Wahlerfolg des Front National:Wenn Öl zu Feuer wird

Marine Le Pen kann einen wahrhaft historischen Erfolg verbuchen: Der rechtsextreme Front National ist erstmals stärkste Partei in Frankreich. Der Triumph der Partei basiert auf der Schwäche des Landes - und auf widerspenstigen Strömungen in beiden französischen Volksparteien.

Von Christian Wernicke, Paris

Marine Le Pen sieht sich am Ziel. "Wir sind", so jubelte die Parteichefin des rechtsextremen Front National (FN) am Sonntagabend, "die erste Partei in Frankreich." Ausgerechnet Europa, das sie seit Jahr und Tag bekämpft, hat ihr diesen Triumph beschert: Mit 25 Prozent der Stimmen haben die LePenisten erstmals in einem nationalen Wahlgang sowohl die bürgerliche UMP (21 Prozent) als auch die Sozialisten (schmähliche 14 Prozent) hinter sich gelassen.

Die 45-jährige Politikerin deutet dies als Omen - für 2017, für die nächsten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Frankreich. "Wir sind eine Regierungspartei", hatte sie kürzlich selbstbewusst erklärt. Sie will an die Macht, so schnell wie möglich. Noch keine Stunde waren die Wahllokale geschlossen, da verlangte sie im Fernsehen bereits Neuwahlen: "Die Assemblée Nationale repräsentiert nicht mehr das Volk!"

Einen "Sieg gegen das System" nennt Le Pen ihren historischen Erfolg. "Das System", damit meint sie "Europas Herrschaft über Frankreich" und "unsere Unterwerfung gegenüber Technokraten und ungewählten Kommissaren". Aber ihre nimmermüden Attacken gegen "das System" zielen ebenso auf Frankreich selbst, auf die Machtstrukturen in ihrer angeblich "geknebelten Nation": Le Pen will die Dominanz von Konservativen und Sozialisten zerschlagen, die im Wechsel die Fünfte Republik regierten und die sie gern als Mischpoke von "UMPS" denunziert.

Für Präsident Hollande geriet der Sonntag zur Schande

Dieser nationale "Systembruch" ist Marine Le Pen nun gelungen. Sicher, fast drei Fünftel aller Franzosen verweigerten am Sonntag die Stimmabgabe. Aber von denen, die an die Urnen gingen, wählte jeder Vierte rechtsextrem. Der FN stellt somit künftig ein Drittel der 74 französischen EU-Abgeordneten. Damit hat Le Pen Frankreichs bipolares Parteisystem zu einem Dreieck erweitert. "Tripartition" nennen Franzosen diese Erschütterung, diese Neuordnung.

Die bürgerliche UMP muss ihren zweiten Platz als Schmach empfinden. Für Präsident François Hollande wurde der Sonntag gar zur Schande: Nicht einmal mehr jeder sechste Wähler wollte der Regierungspartei noch seine Stimme geben. Das miserabelste Resultat in der sozialistischen Parteigeschichte.

Premierminister Manuel Valls räumte am Abend die Niederlage ein. In Trauerkleidung - schwarzer Anzug, schwarze Krawatte - trat er vors TV-Publikum: "Frankreich durchlebt einen tiefernsten Moment." Der FN-Sieg sei "ein Erdbeben" und offenbare "eine Vertrauenskrise", sprach er. Um dann zu versichern, dass die Regierung an ihrem Kurs festhalten werde. Neuwahlen hatte zuvor schon Außenminister Laurent Fabius eine Absage erteilt.

In die euroskeptische Glut gießt Le Pen ihr Öl

Die Stärke des Front National ist eine logische Folge von Frankreichs Schwäche. Über zehn Prozent Arbeitslosigkeit nagen am Selbstbewusstsein der Nation, eine breite Mehrheit der Franzosen äußert sich zutiefst pessimistisch über die Zukunft des Landes. Diese marode Grundstimmung färbt auch das Bild von Europa: Eine vom Forschungsinstitut Iris (Institut de relations internationales et stratégiques) im März vorgelegte Studie offenbarte: Nur noch für 31 Prozent der Wähler stellte Europa "eine Quelle der Hoffnung" dar.

