Wahrnehmung:Der Augenblick, der entscheidet

Aggressiv, kompetent, zurückhaltend? Menschen urteilen über andere anhand des Gesichts und zwar im Bruchteil einer Sekunde. Dieser Eindruck lässt sich nicht so leicht revidieren. Doch häufig täuscht er.

Von Sebastian Herrmann

Das beste System zur Erkennung von Gesichtern hat die Evolution im Gehirn installiert. Selbst winzige Details, kleinste Veränderungen fallen auf, wenn das Antlitz eines Menschen betrachtet wird. Gesichter faszinieren. "Kein anderes Objekt zieht unsere Aufmerksamkeit so schnell auf sich", schreibt etwa der Psychologe Alexander Todorov von der Princeton University, einer der weltweit führenden Experten zum Thema in seinem aktuellen Buch "Face Value. The Irresistable Influence of First Impressions". Doch, auch das muss gesagt werden, die Evolution geht gerne mal mit einem nicht ganz ausgereiften Produkt ins Rennen. In der menschlichen Software zur Gesichtserkennung stecken zahlreiche Fehler.

Das beginnt mit dem Umstand, dass sogar Experten schlecht darin sind, ein Gesicht zuverlässig zu erkennen. Die Fehlerquote von Grenzbeamten zum Beispiel liegt verblüffend hoch, wenn sie begutachten sollen, ob die Person vor ihnen mit jener auf dem Foto im Pass identisch ist. Die Profis stellen sich dabei kaum besser an als Laien, wie Andrew Young und Mike Burton in einer Arbeit im Fachblatt Current Directions in Psychological Science schreiben. Die beiden Psychologen berichten von zahlreichen Studien, die belegen: Es fällt Menschen sehr schwer, Gesichter auf Fotos sicher wiederzuerkennen, wenn diese aus verschiedenen Perspektiven aufgenommen worden sind. Diese Fertigkeit, so die Forscher, lasse sich auch kaum trainieren. Übrigens: Wer sich tarnen will, der sollte seine Augenbrauen abrasieren. Ohne die haarigen Balken ist es besonders schwer, ein Antlitz wiederzuerkennen.

Schon Kleinigkeiten können den Gesamteindruck völlig verändern

Und dennoch sind Menschen Experten für Gesichter. "Obwohl wir routiniert über einzelne Elemente wie Augen oder Mund sprechen, nehmen wir Gesichter als einzigartige Gesamtkonfiguration wahr, die nicht auf ihre Bestandteile reduzierbar ist", schreibt Todorov. Verändern Forscher auf Bildern zum Beispiel das Volumen der Lippen oder die Breite der Nase nur um eine Winzigkeit, entsteht ein völlig neuer Gesamteindruck. Werden die Augen verkleinert oder verdunkelt ein Bartschatten das Kinn, wirkt ein Gesicht auf einmal wie eine Gangstervisage.

Zu einem ersten Eindruck über einen Menschen verleitet der Blick auf dessen Gesicht binnen Bruchteilen einer Sekunde. Weniger als 100 Millisekunden reichen, um eine Person als vertrauenswürdig, aggressiv, fröhlich, maskulin, feminin, dominant oder etwa zurückhaltend zu beurteilen. Steht dieses Urteil fest, wird es nicht mehr revidiert - egal wie lange man das Gesicht dann noch studiert. Weltweit gelangen Menschen oft zu der gleichen Meinung. Strahlt ein Gesicht Kompetenz aus, dann hat diese Wirkung quer durch alle Kulturen Bestand. Es gilt jedoch auch überall: Ob diese Person tatsächlich kompetent ist, das verrät ein Gesicht nicht. Zutreffende Informationen über den Charakter eines Menschen lassen sich nämlich so gut wie gar nicht aus dessen Antlitz lesen. Meist trügt der erste Eindruck.

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