Wahlkampf:Ach, du lieber Gott

Die Kanzlerin gibt vier populären Videobloggern auf Youtube ein Interview, das live im Internet übertragen wird. Das könnte ein spannendes Format sein. Aber Merkel gerät nur bei einer Frage kurz ins Stocken.

Von Pia Ratzesberger, Berlin

Bundeskanzlerin Merkel spricht mit YouTubern

Zuschauer verfolgen in einem Nebenraum, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel von Youtubern interviewt wird.

(Foto: Wolfgang Kumm/dpa)

Einer hakt also doch nach. AlexiBexi, der eigentlich Alexander Böhm heißt, unterbricht die Bundeskanzlerin - sie will gerade erklären, warum man nicht nur auf das Elektroauto setzen dürfe. "Dazu kommen wir gleich noch", sagt Böhm, und es wird einer der wenigen Momente sein, in denen Angela Merkel (CDU) einmal nicht das los wird, was sie möchte. AlexiBexi, der mit 28 Jahren älter ist, als sein Künstlername es vermuten lässt, sitzt der Kanzlerin in einem Ledersessel gegenüber, zwei Gläser Wasser zwischen ihnen, wie in einem gewöhnlichen Fernsehstudio. Eigentlich.

Hinter ihm und der Kanzlerin sind eine schreiende Katze und Nagellackflaschen eingeblendet, der Hintergrund soll wohl vermitteln, dass die beiden sich eben nicht in einem gewöhnlichen Fernsehstudio befinden, sondern im sogenannten Youtube Space. Um die 55 000 Menschen schauen gerade live zu, wie die Kanzlerin von AlexiBexi und seinen Kollegen interviewt wird, die anderen nennen sich auf Youtube zum Beispiel "MrWissen2Go" oder "ItsColeslaw". Jeder hat zehn Minuten Zeit, doch auch zu viert schaffen sie es nicht, Angela Merkel aus der Ruhe zu bringen, nur bei einer Frage gerät die kurz ins Stocken: Was sie sich auf ein T-Shirt drucken würde? "Ach, du lieber Gott", sagt Merkel und entscheidet sich dann für "eine schöne Welle". Wegen ihres Wahlkreises an der Ostsee.

Bitte auf den Link tippen

Das vollständige Interview auf Youtube finden Sie hier.

Die inhaltliche Erkenntnis also bleibt bescheiden, Merkel sagt wie erwartet nichts, was sie nicht auch schon woanders gesagt hätte. Trotzdem ist das Interview von Bedeutung, denn mit diesem Video dürfte die Kanzlerin im Internet so viele Menschen erreichen wie mit kaum einem anderen.

Merkel lässt sich schon zum zweiten Mal von Youtubern interviewen, also relativ jungen Menschen, die sich so nennen dürfen, weil sie auf dieser Plattform Videos hochladen, die sich Hunderttausende ansehen; mit den Kurzfilmen oder darin beworbenen Produkten verdienen sie teils Geld. Vor zwei Jahren führte das Gespräch Florian Mundt, bekannt als "LeFloid", keines seiner Videos ist bis heute so oft geklickt worden wie das Interview mit der Kanzlerin, mehr als fünf Millionen Mal. Zum Vergleich: Das beliebteste Video auf dem Youtube-Kanal der Bundesregierung mit dem Titel "Die Woche der Kanzlerin", hochgeladen vor vier Jahren, hat bis heute nicht mehr als 700 000 Aufrufe. Der neueste Podcast von Merkel hat gerade einmal mehr als 1300.

Fragt man Leute im Alter zwischen zwölf und 19 Jahren, mit was sie im Internet am liebsten ihre Zeit verbringen, antworten zwei Drittel von ihnen "Youtube". Erst dahinter folgen mit einigem Abstand Whatsapp, Facebook, Instagram und Snapchat. Aber gerade weil so viele Junge zuschauen, schalten natürlich auch sehr, sehr viele Ältere ein, die Youtube sonst nur von ihren Kindern kennen. Sie wollen wissen, was die Kanzlerin mit der jungen oder zukünftigen Wählerschaft so zu besprechen hat, an diesem Mittwochmittag ist das: der Unterschied zwischen Arm und Reich, die Automobilindustrie, das Vertrauen in die Politik; die Interviewer streifen innerhalb von einer Stunde das außenpolitische Verhältnis zur Türkei, die Nordkorea-Krise und eine Frage, die "die Community" sehr stark umtreibe: Ob ein Dritter Weltkrieg zu erwarten sei? Angela Merkel beruhigt mit einem "Nein". In den Kommentarspalten auf Youtube, in denen die Bemerkungen der Zuschauer ungefiltert einlaufen, unterhält man sich währenddessen über die Legalisierung von Hanf und "Pizza for free für alle", wobei unterhalten schon zu viel gesagt ist. Meist bleibt es bei hingeworfenen Brocken. Das Youtube-Interview könnte eigentlich ein tief demokratisches Format sein, Bürger stellen Fragen, Repräsentanten leiten die Fragen weiter und die Kanzlerin antwortet live - keine Aufzeichnung, kein Schnitt. Solch ein Gespräch passt in eine Zeit, in der jeder über Livestreams Proteste gegen den G-20-Gipfel mitverfolgen kann, in der Politiker sich zuerst auf Twitter äußern und erst später in der Tagesschau. Diese Politik-Liveshow hat den Vorteil, dass jeder mitmachen kann, der Interesse hat, zumindest vordergründig - auch beim Interview der vier Youtuber hatte jeder die Chance, unter dem Hashtag #DeineWahl eine Frage vorzuschlagen. Der große Nachteil aber ist: In die Tiefe geht es nicht. Das liegt nicht nur an den Interviewern, sondern auch an den Kommentaren, die zwischen den kurzen Gesprächen immer wieder eingeblendet werden: Einer zum Beispiel gibt bekannt, dass er Deutschland "null, null innovativ" findet. Kritische Fragen tauchen kaum auf.

Unten rechts

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat sich (immerhin) als treffsicherer Elfmeterschütze erwiesen. Bei einem Fußball-Turnier, mit dem Hobbykicker am Mittwoch in Parchim in Mecklenburg-Vorpommern ein Zeichen für Vielfalt setzen wollten, traf der SPD-Chef mit dem ersten Elfmeterschuss. "Jetzt rechts unten, zur Bundestagswahl wird es bei unserem Gegner dann rechts oben einschlagen", sagte Schulz mit Verweis auf seinen angestrebten Sieg bei der Wahl am 24. September. Die Freizeitmannschaften waren mit Spielern aus Deutschland und aus Flüchtlingsländern besetzt. Die SPD war bei der Bundestagswahl 2013 in Ostdeutschland mit weniger als 20 Prozent nur dritte Kraft hinter CDU und Linkspartei geworden. Sie sieht sich aktuell im Osten zudem einer starken AfD gegenüber. dpa

Eine der Youtuberinnen, Ischtar Isik, sagt am Ende, dies sei ihr erstes Interview gewesen und die Kanzlerin entgegnet: "Ich würde sagen, Sie haben Talent". Diese Interviewerin hatte es Merkel zuvor leicht gemacht, nicht nachgehakt - und selbst als die Kanzlerin von sich aus anbot, ihre Politik von der anderer Parteien abzugrenzen, antwortete die Bloggerin nur: "Dafür haben wir jetzt leider nicht die Zeit". Wenn ein AlexiBexi die Kanzlerin dann einmal unterbricht, tut er sich mit solch einer Kleinigkeit schon hervor.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: