Frankreich:Sarkozy, Polygamie und Franzosen zweiter Klasse

Frankreichs Politiker läuten mit markigen Sprüchen den Wahlkampf ein - und schlagen vor, Eingebürgerten bei Vergehen den Pass zu entziehen. Das Startsignal gab Präsident Sarkozy selbst.

Stefan Ulrich, Paris

Welche neuen Sanktionen drohen einem polygamen Franzosen ausländischer Herkunft, dessen straffälliger und die Schule schwänzender Sohn gegen Bewährungsauflagen verstößt? Wenn es nach Präsident Nicolas Sarkozy und seiner Regierungsmehrheit geht, lautet die richtige Antwort: Der Vater bekommt kein Kindergeld mehr, er muss bis zu zwei Jahre ins Gefängnis und verliert die französische Staatsangehörigkeit.

Nicolas Sarkozy

Zuwanderer, die sich daneben benehmen, sollen ihren Pass abgeben: Nicolas Sarkozy will so die Kriminalität stoppen. Und mit markigen Sprüchen im allmählich beginnenden Präsidentschaftswahlkampf 2012 punkten.

(Foto: dpa)

Der Präsident gibt das Startsignal, der Innenminister legt nach

Was wie ein lebensfremder Fall für Jurastudenten wirkt, entspringt den Phantasien der regierenden Rechten. Ihre Politiker machen seit Tagen mit eigenwilligen Vorschlägen zur inneren Sicherheit Furore. Französische Kommentatoren glauben, damit werde der Präsidentschaftswahlkampf 2012 eingeleitet. Das Startsignal gab Sarkozy selbst. Er forderte, eingebürgerten Franzosen die Staatsangehörigkeit zu nehmen, wenn sie, etwa bei Unruhen in den Banlieues, das Leben von Polizisten gefährdeten.

Nun legt Innenminister Brice Hortefeux nach. Er schlägt vor, Eingebürgerten die Nationalität auch in anderen Fällen zu entziehen: bei Polygamie, der Beschneidung von Mädchen, Menschenhandel und allgemein schweren Verbrechen. Dabei nehmen Sarkozy und sein Minister in Kauf, Franzosen erster und zweiter Klasse zu schaffen. Für Neu-Franzosen würde eine Sonderstrafe gelten, obwohl Artikel 1 der Verfassung "die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz ohne Unterschied der Herkunft" vorschreibt.

Srakozy, der Super-Bulle

Juraprofessoren weisen zudem auf das Völkerrecht hin, das es verbiete, Menschen in die Staatenlosigkeit zu drängen. "Auch ein schlechter Bürger bleibt ein Bürger", bekräftigt der Verfassungsjurist Guy Carcassonne. "Man darf ihm seine Freiheit nehmen, aber nicht seine Persönlichkeit, zu der die Nationalität gehört." Die linke Zeitung Libération fühlt sich an "die schändlichsten Stunden der französischen Geschichte" erinnert. Zuletzt habe das mit den Nazis kollaborierende Vichy-Regime Juden die Staatsangehörigkeit genommen.

"Die schändlichsten Stunden der französischen Geschichte"

Das Regierungslager heizt derweil mit weiteren Ideen die Diskussion an. So schlägt der Abgeordnete Éric Ciotti eine Art Sippenhaft für Eltern vor, deren minderjährige Kinder sich nicht an Bewährungsauflagen halten. Vater und Mutter sollen dann ins Gefängnis geschickt werden können. Ciotti ist nicht irgendein irrlichternder Hinterbänkler, sondern der Sekretär für Sicherheitsfragen der Regierungspartei UMP. Auf ihn geht auch ein Vorschlag zurück, der schon im Parlament debattiert wird: Eltern, deren Kinder häufig die Schule schwänzen, sollen kein Kindergeld mehr bekommen.

All die Einfälle sind mehr als nur ein Beitrag zur Füllung des Sommerlochs. Sie sollen in zwei Gesetzesvorschläge zur inneren Sicherheit und zur Immigration eingehen, die Anfang September dem Parlament präsentiert werden. Kritiker sagen, Sarkozy wolle sich wieder einmal als super-flic, als oberster Polizist der Nation, inszenieren. Der Präsident vermenge die Themen Einwanderung und Kriminalität, um Stimmung zu machen. Da er als Erneuerer Frankreichs nicht reüssiere und mit etlichen Affären seiner Regierung zu kämpfen habe, wolle er auf diese Tour verlorene Anhänger zurückgewinnen und dem rechtsextremen Front National Wähler abwerben. Das Regierungslager weist die Kritik als gutmenschelndes Gerede der Linken zurück. Die Sozialisten verharrten angesichts der Kriminalität im Lande in ihrer "stillen Naivität" und verweigerten so Menschen in Gefahr die Hilfe.

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