Wahlkampf in NRW:Lindner flirtet mit der SPD

Vier Wochen vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen haben die meisten Parteien an Rhein und Ruhr die heiße Phase des Wahlkampfes eröffnet. Dabei kam es zu überraschenden Annäherungsversuchen - und Ärger gab es auch.

In vier Wochen stimmen die Bürger an Rhein und Ruhr über ihren neuen Landtag ab. Die Spitzenkandidaten von SPD, FDP und Piraten eröffneten am Samstag die heiße Phase des Wahlkampfes. Einzig die CDU mit ihrem Spitzenkandidaten Norbert Röttgen ließ sich in den Fußgängerzonen von Ruhrgebiet, Rhein- und Münsterland nicht blicken - der Bundesumweltminister startet erst zu Beginn der kommenden Woche in den Straßenwahlkampf.

FDP-Wahlkampfkundgebung in NRW

"In NRW gibt es eine sozialliberale Tradition": Christian Lindner (r.), der Spitzenkandidat der NRW-FDP entdeckt im Landtagswahlkampf plötzlich Gemeinsamkeiten mit der SPD. Trotzdem kritisiert er Ministerpräsidentin Kraft und ihre rot-grüne Regierung wegen deren Haushaltspolitik.

(Foto: dpa)

Überraschende Töne waren von FDP-Spitzenkandidat Christian Lindner zu hören. Er kann sich nämlich, ebenso wie einige Parteigenossen, eine sozialliberale oder eine Ampel-Koalition vorstellen. In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung stellte er inhaltliche Übereinstimmungen mit der SPD fest. "In Nordrhein-Westfalen gibt es die interessante Konstellation, dass sich in manchen Aspekten der Industriepolitik einerseits SPD und FDP nahestehen, andererseits CDU und Grüne. Das finde ich bemerkenswert", sagte Lindner der Zeitung. Zwar habe die FDP immer noch Gemeinsamkeiten mit der Union. "In NRW gibt es andererseits eine sozialliberale Tradition", fügte Lindner hinzu. Er kündigte an, auf dem Parteitag am 6. Mai gegebenenfalls eine Koalitionsaussage zu treffen.

Ungeachtet der vermeintlichen Gemeinsamkeiten griff Lindner die Haushaltspolitik von Rot-Grün scharf an. "Hannelore Kraft beschädigt die Zukunft der jungen Generation in NRW und damit die Glaubwürdigkeit Deutschlands in Europa", sagte der 33 Jahre alte FDP-Politiker bei einer Kundgebung vor etwa 250 Menschen. Der Staat könne gar nicht genug Geld haben, als dass eine rot-grüne Regierung damit auskäme.

"Von der Reservebank zurück aufs Spielfeld"

Lindner bemängelte vor allem die Steuer- und Bildungspolitik der Minderheitsregierung sowie die Vernachlässigung der Infrastruktur im Land. Der FDP-Spitzenkandidat trat gemeinsam mit NRW-FDP-Generalsekretär Joachim Stamp und Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr auf. Von ihm übernimmt Lindner am 6. Mai voraussichtlich das Amt des Landesvorsitzenden. Das Trio demonstrierte bei seinem Auftritt Einigkeit: Er begrüße es, so Bahr, dass Lindner "von der Reservebank zurück aufs Spielfeld" käme.

Ministerpräsidentin und Spitzenkandidatin Hannelore Kraft gab mit einer Kundgebung in ihrer Heimatstadt Mülheim an der Ruhr das Startzeichen für den Straßenwahlkampf. Unterstützt wurde sie von Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit. Kraft appellierte an die mehr als 300 Zuhörer, auf jeden Fall zur Wahl zu gehen. Die SPD habe in der Minderheitsregierung mit den Grünen viel erreicht. Jetzt müsse es bei den vorgezogenen Wahlen aber wieder eine stabile Mehrheit geben.

Bei der zweiten Station in Gelsenkirchen ging Kraft auf den Steuerstreit mit der Schweiz ein. Sie bekräftigte ihr Nein zu dem geplanten Steuerabkommen mit der Regierung in Bern. "Das ist für mich eine fundamentale Gerechtigkeitsfrage", sagte sie. "Gegen einen kleinen Obolus kommen die Steuersünder davon und bleiben auch noch anonym. Den USA hat die Schweiz größere Zugeständnisse gemacht." Unter den Geldern, die illegal in die Schweiz geschafft würden, seien auch Gewinne aus Verbrechen. "Mit mir ist das nicht zu machen."

"Schön, wenn Frauen wieder den Haushalt machen"

Ein Wahlplakat sorgt indes für Verstimmungen in der rot-grünen Koalition in Düsseldorf. Weil sich Kraft vom kleinen Regierungspartner zu stark für den Wahlkampf vereinnahmt sah, müssen die Grünen eines ihrer Plakate für den Landtagswahlkampf ändern. Dies berichtet die in Düsseldorf erscheinende Rheinische Post und beruft sich dabei auf SPD-Kreise.

Die Grünen zeigten sich überrascht. Das Plakat hatte den Eindruck erweckt, Kraft fordere Bürger auf, mit ihrer Zweitstimme die Grünen zu wählen. Dies sei für sie nicht akzeptabel, hieß es in dem Zeitungsbericht. Auf dem beanstandeten Plakat waren unter dem Spruch "Schön, wenn Frauen wieder den Haushalt machen" die beiden Spitzenkandidatinnen von SPD und Grünen, Kraft und Sylvia Löhrmann, zu sehen. Neben Krafts Kopf war ein Banner mit der Aufschrift "Zweitstimme Grün" platziert, der auch als Sprechblase ausgelegt werden könnte. Die SPD befürchtet, dass die Grünen ihr Zweitstimmen abjagen könnten und es schließlich statt zu einer Neuauflage von Rot-Grün zu einer Koalition der Grünen mit der CDU kommt.

In Dortmund bezogen die NRW-Piraten indes Position zu Fragen der Bildungs- und Innenpolitik. Mit der Forderung nach einem eingliedrigen Schulsystem und der Auflösung der Klassenverbände zieht die Partei in den Landtagswahlkampf. Ein Sonderparteitag stimmte diesem Konzept mit deutlicher Mehrheit zu.

"Wir brauchen eine Politik der kleinen Schritte", sagte Spitzenkandidat Joachim Paul. Die Piraten fordern eine bessere Ausstattung von Schulen mit Computern, virtuellen Klassenzimmern und kostenlosem Lernmaterial aus dem Internet. Ein Großteil der Schüler soll mobile Computer bekommen. Für alle Maßnahmen rechnet die Partei insgesamt mit Kosten in Höhe von 162 Millionen Euro.

In ihrem Wahlprogramm lehnen die Piraten außerdem "eine Ausweitung von Überwachungstätigkeiten im Internet" ab. Außerdem dürfe eine Online-Durchsuchung nur bei einem Anfangsverdacht und Anordnung durch einen Richter durchgeführt werden.

Polizeibeamte wollen die Piraten mit einem eindeutigen Identifikationsmerkmal versehen. Dadurch sollen einzelne Beamte nach Ausschreitungen bei Demonstrationen ermittelt werden können. Zudem fordert die Partei einen Polizeibeauftragten des Landtages - analog zum Wehrbeauftragten der Bundeswehr.

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