Wahlkampf im Fernsehen:TV-Duelle - Königsdisziplin aller Wahlkämpfer

TV-Duell zur Bundestagswahl 2013

TV-Duell gegen SPD-Spitzenkandidat Steinbrück: Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrer Ankunft 2013 im Fernsehstudio Berlin-Adlershof

(Foto: dpa)

Früher verweigerten Kanzler sich TV-Duellen, weil sie sich "nicht auf ein Stühlchen setzen und warten wollten, bis ihnen das Wort erteilt wird". Doch spätestens seit Stoiber gegen Schröder wissen alle: Solche Gesprächsrunden können Wahlen entscheiden.

Von Nico Fried

Die Geschichte der Wahlkampfdiskussionen im deutschen Fernsehen beginnt mit einem Duell, das es nicht gab. 1969 forderte der SPD-Kanzlerkandidat und Außenminister der Großen Koalition, Willy Brandt, vom CDU-Kanzler Kurt-Georg Kiesinger einen gemeinsamen Auftritt. Kiesinger lehnte ab. "Es steht dem Kanzler der Bundesrepublik nicht gut an, sich auf ein Stühlchen zu setzen und zu warten, bis ihm das Wort erteilt wird", lautete seine Begründung.

44 Jahre später gewährte Angela Merkel ihrem sozialdemokratischen Herausforderer Peer Steinbrück ein Fernsehduell und wirkte, als hätte sie Kiesingers Mahnung im Hinterkopf: Sie saß nicht auf einem Stühlchen, sondern stand hinter einem Pult. Und sie antwortete achtmal auf ihren Gegner, ohne gefragt worden zu sein. Das war sogar zweimal häufiger als Steinbrück, wie die Medienwissenschaftler Christoph Tapper und Thorsten Quandt akribisch nachgezählt haben.

Die Wirkung der Debatten ist in Wahrheit unklar

Das Fernsehen ist das wichtigste Wahlkampfmedium. Und das Kanzlerduell ist, nun ja, die Königsdisziplin. Kiesinger verlor die Wahl, Merkel gewann haushoch. In Wahrheit aber ist die Wirkung der Debatten auf die Wahlentscheidung unklar. Eine Studie nach den beiden Duellen zwischen Gerhard Schröder und Edmund Stoiber 2002 kam zu dem Ergebnis, dass zehn Prozent der Zuschauer ihre Wahlabsicht verändert haben sollen. Weil das Ergebnis am Ende so knapp war, haben die Duelle demnach die Wahl sogar mitentschieden.

Kann sein, kann nicht sein.

Viel dürfte von den Debatten nach der Debatte abhängen. Deshalb schicken die Parteien alles, was zwei Sätze hintereinander formulieren kann, sowohl hinter die Kulissen der Fernsehstudios, als auch in die anschließenden Talkshows. Meinungsforscher präsentieren Blitzumfragen, Journalisten befragen Journalisten. Als Leitbild des beeinflussbaren Wählers mag jene Amerikanerin gelten, die 1976 nach dem Duell zwischen Gerald Ford und Jimmy Carter gesagt haben soll: "Ich dachte, Ford hätte das Duell gewonnen, aber in der Zeitung stand, es sei Carter gewesen. Also muss es wohl Carter gewesen sein."

Ebenso ungesichert wie die Wirkung scheint die Erwartung des Publikums an Fernsehdebatten zu sein. Wilfried Köpke, Medienwissenschaftler aus Hannover, glaubt, wer am Ende als Sieger aus dem Duell hervorgehe, hänge in erster Linie von der Körpersprache ab. "Gestik und Mimik sind für 50 bis 65 Prozent der Zuschauer entscheidend, 30 Prozent achten auf Sprache und Niveau, auf die reine Information achten nur bis zu 20 Prozent", sagte Köpke einst der Zeitung Die Welt. Marcus Maurer von der Uni Mainz befand hingegen auf die Frage, worauf Zuschauer besonders achteten: "Nicht so sehr auf Aussehen oder Körpersprache der Kandidaten."

Mittlerweile sind TV-Debatten auch in den Ländern Routine

Fest steht, dass die Einschaltquote als Gradmesser für die Spannung am Wahlabend gelten kann: Schröder gegen Stoiber verfolgten insgesamt 30 Millionen Zuschauer, das Wahlergebnis war so haarscharf, dass sich der CSU-Politiker kurzzeitig schon als Sieger wähnte. 21 Millionen Zuschauer, bislang der Spitzenwert für ein einzelnes Duell, sahen 2005 Merkel gegen Gerhard Schröder - und am Wahlabend hätte der Sozialdemokrat seine Herausforderin entgegen allen Umfragen fast noch eingeholt. Dagegen verfolgten 2009 nur 14 Millionen Merkel gegen Frank-Walter Steinmeier - am Wahlabend landete die SPD bei historisch schlechten 23 Prozent.

Mittlerweile sind TV-Debatten in unterschiedlichen Formaten auch bei Wahlen in den Ländern beinahe Routine. Die Baden-Württemberger, die im März einen neuen Landtag wählen, haben schon eines hinter sich, in Rheinland-Pfalz begegnen sich Ministerpräsidentin Malu Dreyer und ihre Herausforderin Julia Klöckner am 1. März. Wo das Eins-gegen-eins-Duell nicht stattfindet, veranstalten die Sender Diskussionsrunden mit Vertretern der im Landtag vertretenen Parteien, wie der MDR in Sachsen-Anhalt. Im Südwesten lädt der SWR zusätzlich zu den Duellen noch alle aussichtsreichen Parteien ein, was zum Krach über die Beteiligung der AfD geführt hat.

Zeitvorgaben? Lange undenkbar

Kiesinger vermochte also den Trend zur Fernsehdebatte, der ursprünglich aus den USA kam, ebenso wenig aufzuhalten, wie er seine Kanzlerschaft erhalten konnte. Die Bereitschaft zum Streit vor laufenden Kameras wuchs, auch aus Einsicht in die Massenwirkung des Mediums. 1972 wurden gleich drei Runden ausgestrahlt, von 1976 an bis 1987 war "Drei Tage vor der Wahl" der Titel der Elefantenrunde, in der die Politiker aufeinanderprallten. Und wie. Strenge Zeitvorgaben, die später die Duelle zwischen Gerhard Schröder und Edmund Stoiber abwürgten - 90 Sekunden für eine Antwort, 60 Sekunden für eine Ergänzung - waren damals undenkbar.

In einer legendären Runde von 1976 war Amtsinhaber Helmut Schmidt mehr als drei Stunden nach Beginn der Sendung noch in der Stimmung, seinen Herausforderer frontal anzugreifen: Helmut Kohl sei zu Verwandten in die DDR gefahren, habe sich aber nie bei der SPD für den Grundlagenvertrag bedankt, der diese Reise erst möglich gemacht habe. "Was geht eigentlich in Ihrem Kopf vor?", donnerte Kohl zurück. "Was denken Sie sich eigentlich? Wer sind Sie denn?" Umgekehrt insinuierte Kohl, Schmidt habe sich mit dem Schießbefehl an der DDR-Grenze abgefunden. "Skandalös", sagte der Kanzler und steckte sich erst mal eine Zigarette an.

Zitat

"Was geht eigentlich in Ihrem Kopf vor? Was denken Sie sich eigentlich? Wer sind Sie denn?" - Helmut Kohl, an Helmut Schmidt gerichtet

Später keilte er zurück: "Wenn jemand den Wahlkampf verbittert hat, dann Sie mit Ihrer unverschämten Beleidigung, die Sozialisten seien Gegner der Freiheit." Kohl hielt dagegen, warf Schmidt "unglaubliche persönliche Herabsetzungen" vor. Und auch Franz Josef Strauß erlaubte sich Zweifel an Schmidts geistiger Verfassung: "Sie mit Ihren Rundumhieben hier, mit denen Sie allmählich einen Kahlschlag erzielen. Da hab ich ja wirklich ernste Sorge über Ihren Zustand." Die Moderatoren saßen auf ihren Stühlchen, warteten darauf, dass ihnen das Wort erteilt wurde und bettelten um Mitleid für die Zuschauer.

