Wahlkampf-Haus in Berlin:Erlebnisexperiment

Die Finanzspritzen aus der "Familienpackung" werden in einem Raum mit Umzugskartons erklärt: Merkel will ihr Wahl-programm erfahrbar machen.

Von Pia Ratzesberger

Angela Merkel steht vor einem Herz aus Samt. Einem roten Ungetüm in der Halle eines früheren Kaufhauses, Berlin-Mitte. Die Wände nicht verputzt, Glühbirnen an der Decke, die CDU hat alles aufgefahren, was als zeitgenössisch gilt. In diesem Haus könnte Merkel vermutlich auch gut Açaí-Bowls verkaufen, die Kanzlerin aber will in diesen zwei Etagen ihr Wahlprogramm "erfahrbar" machen. Die Adern des überdimensionalen Herzes enden in zwei Bildschirmen, deren Zahlen belegen sollen, wie gut es der Wirtschaft mit Merkel geht: Weniger Arbeitslose, steht dort zum Beispiel, mehr Exporte. Die Menschen sollen ihr Wahlprogramm mit "allen Sinnen erleben", sagt Merkel und führt später noch zu einem Sternenhimmel. Das passt gut zu einem ohnehin gefühligen Wahlkampf, in dem die Kanzlerin mit Slogans wirbt wie "Ja zur Zukunft". Oder mit "Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben", nach dessen Kurzform die CDU diesen Ort nun das #fedidwgugl Haus nennt. Bis zur Wahl ist geöffnet, überall an den Wänden klebt der Hashtag - wer nicht in Berlin wohnt, soll wenigstens über Facebook, Twitter und Snapchat mitbekommen, dass die CDU sich nun in Mitte eingemietet hat.

Wahlprogramm Haus der CDU

Merkel und ihr Herz aus Samt.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Alle wüssten doch, sagt die Kanzlerin, dass die Begeisterung, ganze Programme zu lesen, sich in Grenzen halte. Die Kommunikation habe sich verändert, niemand frage sie heute noch nach Autogrammen, sondern nur noch nach Selfies. Die 75 Seiten der CDU sollen ihre Wähler nun nicht mehr zwingend lesen müssen, sondern sich zum Beispiel in der "Familienpackung" informieren. Einem Raum aus Umzugskisten, Merkel öffnet einen kleinen Tresor, die Zahl von 36 000 Euro erscheint - geht es nach der CDU, sollen Familien mit Kindern beim ersten Kauf einer Immobilie einen Zuschuss erhalten, das sogenannte Baukindergeld. Bei einer Familie mit drei Kindern wären das 36 000 Euro, neben Merkel warten noch weitere Tresore auf die Öffnung. Das Ganze mutet an wie eines dieser Mitmach-Museen, in denen dem Nachwuchs erklärt wird, wie das Stromnetz funktioniert - nur dass hier erklärt wird, warum Merkel noch einmal Kanzlerin werden soll. In einem Sternenhimmel verewigt sie sich mit ihrem Namen, jeder könne dort eintragen, was er mit Europa verbinde, die Kanzlerin entscheidet sich für Freiheit. Die "Smileywand" allerdings ist am Freitag geschlossen, wegen des Anschlags in Barcelona werde man die erst einen oder zwei Tage später öffnen - weil der Programmpunkt ausfällt, bleibt der Kanzlerin aber noch Zeit, sich bei den Nachbarn bekannt zu machen. Und das kommt vermutlich ohnehin besser an als eine Smileywand. Mit einem Packen Einladungskarten läuft sie zur Eisdiele auf der anderen Straßenseite, lädt den Besitzer zur "Housewarming Party am Sonntag" ein. "Ich werde da sein", sagt Merkel. Sie geht dann auch noch zum Brillenladen, zur Kneipe, zur Fahrradwerkstatt, zu einem Falafelimbiss - er und seine Frau würden gerne kommen, sagt der Besitzer. Dann bittet er um ein Selfie.

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