Wahlkampf:Grüne wählen Spitzenkandidaten - "Die Basis ist Boss"

Wahlkampf: Höchst unterschiedliche Typen: Fraktionschef Anton Hofreiter, Parteichef Cem Özdemir und der Kieler Umweltminister Robert Habeck (von links).

Höchst unterschiedliche Typen: Fraktionschef Anton Hofreiter, Parteichef Cem Özdemir und der Kieler Umweltminister Robert Habeck (von links).

(Foto: Hannes Jung, DPA, imago)
  • Die Grünen leiten am Samstag formell die Urwahl ihres Spitzenduos für die Bundestagswahl 2017 ein.
  • Auf dem kleinen Parteitag in Berlin präsentieren sich die vier Kandidaten vor 92 Delegierten aus den Bundesländern.
  • Einzige Bewerberin ist bislang Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Bei den Männern konkurrieren Anton Hofreiter, Cem Özdemir und Robert Habeck.

Von Stefan Braun, Berlin

Zugegeben, die Organisatoren haben ihre "Operation Urwahl" fürs Erste gut geplant. Erst hatten sie ein bisschen Appetit gemacht, dann kam die Sommerpause. Und jetzt, da alle Welt spürt, wie sehr die Bundestagswahl ins Blickfeld rückt, werden die Grünen den Startschuss für das parteiinterne Spektakel geben. Formal wird das am Samstag ein Länderrat in Berlin beschließen. Und damit das schnell in ein echtes Rennen mündet, dürfen die Wettbewerber zu diesem Anlass ein erstes Mal in die Bütt steigen.

Erstmals also werden Parteichef Cem Özdemir, Fraktionschef Anton Hofreiter und der Kieler Umweltminister Robert Habeck als Kandidaten auftreten. Bundesgeschäftsführer Michael Kellner schwärmt von der Urwahl als "Alleinstellungsmerkmal" und behauptet, dass der Wettstreit für die Grünen zum großen "Gewinnerthema" werde.

Die Zahlen sind ernüchternd

Nun kann man verstehen, dass Kellner die Sache großartig findet. Als Geschäftsführer und kommender Wahlkampfleiter muss er alles hervorheben, was den Grünen derzeit helfen könnte. Denn die nackten Zahlen sind aktuell nur mittelmäßig. Nach stabil etwa 13 Prozent in den Umfragen der letzten Monate sackten die Grünen jüngst bundesweit auf elf ab. Und die allerneueste Umfrage des Politbarometers für die Wahl in Berlin in gut einer Woche dürfte auf viele Grüne ziemlich ernüchternd wirken. Anders als bislang erhofft könnten die Berliner Grünen demnach trotz durchwachsener Bilanz der rot-schwarzen Stadtregierung schlechter abschneiden als vor fünf Jahren. Das wäre ein herber Schlag, nicht nur für die Grünen in der Hauptstadt.

Umso mehr gilt das Prinzip Hoffnung. Und eines immerhin ist gewiss: Wettbewerbe um Spitzenplätze sichern einer Partei große Aufmerksamkeit. Das haben andere Parteien immer wieder erfahren, und bei den Grünen ist es 2013 nicht anders gewesen. Überdies: Wenn es gutgeht, wenn also die Auftritte der Bewerber echte Wettbewerbe sind und keine Hahnenkämpfe, dann könnte gelingen, was sich Kellner am meisten erhofft: dass der Wettstreit die Konturen der Partei schärft. Gerne erinnern sich viele Grüne an den Parteitag vor der jüngsten Europawahl. Damals mussten die Bewerber um die Spitzenkandidatur auf offener Bühne gegeneinander antreten. Und durch ihre zum großen Teil sehr leidenschaftlichen und guten Auftritte wussten hernach nicht nur sie selbst, sondern alle im Saal wieder, warum sie bei den Grünen mitwirken. Ein Wettbewerb, der die eigenen Leute motiviert - nichts erhofft sich eine Partei mehr, die es als kleinere Oppositionsfraktion im Bundestag zuletzt nicht leicht hatte, für Wähler und Mitglieder kenntlich zu bleiben.

Kellner, der seit der Niederlage 2013 im Amt ist, trommelt auch deshalb so laut. Lange, aus Sicht der Grünen viel zu lange, dominierte die große Koalition alle Debatten. Das war vor dem Anschwellen der Flüchtlingskrise im Sommer 2015 so - und hat sich trotz der vielen internen Konflikte der Regierung nicht geändert. Umso wichtiger ist es, eigene Akzente zu setzen.

