Wahlrecht:Demokratische Premiere

Bürgerschaftswahl

Diese 17-jährigen Vierlinge durften in Hamburg bereits 2015 wählen, nun gilt auch in Schleswig-Holstein das Mindestalter 16.

(Foto: Hans-Jürgen Ehlers/dpa)

Bei den Landtagswahlen am 7. Mai dürfen in Schleswig-Holstein erstmals auch 16- und 17-Jährige ihre Stimme abgeben - so wie bereits in Brandenburg, Bremen und Hamburg.

Von Peter Burghardt, Kiel

Draußen im grauen Kieler Frühling kleben die Plakate mit den Sprüchen und Köpfen. "Mehr Gerechtigkeit für alle", verspricht der Ministerpräsident und SPD-Spitzenmann Torsten Albig. "Der packt an, für Schleswig-Holstein", steht bei Daniel Günther, CDU. "Mit Herz gegen Hass", werben Monika Heinold und die Grünen. "Wollen reicht nicht", ist unter Wolfgang Kubicki von der FDP zu lesen. "Man muss es auch können." Vielleicht gewinnt wieder Rot-grün mit der dänischen Minderheit, vielleicht wird es knapp. In einem Café am Bootshafen sitzt Kira Kock, 16 Jahre alt, mit Coffee to go und Smartphone. Sie sagt: "Ich freu' mich drauf. Ich bin gespannt, was rauskommt."

Für sie ist dies eine demokratische Premiere zwischen Nord- und Ostsee, kurz vor ihrem 17. Geburtstag. Wenn am 7. Mai im deutschen Nordwesten ein neuer Landtag gewählt wird, dann darf zum ersten Mal auch ihr Jahrgang mitmachen. Das Mindestalter wurde wie bereits in Brandenburg, Bremen und Hamburg von 18 auf 16 gesenkt. Gut so, findet Kira Kock, Landesschülersprecherin und Gymnasiastin ein knappes Jahr vor dem Abitur. "Das fördert das Politikinteresse, statt über Politikverdrossenheit zu jammern."

Was kümmern sich Minderjährige um Politik, heißt es zuweilen, was wissen die schon. "Stimmt gar nicht", erwidert Kira Kock - gestreifte Bluse, weiße Sneaker, dunkelblonder Pferdeschwanz - "es lag einfach daran, dass wir bisher nicht gehört wurden." Jetzt hätten sie endlich eine Stimme. Und nein, sie wählten nicht alle AfD. Sie persönlich kenne "keinen einzigen, der die AfD wählt". In diesem eher ruhigen Bundesland schaffen es die Rechtspopulisten wohl allenfalls knapp ins Parlament.

Aktivisten wie Kira Kock aus Dänischhagen sind zwar sicher engagierter als viele andere. Doch sie habe "noch niemanden getroffen, der sich für die Wahl zu jung fühlt", sagt sie. "Jeder hat sich im Wahlkampf eine Meinung gebildet", auch über Lehrer oder Familie, aber nicht nur.

Wählen ab 16 also. Damit werde "eine Gerechtigkeitslücke gegenüber jungen Menschen geschlossen", sagt der Landesjugendring. "Interessantes Experiment", sagt Kristian Warnholz, 17. "Total sinnvoll." Die Wahlbeteiligung sei sogar höher als bei Älteren, hat er gehört; das stimmt. Kristian Warnholz wohnt in Heidgraben bei Pinneberg am Waldrand, macht Abitur und seinen Führerschein und wird nach der Abstimmung 18. Die Wahlbenachrichtigung liegt vor ihm auf dem Tisch. Bisher hatte er seine Eltern begleitet, wenn über die Macht entschieden wurde, er fand es faszinierend. Dieser lange Wahlzettel, diese Auswahl. Nun ist er obendrein Wahlhelfer und versucht Freunde zu überzeugen, ebenfalls ihre Kreuze zu machen. Klar sagen manche: wozu, ist doch eh alles die gleiche Soße. Er kann sich allerdings nicht vorstellen, dass jemand, der nicht wählen geht, lieber in einer Diktatur leben würde.

Wenn man sich mit diesen zwei durchaus unterschiedlichen Erstwählern unterhält, dann hat man nicht den geringsten Eindruck, dass sie unpolitisch und unvorbereitet wären. Sie sind auch nicht sonderlich angesteckt von Katastrophenstimmung oder Schulz-Effekt. Im Unterricht wird Politik besprochen. Flüchtlinge waren zu Gast, Schleswig-Holstein geht unaufgeregt mit Schutzbedürftigen um. Es wird demonstriert, gegen Rechts und für Europa. Vertreter der Parteien treten bei Debatten in Schulen auf, das war früher verboten. Kira Kock erkundigte sich bei einem CDU-Bewerber, wie sich das traditionelle Familienbild mit der Gleichstellung homosexueller Partnerschaften vertrage. Anderswo blamierte sich ein AfD-Senior im Klassenzimmer mit schwulenfeindlichem Geschwätz, das machte in sozialen Netzwerken rasch die Runde. Facebook, Instagram, Snapchat, Whatsapp oder Jodel sind in jüngeren Altersklassen wichtiger als Zeitungen oder Tagesschau.

Großthemen wie Rente und Steuern beschäftigen Jugendliche naturgemäß nicht so akut. Es geht eher um G8 oder G9, also acht oder neun Jahre Gymnasium, um die Preise von Bus und Bahn, um Mieten, Extremismus, Wehrdienst und das mancherorts noch etwas löchrige Netz. Oder um die Frage, ob Cannabis legalisiert werden soll.

Parteimitglieder sind Kira Kock und Kristian Warnholz nicht. Was sie wählen? Wahlgeheimnis. Aber beide gehören zu jenen zwanzig Jungredakteuren, die eine Entscheidungshilfe entwickelt haben: den Wahl-O-Mat für Schleswig-Holstein. Mit 38 Thesen, denen man zustimmen, die man neutral betrachten oder ablehnen kann, um sie dann mit den Parteiprogrammen zu vergleichen. Es geht um Schulnoten, Abschiebung nach Afghanistan, Ökologie, Grundeinkommen, Frauenquote, Mietpreisbremse, Windkraft und mehr. Manche wissen danach, wen sie wählen sollen, andere sind verwirrt. Kristian Warnholz sagt: "Ich war überrascht, was bei mir rauskam."

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