sicht auch hierzulande sein müsste.

Nun ist von all den genannten keiner stark genug, als Solitär schon besondere Kraft zu entfalten. Gemeinsam aber arbeiten sie heftig daran, eine andere Stimmung und Botschaft in der CDU zu durchsetzen. Und damit wiederholen sie heute das, was in der Schlussphase der Kohl-Zeit andere mit einer ganz anderen Zielrichtung getan hatten.

Angeführt vom mittlerweile verstorbenen Peter Hintze hatten Mitte der 90er Jahre so genannte junge Christdemokraten wie Peter Altmaier, Hermann Gröhe, Ronald Pofalla, Norbert Röttgen und Eckart von Klaeden begonnen, das Klima in der CDU mit Aktionen wie der Pizza-Connection und Initiativen zu einem neuen Staatsbürgerschaftsrecht zu verändern.

Der späte Kohl ärgerte sich darüber, aber Leute wie Wolfgang Schäuble, damals Fraktionschef, ließen sie gewähren. Schäuble beschützte sie sogar gegen Kritik von Kohlianern, die sich dadurch massiv gestört fühlten. Und was haben sie geschafft? Sie schufen damals die Atmosphäre und ein Milieu, in dem später Merkel richtig mächtig werden konnte.

Die allermeisten rund um Spahn, Dobrindt, auch Söder oder den Vorsitzenden der Jungen Union, Paul Ziemiak, werden nicht nur von einer flüchtlingskritischen Haltung angetrieben. Noch stärker eingegraben hat sich das Gefühl, dass der Rechtsstaat an manchen Stellen nicht mehr hält, was er verspricht, weil er seine Regeln nicht mehr überall durchsetzen kann. In jung-konservativen Kreisen wird häufig und nur halb-polemisch gelästert, es sei heute leicht, ohne Pass nach Deutschland rein zu kommen, aber es sei fast unmöglich, ohne Pass wieder rauszukommen.

Damit spielen sie auf die Tatsache an, dass Flüchtlinge bislang auch dann einen Asylantrag stellen können, wenn sie ohne Pass kommen - aber nach Ablehnung ihres Antrags schwer zurückgeschickt werden können, solange ihre Identität nicht eindeutig feststeht. Es ist nur ein Aspekt einer Flüchtlingszuwanderung, die viele in ihrer Dimension heute missbilligen. Aber gerade für Merkel-kritische Unionisten gilt er als besonderer Beleg dafür, dass sich die Merkel-Politik durch die Verletzung eines ur-bürgerlichen Staatsverständnisses angreifbar gemacht hat. Und das wollen junge konservative Christdemokraten nicht mehr verteidigen müssen, sondern lieber abschaffen.

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Sie ist sozialpolitisch eher am linken Rand der Union, gesellschaftspolitisch konservativ und in der Partei beliebt. Die designierte CDU-Generalsekretärin könnte Merkels Thronerbin sein - auch wenn sie das Etikett ablehnt.

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Dabei - das ist neu - fühlen sie sich nicht mehr als kleine Minderheit, sondern erleben Zustimmung. Nicht laut, nicht hochoffiziell, aber bei Auftritten in Kreisverbänden und Ländern. Sie empfinden den Zulauf für die AfD als Bestätigung ihrer Sorgen; sie haben Angst, dass damit bürgerliche Bündnisse unmöglich werden.

Und das Bemerkenswerteste ist: Waren es früher die Älteren wie Wolfgang Bosbach, die Merkels Politik immer kritischer begleiteten, so sind es heute vorne weg viele junge Christdemokraten. Also die, die eigentlich die Zukunft bedeuten.

Sie wollen weg von einem mit Merkel verbundenen Alles-ist-möglich und Die-Mitte-ist-immer-richtig. Sie wünschen sich schärfere Kanten und klarere Linien. Sie wollen die Debatte über Flüchtlinge, deren Aufnahme und die Grenzen, die sie dabei ziehen möchten, offen führen. "Sie wollen mehr Linie, mehr Botschaft, mehr Debatte, und ja, auch mehr Führung", sagt einer der prominentesten Christdemokraten. Einer, der seit Jahrzehnten ganz oben dabei ist.

Schärfere Kanten, klarere Linien

Er verweist darauf, dass vieles brach liege, statt dass die Partei darüber eine Debatte führe. Zum Beispiel über die kulturellen Folgen der Flüchtlingszuwanderung für Deutschland. Über die Frage, wie Europa künftig aussehen sollte. Über die Frage, welche Zukunftsideen die CDU für Deutschland entwerfe. Leerstellen seien das; Leerstellen, die zuletzt auch einer wie Norbert Röttgen beklagt hat.

Nun ist ein solches Grundbefühl bei Konservativen, jedenfalls denen in der CDU, nicht neu. Aber die Tatsache, dass das Thema Flüchtlinge den Bundestagswahlkampf für die Union in den letzten acht Wochen komplett verhageln konnte, hat vielen Christdemokraten noch einmal vor Augen geführt, wie verwundbar sie in dieser Frage geblieben sind. Wirkung entfaltete das Thema eher auf der Ebene der Gefühle als auf der der Fakten. Aber an der Wucht ändert das wenig.

Und so hat der Merkel'sche Flüchtlingskurs eine bemerkenswerte Brücke wachsen lassen: die zwischen den jungen und den alten Andenpaktlern. Also den Kochs, Oettingers und Merzens, die einst vergeblich versucht hatten, Merkels Macht zu begrenzen. Da gibt es keine organisatorischen Bande, aber stabile Gesprächskontakte. Und eine erkennbare Sympathie der Alten mit den Jungen, mit der sich Angebote zur Unterstützung und Rückendeckung verbinden.

Ganz so, als ob die Alten leise hoffen, dass die Jungen doch noch erreichen, was sie nicht geschafft haben.

Hier kommt Annegret Kramp-Karrenbauer ins Spiel, die neue Generalsekretärin. Wie es aussieht, wird auf dem Parteitag am Montag das Lob über diese Nominierung die Kritik an Merkel verdrängen. Zu überraschend kam der Schritt; zu bemerkenswert ist die Tatsache, dass die Saarländerin selbst entschieden hat, nicht einen Kabinettsposten, sondern die für das Gemütsleben einer Partei wichtige Rolle der Generalsekretärin zu übernehmen. Das wertet das Amt mit einem Male massiv auf - und wird manche Debatte über Merkel fürs erste verstummen lassen.

Nur eines könnte für die Neue in der Parteizentrale gefährlich werden. Dass sie zurzeit für alle, die Merkel-Unterstützer wie die Merkel-Kritiker eine Projektionsfläche geworden ist für die eigenen Erwartungen. Die einen setzen auf eine Stärkung der Kanzlerin, die anderen verweisen auf ihre konservativeren Positionen gerade in gesellschaftspolitischen Fragen. Das könnte dazu führen, dass sie ein sehr gutes Ergebnis erzielt - und danach manchen doch wieder enttäuschen muss. Diesen Effekt kennt man auch aus der SPD: Dass Martin Schulz im März 2017 mit 100 Prozent zum Parteivorsitzenden gewählt wurde, ist für ihn kurz darauf zu einer schweren, ja zu schweren Bürde geworden.

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