Letztes Mal, als die Grünen nennenswert neue Leute anlockten, ist Jahre her

Das soll ihnen im Übrigen nicht nur mehr Aufmerksamkeit bescheren. Die Parteispitze hofft auch darauf, neue Mitglieder anzulocken. Also ist entschieden worden, dass alle, die bis zum 4. November eintreten, mitstimmen dürfen. Beteiligung an der Urwahl soll zum Bonus werden, um Mitstreiter anzulocken. Derzeit zählen die Grünen 59 400 Mitglieder. Tendenz fallend. Das letzte Mal, als die Grünen nennenswert neue Leute anlockten, ist Jahre her. Ein Schub kam im Herbst 2010, als die schwarz-gelbe Koalition beschloss, den Atomausstieg zu verschieben. Ein zweiter folgte nur wenige Monate später, als in Fukushima ein Tsunami eine Atomkatastrophe auslöste.

59 400 Mitglieder

haben die Grünen. "Basis ist Boss", das hat die Parteispitze sich als Urwahl-Motto für die beiden Spitzenplätze bei der Bundestagswahl ausgesucht. Katrin Göring-Eckardt ist bisher die einzige Frau, die sich bewirbt. Wer bis zum 4. November eintritt, darf bei der Urwahl mitmachen.

Daran lässt sich ablesen, wie wichtig dieses Gründungsthema bis in die jüngste Zeit hinein geblieben ist. Umso mehr fällt auf, dass von den bislang vier Kandidaten (Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt tritt bei den Frauen bislang ohne Konkurrenz an) nur einer das Thema Atom in seiner Bewerbung erwähnt hat. Es ist Anton Hofreiter, der erzählt, wie sehr ihn der Kampf gegen die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf geprägt hat. Es war eine klare Frontstellung. Hofreiter bleibt einer, der über den Kampf kommt.

Seine beiden Kontrahenten Özdemir und Habeck wollen zwar auch "kämpfen", aber bei beiden klingt das anders. Habeck schreibt an einer Stelle, er sehe die Grünen nicht als Ankläger oder schlechtes Gewissen der Gesellschaft, sondern als "ihre Vertrauensleute, ihre Anwälte". Und an einer anderen Stelle heißt es, grüne Politik "muss einschließen, nicht abwehren. Greifen wir nicht mehr an. Greifen wir ein!" Das ist eine ganz andere Tonlage.

Konkurrenzlos auf dem Frauenticket: Katrin Göring-Eckardt

Eine zudem, die der von Özdemir nahe kommt. Auch er will nicht entschlossene Grüne zu noch entschlosseneren machen. Er will ausgreifen in Milieus, die noch nicht Grüne wählen. Sein zentraler Satz: "Es gibt immer mehr Menschen, die grün einkaufen, grün denken und grün handeln - aber nicht unbedingt grün wählen." Einen inhaltlichen Schwerpunkt will Özdemir sich wie Habeck nicht wirklich geben - während Hofreiter Klimaschutz, Agrarwende und eine faire Handelspolitik zu seinen Kernthemen erklärt hat.

Und KGE, wie Göring-Eckardt bei den Grünen genannt wird? Sie erinnert in ihrer Rhetorik an Angela Merkel. So schreibt sie: "Meine Erfahrung ist: Veränderung ist eine Chance. Man kann Veränderungen mit Angst oder mit Mut angehen. Ich entscheide mich für den Mut." Und danach zeigt sie, wie sehr sich die Rolle der Grünen in diesem Wahlkampf noch ändern könnte. So heißt es bei ihr: "Keine andere politische Kraft zeigt so klar wie wir, dass wir bewahren wollen, was uns als Land in den vergangenen Jahrzehnten so stark gemacht hat." Das klingt nicht nach grünen Angreifern. Es klingt nach Verteidigung, vielleicht gar nach einem neuen Konservatismus. Ein Duktus, an den sich mancher Grüne erst noch gewöhnen muss.

Damit nichts zu tun haben dürfte die Entscheidung eines Menschen, der nicht antritt: Parteichefin Simone Peter. Sie erklärte quasi Stunden vor dem offiziellen Startschuss, dass sie verzichtet. Diesmal verzichtet. Ein interessanter Zusatz.

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