Elf Jahre zuvor hatten noch immerhin 61 Prozent der Franzosen auf die EU gesetzt. Eine just am Wahlsonntag von Le Monde veröffentlichte Umfrage untermauert diesen Eindruck der Entfremdung: 52 Prozent der Franzosen glauben, die EU-Mitgliedschaft habe die aktuelle Wirtschaftskrise im Land noch "verschlimmert".

In diese euroskeptische Glut hat Marine Le Pen seit Wochen ihr Öl gegossen. Mit ihren plakativen Forderungen - Austritt aus dem Euro, Schluss mit dem Sparkurs, Immigrationsstopp per Aufkündigung des Schengenabkommens - dominierte die begnadete Populistin den gesamten Wahlkampf. Sie avancierte zum Medienstar, drängte auch ihren Vorgänger und Vater Jean-Marie völlig in den Hintergrund. Dass sich der greise FN-Gründer vorige Woche zu der Idee verstieg, das heimtückische Ebola-Virus könne das Problem der Überbevölkerung "binnen drei Monaten" lösen, ging derweil unter.

Am Ende musste Nicolas Sarkozy wieder ran

Frankreichs Liberale ("Zentristen"), die am Wahlabend auf knapp zehn Prozent der Stimmen kamen, waren die Einzigen, die eine klar proeuropäische Kampagne riskiert hatten. Die Grünen (neun Prozent) propagierten immerhin ein ökosoziales EU-Modell. PS wie UMP hingegen fehlte zu einer wirklich europäischen Kampagne die innere Kraft - und die Geschlossenheit.

Beide Großparteien mussten mit widerspenstigen Parteiströmungen ringen, die sich von Europa abwenden wollen. Und die, weichgespült zwar, Bedenken umtreiben, wie sie auch Marine Le Pen vorbringt. Frankreichs Sozialisten hatten, um ihren höchst unpopulären Präsidenten Hollande zu verdecken, einen Deutschen in die erste Reihe gestellt: Martin Schulz, Anwärter auf die Führung der zukünftigen EU-Kommission, war das Aushängeschild der Regierungspartei.

Der Versuch jedoch, mit Forderungen nach einem "sozialen Europa", einem Ende der "Austeritätspolitik" und "der Vorherrschaft der Konservativen in Europa" (ergo: Angela Merkel) zu punkten, krankte stets an einem Widerspruch: François Hollande müht sich gerade daran ab, im Parlament eine Mehrheit für just jenen Sparkurs zu ergattern, den die PS mit ihrer Kampagne zu bekämpfen vorgab.

In den Großparteien kämpfen leidenschaftliche Europäer gegen mächtige Skeptiker

Die langjährige Europaabgeordnete Pervenche Berès forderte bei einem Auftritt vor einer Woche, das Maastricht-Kriterium von maximal drei Prozent Budgetdefizit abzuschaffen. Mitten im Saal saß derweil Premierminister Manuel Valls, dessen Haushaltspläne genau die magischen drei Prozent bis 2016 anstreben.

Kaum besser erging es der UMP. Frankreichs bislang größte Oppositionspartei präsentierte zwar leidenschaftliche Pro-Europäer wie den angesehenen EU-Abgeordneten Alain Lamassoure als Spitzenkandidaten. Aber dann meldeten sich - angeführt von Henri Guaino, einem der engsten Vertrauten von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy - lauthals Geister, die "ein völlig anderes Europa" verlangten. Und die ankündigten, Lamassoure ihre Stimme zu verweigern. Parteichef Jean-François Copé, obendrein angeschlagen wegen eines Skandals um die UMP-Finanzen, fand kein Mittel, um seine Partei zu einen. Er bot Formelkompromisse feil, aber kein Programm für Europa. Am Ende musste Nicolas Sarkozy das Vakuum füllen.

Das Partei-Idol veröffentlichte vorige Woche den Entwurf für ein Europa unter deutsch-französischem Direktorat, mit einer starken Euro-Zone und einer unter dem Strich geschwächten EU-28. Vieles blieb da vage - aber dass der Ex-Präsident nach rechts driftet, machte eine Forderung klar: Sarkozy will "unverzüglich" das Schengenabkommen aussetzen und also das grenzenlose Europa infrage stellen. Dass das ehemalige Staatsoberhaupt aus dem Programm des Front National abschreibt - das war, vor ihrem Sieg am Sonntagabend, der größte Coup der Marine Le Pen.

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