Bei Schröder baute das Fernsehen an Status und Nimbus des Kanzlers

1987 bezeichnete die Grünen-Politikerin Jutta Ditfurth, die erste Frau in einer deutschen Wahlkampfdebatte, Strauß als "Atom-Diktator aus Bayern" und nahm sich für eine Antwort rund sieben Minuten Zeit, immer wieder unterbrochen von Zwischenrufen der vier anderen Teilnehmer, unter ihnen ein wütender Strauß ("Ich lasse mich von Ihnen nicht provozieren!"), und dem Appell der Moderatoren, zum Ende zu kommen: "Die Zuschauer sind auf andere Programme eingestellt."

Duelle kamen hingegen lange nicht zustande. Schmidt verweigerte Strauß 1980 den Zweikampf vor den Kameras. Kohl wollte sich, 1982 gerade Kanzler geworden, bei der Neuwahl im Frühjahr 1983 nicht mit Hans-Jochen Vogel duellieren - und hielt es so auch die restlichen 15 Jahre seiner Amtszeit. "Kohl hatte immer zwei Gründe, solche Duelle abzulehnen", sagte später der ehemalige CDU-Generalsekretär Peter Hintze. "Er wollte den Kanzlerstatus nicht beeinträchtigen lassen und den Kanzlernimbus nicht gefährden."

Bei Gerhard Schröder war es umgekehrt. Für ihn baute das Fernsehen entscheidend mit an Status und Nimbus des Kanzlers. Schröder und Edmund Stoiber trugen im Jahr 2002 erstmals TV-Duelle aus. Stoiber war dazu bereit, weil er wusste, dass das Image seiner Rhetorik so schlecht war, dass er nichts mehr zu verlieren hatte - eine Taktik, die in der ersten Runde aufging, nach der dem Kanzlerkandidaten allseits ein gönnerhaftes "besser als gedacht" entgegenschlug. Schröder war dafür, weil er wusste, dass er sympathischer und souveräner rüberkommen würde, was sich im zweiten Durchgang dann auch bewahrheitete.

Angela Merkel erbte die noch junge Tradition des TV-Duells von ihrem Vorgänger, in etwa so wie fünf Millionen Arbeitslose bei Amtsantritt und den Afghanistan-Einsatz. Merkel bestritt anfangs TV-Duelle so gerne wie ein Normalbürger den Kontrolltermin beim Zahnarzt: Was sein muss, muss sein, aber bitte, bitte keine größeren Schäden. Im direkten Aufeinandertreffen 2005 wurde Schröder nach einer Äußerung seiner Frau gefragt, die Merkel in einem Interview vorgehalten hatte, ihr würden wegen ihrer Kinderlosigkeit angeblich die Erfahrungen der meisten Frauen fehlen. Schröder antwortete mit einer Liebeserklärung: "Sie lebt das, was sie sagt, und das ist nicht zuletzt der Grund, warum ich sie liebe." Merkel war fassungslos.

Das Schlusswort ist besonders wichtig, das nutzte Merkel 2013 sehr geschickt

Besonders wichtig beim TV-Duell ist das Schlusswort. Michael Naumann, SPD-Kandidat bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg 2008, versemmelte sein Statement schon im ersten Satz, als er sagte: "Wir wollen die Kinder, die Bildungs- und Studiengebühren abschaffen." Eine halbe Minute lang irrte Naumann orientierungslos durch seine programmatischen Versatzstücke, die in seinem Kopf zu wirbeln schienen wie ein Schneesturm. "Gratuliere, damit haben Sie die Wahl gewonnen", soll Naumann anschließend zu Ole von Beust (CDU) gesagt haben. Und er behielt recht.

Angela Merkel hingegen beendete ihren Auftritt 2013, direkt ans Publikum gewandt, mit dem Satz: "Sie kennen mich." Es waren nur drei Worte, die eine völlig auf die Person Merkel abgestellte Kampagne geschickt zusammenfassten. Von Steinbrück soll sie sich mit dem lapidaren Satz verabschiedet haben: "Ist doch noch warm geworden."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: