Wahlfakten kompakt:Bundestag hat 32 Abgeordnete mehr als gedacht

630 statt 598 Abgeordnete wegen Überhangs- und Ausgleichsmandaten +++ Steinmeier gewinnt einziges Direktmandat der Brandenburger SPD +++ CDU-Ministerin Schröder gibt auf +++ Grünen-Chef Özdemir verliert in Stuttgart trotz SPD-Hilfe, Ströbele siegt +++ Bayerischer SPD-Landrat soll CSU gewählt haben +++ Die wichtigsten Notizen, Namen, Fakten zur Wahl

  • 630 statt 598 Abgeordnete im neuen Bundestag: Eigentlich hat der Bundestag 299 per Erststimme direkt gewählte Abgeordnete aus 299 Wahlkreisen. Weitere 299 Abgeordnete werden über die Landeslisten anhand der wichtigeren Zweitstimme bestimmt. Ein System mit insgesamt 598 Abgeordneten, das sowohl den Vertretern großer Parteien in den Wahlkreisen als auch der Präsenz kleinerer Parteien, die nie Wahlkreise gewinnen, Rechnung tragen soll. Wenn allerdings - wie nun zum fortgesetzten Mal die Union - eine Partei in Bundesländern besonders viele Wahlkreise direkt gewinnt und mehr Abgeordnete stellt, als ihr dort nach Zweitstimmenergebnis zustehen, dann bekommt sie sogenannte Überhangmandate: weil ja kein Wahlkreis ohne direkt gewählten Abgeordneten sein kann. Damit das Zweitstimmenergebnis durch diese Regelung nicht verzerrt wird, bekommen wiederum die anderen Parteien sogenannte Ausgleichsmandate zugesprochen, also zusätzliche Abgeordnete. Lange Rede, kurzer Sinn: Der Bundestag wird deutlich größer als geplant. Um kurz nach drei Uhr morgens steht fest, wie viel größer: 630 Abgeordnete hat das Parlament künftig statt der eigentlich gedachten 598. Die CDU stellt 255, die CSU 56, die SPD 192, die Linke 64 und die Grünen 63.
  • Wer ist der Allerletzte beim Auszählen? Hamburg-Mitte. Um 1:34 Uhr. SPD-Direktkandidat Johannes Kahrs hat den Wahlkreis gewonnen, wie schon in den Jahren zuvor. Generell sind Großstädte gern die Langauszähler unter den deutschen Wahlkreisen - auf den fünf vorletzten Plätzen vor Hamburg-Mitte: Berlin, Berlin, Bremen, Wiesbaden, noch mal Berlin. Als erster Wahlkreis war dagegen Straubing fertig, um kurz nach 19 Uhr (siehe unten).
  • Grund zum Ärger für wahlfaule SPD-Anhänger: Mit nur drei Stimmen Vorsprung gewinnt die CDU das Direktmandat im Wahlkreis Essen III. Matthias Hauer erhielt bei der Bundestagswahl 59.043 Stimmen, auf die SPD-Kandidatin Petra Hinz entfielen nach Angaben der Landeswahlleiterin 59.040 Stimmen. Beide Kandidaten kamen damit auf 39,5 Prozent der Stimmen. Vor vier Jahren gewann Hinz den Wahlkreis noch mit circa 4000 Stimmen Vorsprung.
  • Auch im Heimatwahlkreis stark wie nie: Bundeskanzlerin Merkel (CDU) gewinnt ihren Wahlkreis in Vorpommern mit ihrem bislang besten Erststimmen-Ergebnis klar. Sie erreicht am Sonntag im Wahlkreis 15 (Vorpommern-Rügen/Vorpommern-Greifswald I) 56,2 Prozent der Stimmen. Damit liegt sie noch einmal sieben Prozentpunkte über ihrem bisherigen Rekordergebnis von 2009 - und Welten vor den wichtigsten Herausforderinnen, Kerstin Kassner (Linke, 19,3 Prozent) und Sonja Steffen (SPD, 14 Prozent). Seit 1990 hat Merkel den Wahlkreis immer gewonnen.
  • Steinmeiers einsamer Erfolg: Der SPD-Fraktionschef im Bundestag und frühere Bundesaußenminister, Frank-Walter Steinmeier, gewinnt das einzige Direktmandat der Sozialdemokraten in Brandenburg. Er kommt auf 33,1 Prozent der Erststimmen, seine CDU-Konkurrentin Andrea Voßhoff auf 32,8 Prozent. Bei der Bundestagswahl 2009 hatte die SPD fünf Direktmandate und die Linkspartei vier errungen. Die CDU kam damals auf ein Direktmandat, dieses Mal auf neun.
  • Niederlage für Özdemir: Der Grünen-Bundesvorsitzende Cem Özdemir verpasst das Direktmandat im Wahlkreis Stuttgart I. Obwohl die SPD eine Wahlempfehlung zu seinen Gunsten ausgesprochen hatte, erhält er nur 27,5 Prozent der Stimmen und verliert damit klar gegen Mandatsinhaber Stefan Kaufmann (CDU), der auf 42,0 Prozent kommt. Die frühere SPD-Landeschefin Ute Vogt erreicht 16,6 Prozent der Stimmen. Vor vier Jahren stimmten noch 29,9 Prozent der Wähler für Özdemir.
  • Von der Leyen verliert gegen Bulmahn: Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) schafft es wieder nicht per Direktmandat in den Bundestag. Mit 42,8 Prozent der Erststimmen liegt die frühere Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) im Wahlkreis Stadt Hannover II deutlich vor der CDU-Politikerin (33,9 Prozent) - wie bereits vor vier Jahren. Von der Leyen bewarb sich 2009 erstmals um ein Direktmandat. Sie zieht aber als Nummer eins der CDU-Landesliste in den Bundestag ein.
  • Erster bei den bayerischen Erststimmen: Der oberbayerische CSU-Bundestagsabgeordnete Stephan Mayer lässt die Parteiprominenz hinter sich: Mayer holt in seinem Wahlkreis Altötting 65,8 Prozent der Erststimmen - mehr als jeder andere Direktkandidat in Bayern. Auf Platz zwei folgt Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer in Traunstein mit 62,6 Prozent. Ganz überraschend ist das Abschneiden Mayers allerdings nicht. Der Wahlkreis Altötting hat bereits 2009 das höchste Zweitstimmenergebnis für die CSU beigetragen.
  • Verwirrte Wahlhelfer: Eine Panne bei der Stimmenauszählung im Wahlkreis Märkisch Oderland/Barnim II verzögert in Brandenburg die Bekanntgabe des vorläufigen amtlichen Endergebnisses. Bei der Auszählung im Wahllokal von Fredersdorf-Vogelsdorf hätten sich die Wahlhelfer "völlig verrannt", sagt eine Sprecherin des Landeswahlleiters. Die Kreiswahlleiterin sei zur Hilfe geeilt, die Stimmen seien erneut ausgezählt worden. Das Ergebnis ist eine Überraschung: CDU-Kandidat Hans-Georg von der Marwitz gewinnt gegen die Favoritin Dagmar Enkelmann (Linke).
  • Bayerischer SPD-Hoffnungsträger auf Abwegen? Michael Adam, der im eigentlich tiefschwarzen Niederbayern für die SPD zum Landrat gewählt wurde, soll bei der Bundestagswahl seiner Partei untreu geworden sein. Die Online-Ausgabe der Passauer Neue Presse zitiert Adam jedenfalls mit den Worten: "Ich habe heute zum ersten Mal CSU gewählt." Der 28-Jährige habe dies im Sitzungssaal des Landratsamts Regen öffentlich gesagt, aber keine Gründe genannt. Allerdings gilt seit einer Attacke Adams im vergangenen Jahr auf SPD-Landeschef Florian Pronold (umgeben von "Speichelleckern") das Verhältnis der beiden als zerrüttet.
  • Kristina Schröder hört als Ministerin auf: "Ich habe mich entschieden, für das nächste Kabinett nicht wieder als Ministerin zur Verfügung zu stehen", sagt die bisherige Familienministerin auf der Wahlparty der CDU in Wiesbaden. Zur Begründung sagt die 36-Jährige, sie wolle sich mehr ihrer Tochter Lotte widmen. Sie habe Kanzlerin Merkel schon zu Jahresanfang darüber informiert. Schröder betont, ihre Entscheidung bedeute nicht, "dass ein Ministeramt prinzipiell nicht mit einer Familiengründung vereinbar ist". Ihr Bundestagsmandat behält sie. Schröder ist die erste Bundesministerin, die im Amt schwanger wurde.
  • Persönliches Debakel für Philipp Rösler: Die FDP bekommt in seinem Wahlkreis Hannover-Land I nur 4,98 Prozent der Zweitstimmen (minus 9,1 Punkte). Von den Erststimmen entfallen sogar nur 2,6 Prozent auf FDP-Chef Rösler - und damit weniger als auf seinen Konkurrenten von der Linken, Diether Dehm (3,6 Prozent). Den Wahlkreis gewinnt CDU-Mann Hendrik Hoppenstedt mit 44,3 Prozent.
  • Erkans Partner Stefan verpasst Direktmandat: SPD-Kandidat Florian Simbeck, bekannt geworden als Teil des Komiker-Duos Erkan und Stefan, unterliegt im oberbayerischen Wahlkreis Freising mit 17,6 Prozent der Erststimmen dem CSU-Mann Erich Irlstorfer (52,9 Prozent).
  • Michelle Müntefering folgt auf ihren Mann. Die SPD-Politikerin gewinnt in ihrem Wahlkreis Herne-Bochum II das Direktmandat, mit 48,6 Prozent der Erststimmen. Ihr Ehemann, der frühere SPD-Vorsitzende Franz Müntefering, trat nicht mehr an.
  • Peer Steinbrück kommt nur über die Liste in den Bundestag. Im Wahlkreis Mettmann unterliegt der SPD-Kanzlerkandidat wie vor vier Jahren der CDU-Kandidatin Michaela Noll. Steinbrück erhält nach Angaben der Stadt Mettmann 33,3 Prozent der Erststimmen, für Noll stimmen 50,6 Prozent der Wähler. Als Nummer eins auf der nordrhein-westfälischen Landesliste der SPD hat Steinbrück ein Bundestagsmandat aber sicher. SPD-Chef Sigmar Gabriel hingegen gewinnt wie schon 2009 seinen Wahlkreis Salzgitter/Wolfenbüttel, diesmal bekommt er 46,6 Prozent der Erststimmen, ein Plus von 1,7 Prozentpunkten.
  • Hans-Christian Ströbele von den Grünen gewinnt zum vierten Mal hintereinander das Direktmandat im Berliner Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg. Der 74-Jährige büßt nach den Zahlen der Landeswahlleiterin aber Stimmen ein. Der Grüne erhielt 36,7 Prozent der Erststimmen - zehn Prozentpunkte weniger als vor vier Jahren. Ströbele hält in seinem Wahlkreis aber großen Abstand zu den Kandidaten von Linkspartei, SPD und CDU.
  • Erste Wahlkreise für die SPD: Karin Evers-Meyer gewinnt im Wahlkreis Friesland/Wilhelmshaven/Wittmund 44,1 Prozent der Erststimmen, ein Plus von 4,3 Punkten. Im benachbarten Aurich-Emden kommt Johann Saathoff gar auf 50,3 Prozent. Im äußersten Nordwesten Deutschlands läuft es gut für die Sozialdemokraten.
  • Karl-Theodor zu Guttenberg war bei der Wahl 2009 der Kandidat mit den meisten Erststimmen in Deutschland. 68,1 Prozent der Wähler im Stimmkreis Kulmbach in Oberfranken waren für ihn als Direktkandidaten. Guttenbergs politische Karriere ist inzwischen - zumindest vorerst - beendet. Ihm folgt die 26-jährige Emmi Zeulner, die ebenfalls für die CSU antrat. Ihr vertrauen die Bürger offenbar etwas weniger. Zeulner schafft es auf 56,9 Prozent und zieht damit natürlich trotzdem als Direktkandidatin in den Bundestag ein.
  • Der Wahlkreis Straubing in Niederbayern hat als Erster ausgezählt. Wie zu erwarten, gibt es einen klaren Sieg für die CSU. Sie bekommt 57,8 Prozent der Zweitstimmen, ein Plus von 7,7 Prozent gegenüber der Wahl von 2009. Die SPD verbessert sich von 14,2 auf 16,1 Prozent und hat jetzt wieder einen satten Vorsprung auf die FDP, die von 13,7 auf 4,2 Prozent abstürzt. Der Direktkandidat der CSU, Alois Rainer, kommt auf 61,2 Prozent.
  • CSU fast so stark wie Grüne und Linke: Straubing ist nur einer von vielen Wahlkreisen, die zum sehr starken Ergebnis der CSU beitrugen. Rechnet man die Stimmenzahl, die die Christsozialen in Bayern erzielt haben, in ein bundesweites Ergebnis um, dann wären es 7,7 Prozent, berichtet Jörg Schönenborn von der ARD um kurz nach halb acht Uhr. Damit wäre die CSU als bundesweite Kraft fast so stark wie Linke (8,3 Prozent) und Grüne (8,2 Prozent).
  • Zu früh veröffentlichte Ergebnisse: Noch während die Wahllokale am Sonntag geöffnet hatten, tauchten im Internet Voraussagen zum Ergebnis der Bundestagwahl auf. Der Nordkurier aus Mecklenburg-Vorpommern veröffentlicht schon rund eine Stunde vor den offiziellen 18-Uhr-Prognosen Zahlen und schreibt: "FDP wäre nach ersten inoffiziellen Prognosen raus." Das Blatt beruft sich auf eigene Recherchen, denen zufolge Fernseh-Anstalten und ein Institut dies vorhersagten. Der FDP-Politiker Hans-Joachim Otto schreibt etwa 20 Minuten vor Ende der Stimmabgabe auf Twitter: "Als FDP-Politiker muß man lernen, manchmal demütig zu sein - heute ist wohl so ein Tag :-(". Am Wahltag erheben die Meinungsforschungsinstitute bei den Wahllokalen eine Prognose, indem Helfer die Wähler nach ihrer Stimmabgabe befragen. Diese Befragung ist grundsätzlich präziser als Umfragen, da tatsächlich nur Wähler befragt werden. Ergebnisse der Wahltagsbefragung dürfen vor Schließung der Wahllokale um 18 Uhr nicht veröffentlicht werden. Es drohen Strafen bis zu 50.000 Euro. Den Parteien geben die Umfrageinstitute schon am Nachmittag Hinweise auf Prognosen weiter.
  • Gleich drei werdenden Müttern, die am Sonntag plötzlich zur Entbindung ins Krankenhaus müssen, hat das Wahlamt der Stadt Bonn kurzfristig Wahlscheine ausgestellt. So können die drei Frauen per Briefwahl ihre Stimmen für die Bundestagswahl abgeben, wie die Stadt berichtet. Eigentlich war die Frist für die Briefwahlanträge bereits am Freitagabend um 18 Uhr abgelaufen. Doch in besonderen Ausnahmefällen können die Wahlscheine am Tag der Wahl bis um 15 Uhr ausgestellt werden - so wie in diesen drei Fällen.
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