Wahlkampf in Ägypten:Kulturrevolution im TV-Studio

Inhaltlich ging es um praktisch alles. Doch schon die Tatsache, dass die beiden ägyptischen Präsidentschaftskandidaten sich in einer Fernsehdiskussion erklären, ist nichts weniger als eine Revolution.

Tomas Avenarius, Kairo

Die Ägypter können nun doch termingerecht - und vor allem zum ersten Mal frei - ihren Präsidenten wählen: Das Oberste Verwaltungsgericht des Landes hat ein Urteil einer Vorinstanz aufgehoben, dass die Abstimmung knapp zwei Wochen vor der Wahl wegen formaler Mängel aussetzen lassen wollte.

Wahlkampf in Ägypten: Erster offener Wahlkampf in Ägypten: Anhänger der Muslimbruderschaft gehen in Kairo für ihren Kandidaten Mohammed Mursi auf die Straße.

Erster offener Wahlkampf in Ägypten: Anhänger der Muslimbruderschaft gehen in Kairo für ihren Kandidaten Mohammed Mursi auf die Straße.

(Foto: AFP)

Eine Verschiebung wäre im postrevolutionären Ägypten kaum zu vermitteln gewesen: Knapp eineinhalb Jahre nach dem Sturz von Hosni Mubarak will das derzeit regierende Militär dann endlich wieder die Macht in zivile Hände übergeben, eine Forderung, die alle Parteien und Präsidentschaftskandidaten erheben. Dass diese Präsidentenwahl ein Meilenstein in der Geschichte des jahrzehntelang autoritär regierten Landes werden dürfte, zeigt auch der offen und hart geführte Wahlkampf: Erstmals hatten die beiden aussichtsreichsten Kandidaten in einer Fernsehdiskussion Rede und Antwort stehen müssen.

Die Bedeutung der TV-Debatte lag weniger im Inhaltlichen. Das Meiste war erwartbar gewesen bei dem Rededuell zwischen dem als gemäßigten Islamisten geltenden Abdul-Moneim Abul Futuh mit seiner landärztlich-volksnahen Attitüde und dem liberal-säkularen Ex-Diplomaten Amre Mussa, der seine Jahrzehnte auf dem polierten internationalen Parkett auch als Wahlkämpfer nicht verbergen kann oder will.

Aber die Tatsache, dass sich die Bewerber um das höchste Staatsamt vier Stunden lang vor ihrem Volk erklären, bedeutet ebenso wie der gesamte Wahlkampf eine Revolution der politischen Kultur in einem Land, das seit 1952 von allesamt aus dem Militär stammenden Präsidenten semi-diktatorisch regiert worden ist.

In der TV-Debatte ging es um praktisch alles

Der Arzt Abul Futuh war früher ein bekannter Studentenführer: In einer öffentlichen Diskussion mit dem damaligen Staatschef Anwar al-Sadat hatte er diesem eine schlechte Politik vorgeworfen, sich von der erzürnten Reaktion des Präsidenten nicht einschüchtern lassen und landesweite Bekanntheit errungen.

Als Muslimbruder saß er unter Mubarak jahrelang im Gefängnis, geriet aber später in Streit mit den Führungsgremien der Islamisten-Organisation. Nachdem er kurz nach dem Mubarak-Sturz eigenmächtig seine Präsidentschaftskandidatur erklärt hatte, wurde er von der für ihre innere Disziplin bekannten Organisation ausgeschlossen. Den Wahlkampf hatte Abul Futuh früh begonnen; wer seine aufwendige Kampagne bezahlt, ist unklar.

Anders als Abul Futuh ist Amre Mussa kein Oppositioneller der Mubarak-Jahre. Er ist aber auch kein typischer Nutznießer des alten Regimes gewesen. Mussa profitiert davon, dass er ein international bekanntes Gesicht ist: Er war zehn Jahre lang Außenminister und soll Mubarak im Kabinett wegen dessen betont freundlicher Israel-Politik des öfteren widersprochen haben. Auch dafür ist Mussa in Ägypten bis heute populär. Mubarak lobte den eigensinnigen Diplomaten zur Arabischen Liga weg, die Mussa als Generalsekretär bis Mitte 2011 führte.

In der TV-Debatte ging es um praktisch alles: Von der Rolle, die die Scharia als islamisches Gesetz in einer modernen Gesellschaft spielen soll, bis hin zur Bildungs-, Sozial- und Außenpolitik. Im Zentrum stand dabei das Verhältnis zu Israel, mit dem Ägypten 1979 einen bei der Bevölkerung bis heute ungeliebten Friedensvertrag geschlossen hat: Kein Kandidat kann eine Wahl gewinnen ohne zumindest Nachverhandlungen über Teile des Camp-David-Vertrags zu fordern. Was beide Kandidaten auch taten, ohne den Frieden mit dem Nachbarstaat in Frage zu stellen.

Abul Futuh hielt Mussa erwartungsgemäß seine Regimetreue vor: "Hier gilt die alte Regel, wonach derjenige, der ein Problem geschaffen hat, es nicht lösen kann." Mussa reagierte ähnlich voraussagbar: "Das Regime, das gestürzt wurde, stürzte mit mir als einem Mann, der außerhalb der Macht stand." Der Ex-Diplomat hielt dem Islamisten dafür seine Vergangenheit bei den Muslimbrüdern vor: "Sie haben nicht die ägyptischen Interessen verteidigt, sondern die Positionen der Bruderschaft."

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