Wahlkampf:Schulz entwickelt die SPD weiter

Mit dem Konzept für eine Reform des Arbeitslosengelds I liefert der SPD-Kanzlerkandidat wichtigen Stoff für den Wahlkampf. Es ist eine Korrektur der Agenda 2010 - aber keine Abkehr.

Analyse von Detlef Esslinger

Franz Müntefering ist wieder da - und er ist möglicherweise selbst überrascht davon. Die SPD hat zum Wochenende ein Konzept vorgelegt, unter welchen Bedingungen sie künftig das Arbeitslosengeld I länger als bisher zahlen möchte. "Für uns ist klar: Die neue Arbeitswelt 4.0 braucht neue Absicherung für die Beschäftigten", heißt es darin. Hört sich an, als hätte die SPD-Arbeitsgruppe unter der Leitung von Arbeitsministerin Andrea Nahles in den vergangenen Tagen dieses Konzept erdacht. Tatsächlich aber lehnt es sich an einen Plan ihres Vorvorvorvorgängers Müntefering aus dem Jahr 2007 an. Der konnte ihn damals jedoch in der eigenen Partei nicht durchsetzen.

Mit dem Thema "Arbeitslosengeld I" hatte der designierte Kanzlerkandidat und Parteivorsitzende Martin Schulz bereits seit Tagen die Nachrichten geprägt - und dass er neben Lob auch viel Kritik zu hören bekam, dürfte ihm von Herzen egal gewesen sein. Er hatte einen Stein ins Wasser geworfen, er sah zu, wie daraufhin die Wellen kreisten, und er wusste ja, dass er noch einen zweiten Stein zur Hand hatte, sobald die Wellen des ersten Steins verplätschert sein würden.

Weiterbildung statt längerer Gnadenfrist

Dieser zweite Stein besteht in dem Konzept, über das an diesem Wochenende die Süddeutsche Zeitung berichtet hatte: in der Konkretisierung von Schulz' Forderung, das Arbeitslosengeld I länger zu zahlen als bisher. Zunächst hatte Schulz den Eindruck erweckt, bloß die Bezugsdauer verlängern zu wollen - und damit viel Geld auszugeben beziehungsweise zu verschwenden, bloß um älteren Arbeitslosen die Gnadenfrist ein wenig zu verlängern, bevor sie dann doch auf Hartz IV, die Minimalsicherung, stürzen.

Nun will er die Bundesagentur für Arbeit verpflichten, Arbeitslosen spätestens nach drei Monaten eine Weiterbildung anzubieten. Für die Zeit dieser Weiterbildung sollen sie ein "Arbeitslosengeld Q" erhalten, in Höhe des Arbeitslosengelds I. Ist die Weiterbildung zu Ende, soll wieder Arbeitslosengeld I gezahlt werden. Das Entscheidende: Die Bezugsdauer des Arbeitslosengelds Q soll nicht auf die Zeit angerechnet werden, in der ein Arbeitsloser Anspruch aufs Arbeitslosengeld I hat. Je nach Alter hat man bisher maximal 24 Monate Anspruch auf Arbeitslosengeld I. Durch das Schulz-Nahles-Müntefering-Konzept wären künftig bis zu 48 Monate möglich.

Die SPD entwickelt Müntefering und sich selbst weiter

Der einstige Parteivorsitzende Müntefering war einer der Architekten der Agenda 2010 gewesen, jener Arbeitsmarktreform der Regierung Gerhard Schröders, von der das Land insgesamt bis heute profitiert, an der die SPD aber weiterhin laboriert. Viele Menschen waren und sind voller Ängste, im Fall von Arbeitslosigkeit lebenslänglich auf Hartz-IV-Niveau zu fallen. Müntefering versuchte damals, diese Ängste aufzugreifen, ohne aber den Grundgedanken der Agenda aufzugeben. Er war bereit, die Bezugsdauer fürs Arbeitslosengeld I von damals maximal 18 Monaten zu verlängern, fürchtete aber, damit "die Menschen in der Passivität zu lassen". Deswegen wollte er die Verlängerung daran koppeln, dass die Betroffenen sich weiterbilden. "Das verstehe ich unter Fördern und Fordern", sagte Müntefering. Die damalige schwarz-rote Koalition beschränkte sich dann jedoch aufs Fördern. Seit 2008 gibt es das Arbeitslosengeld I bis zu 24 Monate lang.

Im Schulz-Nahles-Teil des Konzepts entwickelt die SPD nun sowohl Müntefering als auch sich selbst weiter. Müntefering strebte die Kombination von verlängerter Bezugsdauer und Weiterbildung nur für ältere Arbeitslose an. Schulz/Nahles streben dies nun für Arbeitslose jeder Generation an - und, anders als 2008, erinnern sie ihre Partei jetzt wieder daran, die Betroffenen nicht nur zu fördern, sondern eben bitte auch zu fordern. So gesehen bewegt sich ihr Konzept in der Kontinuität der Agenda 2010. Es ist in der Tat - wie Generalsekretärin Katarina Barley vor einigen Tagen sagte - eine "Korrektur, aber keine Abkehr" davon.

Praktische Fragen sind noch offen

Über zwei Dinge gibt der Kanzlerkandidat jedoch bislang keine Auskunft: ob die Bundesagentur für Arbeit denn überhaupt in der Lage wäre, genügend Weiterbildung anzubieten, die für die Betroffenen auch wirklich brauchbar wäre (und nicht vor allem zum Nutzen der Weiterbildungsindustrie wäre) - und was ihr Konzept denn kosten würde. Inoffiziell ist von einer Milliarde Euro pro Jahr die Rede. Erfahrungsgemäß aber ist Skepsis angebracht, wenn Politiker Konzepte präsentieren, die sie zuvor nicht oder nur vage durchgerechnet haben. Mitunter geht es dann mehr darum, die Lufthoheit in einer Debatte zu erzwingen, als Taten zu managen, nachdem diese Debatte siegreich überstanden ist.

Nur eines kann man der SPD im Allgemeinen und Schulz im Besonderen nun nicht mehr vorwerfen: dass sie wolkig blieben, dass sie die Konkretisierung ihrer Forderung scheuten. Der konstruktive Streit darum, wie man Menschen in Not hilft, kann beginnen. Dazu ist ein Wahlkampf übrigens da - und die SPD hat nun Material dafür geliefert.

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