Wahlumfrage zur Alternative für Deutschland:Wie das "Handelsblatt" die AfD anschiebt

A delegate takes advertising material of Germany's anti-euro party 'Alternative fuer Deutschland' (Alternative for Germany) during the first party congress in Berlin

Werbematerial der neu gegründeten Partei "Alternative für Deutschland"

(Foto: REUTERS)

Die Zahl lässt aufhorchen: 19 Prozent der Deutschen würden bei der Bundestagswahl die Alternative für Deutschland wählen, meldet das "Handelsblatt". Ein irrer Wert. Aber stimmt er auch? Es scheint eher so, als hätte die Zeitung kräftig nachgeholfen.

Von Michael König

In Düsseldorf sind sie ganz erregt wegen der neuen Partei. Im Guten wie im Schlechten. Über eine "zutiefst bürgerliche Protestbewegung, wie sie Deutschland schon lange nicht mehr gesehen hat", schreibt Handelsblatt-Kolumnist Wolfram Weimer in einer kritischen Betrachtung der Alternative für Deutschland. Die AfD erhalte schon kurz nach ihrer Gründung im Februar einen "erstaunlichen Zulauf" und ein "gewaltiges Medienecho".

An diesem Echo ist das Handelsblatt nicht ganz unbeteiligt. An diesem Montag präsentierte die Zeitung in ihrer Online-Ausgabe eine erstaunliche Nachricht: "19 Prozent würden die Anti-Euro-Partei wählen." Das gehe aus einer repräsentativen Umfrage hervor, durchgeführt vom Online-Marktforschungsinstitut Mafo im Auftrag des Handelsblatts.

19 Prozent, das ist ein Wahnsinnswert. Die AfD wäre dritte politische Kraft in Deutschland, noch vor den Grünen. Hat sie so viel Potential? In anderen Umfragen kommt die Partei auf maximal fünf Prozent - und bereits das schreckt CDU und FDP auf. "Die etablierten Parteien müssen sich langsam auf neue Konkurrenz einstellen", warnt das Handelsblatt. Der Zuspruch sei ungebrochen.

Was die Wirtschaftsexperten aus Düsseldorf in ihrem Artikel nicht verraten: wie die 19 Prozent zustande kommen. Offenbar aus gutem Grund. Experten nennen die Handelsblatt-Umfrage "unglücklich" und "suggestiv". Armin Scholl, Professor der Uni Münster und Autor mehrerer Standardwerke zur Befragung, sagt gar: "Wenn ein Umfrage-Institut so eklatant gegen die Regeln verstößt, dann nehme ich an, dass das Handelsblatt als Kunde die betroffene Partei unbedingt hochjazzen wollte."

Was Scholl so in Rage bringt? Das steht nicht im HB-Artikel. Dort heißt es lediglich: "19,2 Prozent der Befragte bejahten demnach die Frage, ob sie der Partei bei der Bundestagswahl ihre Stimme geben würden."

Doch tatsächlich wurde den Befragten eine andere Frage gestellt, wie HB und Mafo-Institut auf SZ-Anfrage bestätigten:

"Die neu gegründete Alternative für Deutschland stößt bei den anderen politischen Kräften auf massive Kritik. Wie stehen Sie zur AfD, würden Sie der Partei bei der Bundestagswahl Ihre Stimme geben?"

Das sind im Grunde zwei Fragen in einer. Gepaart mit dem ersten Satz, den Richard Hilmer vom konkurrierenden Institut Infratest dimap als "massiven, extremen Impuls" bezeichnet. Zwar seien solch einleitende Worte nötig, weil die AfD noch nicht bekannt genug sei. Aber:

"Der Hinweis auf die Kritik der anderen politischen Kräfte könnte Befragte für sich einnehmen, die den etablierten Kräften negativ gegenüberstehen. Sie würden dadurch verleitet, zugunsten der AfD zu antworten."

Der Forscher Scholl sieht das genauso:

"Der Wortlaut der Frage ist Stimmungsmache. Die Antwort wird gleich mitgeliefert: Die Leute sollen aus Protest AfD wählen, weil die anderen Parteien dagegen sind."

Nun sind Wahlumfragen grundsätzlich mit Vorsicht zu genießen. Vor allem solche, die das "Wählerpotential" abfragen. Also nicht konkret prüfen, welche Partei die Befragten wählen würden, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre. Solche Potentialfragen führen regelmäßig zu kuriosen Ergebnissen.

18 Prozent für Horst Schlämmer

Im August 2009 bescheinigten Demoskopen einer Partei namens "HSP" stolze 18 Prozent. Dahinter verbarg sich die "Horst-Schlämmer-Partei", ein Fantasieprodukt des Komikers Hape Kerkeling, der als Grevenbroicher Lokaljournalist verkleidet ins Kanzleramt wollte.

Was die Handelsblatt-Umfrage besonders bemerkenswert macht: Nicht ein übereifriger Meinungsforscher hat sich die methodisch zweifelhafte Fragestellung ausgedacht. Sondern das Handelsblatt selbst. Das bestätigten die Zeitung und das Mafo-Institut auf SZ-Anfrage.

Üblicherweise wehren sich Demoskopen dagegen, dass ihnen tendenziöse Fragen vorgeschlagen werden. "Gerade bei politischen Umfragen kommt es sehr auf den Wortlaut an. Wir beraten den Kunden, damit die Ergebnisse nicht angreifbar werden", sagt eine Mitarbeiterin eines renommierten Instituts, die anonym bleiben möchte. Infratest-dimap-Geschäftsführer Hilmer drückt es diplomatischer aus:

"Als Institut muss ich mir das Recht ausbedingen, dass ich den Wortlaut der Frage letztlich bestimme, um jegliche Art von ungewollten Effekten zu verhindern. Diese Frage ist etwas grenzwertig und wäre bei uns so wohl kaum gestellt worden."

Der zuständige Redakteur beim Handelsblatt, Dietmar Neuerer, zeigt sich davon unbeeindruckt und verweist auf seinen Text. Die Überschrift "19 Prozent würden die Anti-Euro-Partei wählen" werde dort schließlich revidiert, weil vermerkt sei, dass 54 Prozent der Befragten die AfD nicht wählen wollten. Im Übrigen sei er "kein Wahlforscher" und könne die Methodik nicht eingehender beurteilen.

Er hätte nur ins eigene Archiv schauen müssen. Am 13. Februar schrieb das Handelsblatt, "Erhebungen können enormen Einfluss auf die Wahlentscheidung der Bürger nehmen". Und fragte: "Ist es also richtig, dass Wahlumfragen derart Einfluss haben?" Die Antwort lieferte damals Infratest-dimap-Geschäftsführer Hilmer. Seine Forderung: Demoskopen müssten "enorm akkurat arbeiten".

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