Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus:Wowis Welt

"Berlin, das bin ich": Mit dieser simplen Losung kämpft der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit um eine weitere Amtszeit - und das wahrscheinlich erfolgreich. Denn obwohl in der Stadt die Arbeitslosigkeit hoch ist, die Mieten steigen und die Milieus auseinanderbrechen, dürften die Sozialdemokraten die Wahl gewinnen. Wie macht dieser Wowereit das bloß? Ein Erklärungsversuch.

Constanze von Bullion

Es wird jetzt gewählt im Schaukasten Berlin, und wer wissen will, wie es sich so lebt als Exponat eines Museums, der braucht nur zum Bahnhof Friedrichstraße zu gehen.

Berlin mayor and top-candidate of SPD Wowereit eats ice cream in Berlin

Sein unbekümmertes "Berlin, das bin ich" wirkt beruhigend auf eine Stadt, die immerzu im Wandel ist. Deshalb wird Klaus Wowereit (SPD) aller Voraussicht nach Regierender Bürgermeister bleiben.

(Foto: REUTERS)

Mitte dieser Woche führt Holger Klein vor, wie man ausreiste aus der Hauptstadt der DDR, gen Westen. Klein ist 65 Jahre alt und als Schüler abgehauen aus Ostberlin. Jetzt stellt er sich als Zeitzeuge zur Verfügung für die Eröffnung einer Ausstellung im Tränenpalast.

Bis 1989 war das ein trostloser Ort, im Tränenpalast mussten DDR-Familien sich von Angehörigen verabschieden, die der DDR den Rücken kehrten. Nach der Wende hat man die braunen Zollhäuschen abgerissen, jetzt wurden sie wieder aufgebaut, damit Besucher aus aller Welt hier nacherleben, wie bedrückend das DDR-Grenzregime war.

Holger Klein, der Zeitzeuge, demonstriert das jetzt mal, wie man reinging in so eine Abfertigungskabine aus Schichtstoff. Er tritt in eine enge Schleuse und vor einen Tresen, der ihm fast ans Kinn reicht. Klein geht auf die Zehenspitzen, guckt hoch. Hinter einer Scheibe sieht er Stempel, Formulare, Uniformen. Da saßen sie, erhöht, die Grenzer, guckten runter auf den Bürger, den Wurm.

Austellungsobjekt für die gute Sache

Fotoapparate klicken, Zeitzeuge Klein soll jetzt erzählen, wie er sich gefühlt hat damals. Da schüttelt er den Kopf. Er ist hier nie ausgereist, sondern 1964 auf einen Zug nach Westberlin aufgesprungen. Ein Freund wollte mit, aber schaffte es nicht und landete im Stasi-Gefängnis. Dort ist er noch, führt Besucher durch alte Verhörzellen. Noch so einer, der sich ausstellen lässt für die gute Sache.

So macht man das jetzt in Berlin, die Stadt spielt sich selbst oder irgendetwas, das ihr ähnlich sieht. Sie tut das mit Bravour, das Publikum ist begeistert.

Europas jüngste Hauptstadt ist hochverschuldet, aber sie hat sich den Staub vom Gewand geklopft. Viele Fassaden leuchten wieder, Baulücken schließen sich, und die Löcher, die nicht zu kitten sind, die Narben zweier Diktaturen, werden jetzt professionell aufbereitet und hinter Glas gestellt. Gern mit ein paar lebenden Objekten als Animateuren.

Angst sitzt mit in den Wahlkabinen

Der Welt gefällt das, sie kommt nach Berlin. 20 Millionen Hotelbetten wurden 2010 gebucht, und die Besucherkolonnen sollen noch länger werden. Sie ziehen durch die Stadt und suchen Geschichte, wollen Reste der Mauer sehen, das Holocaust-Mahnmal, die Topographie des Terrors. Auf der Museumsinsel, wo sich ein Weltklassemuseum ans andere reiht, stehen Tausende Schlange, um ins Bode-Museum zu kommen, wo im Dunkel die "Gesichter der Renaissance" leuchten, eine Ausstellung wie ein Edelstein.

Kommen die Gäste wieder raus aus dem Museum, steuern sie zügig das Nächste an, Kreuzberg, Hausbesetzer gucken, diese Fossilien. "Wir sind nicht im Zoo", motzen die Kreuzberger, die im Touristen ein neues Feindbild gefunden haben. Und die wachsende Popularität ihrer Stadt mit Unbehagen beobachten. Wer im Zentrum von Berlin für paar hundert Euro wohnt, kriegt jetzt schon mal Post vom Hausbesitzer. Im Glücksfall ist es nur eine Mieterhöhung. Hat der Mieter Pech, wird luxussaniert, und wenn er das nicht will, dreht man ihm im Winter oft die Heizung ab, bis er auszieht.

Der Bewohner der neuen Hauptstadt, so er nicht am Checkpoint Charlie stehen mag, verkleidet als Soldat der Roten Armee, kriegt jetzt manchmal Angst. Berlin kommt voran, aber die Lebenswirklichkeit hält oft nicht Schritt. 13 Prozent Berliner sind ohne Arbeit, eine Generation von Industriearbeitern sitzt zu Hause. In einigen Jahren wird jeder zweite Bewohner der Innenstadt aus einer Einwandererfamilie kommen. Jedes vierte Kind von Zugewanderten aber scheitert heute in der Schule. In der Hauptstadt der Kreativen wird auch viel zu wenig fürs Alter vorgesorgt. 339 Millionen Euro musste Berlin letztes Jahr zur Aufstockung mieser Renten zahlen, Tendenz steigend.

Am Sonntag wählt Berlin, und so wie es aussieht, wird die Angst mit in den Wahlkabinen sitzen. Es ist die Angst vor Veränderung, vor noch mehr Wandel und der Anstrengung, die das kostet. In einer Stadt, die immerfort umgeräumt wird, in der Straßen aufgerissen, S-Bahnen neu getaktet, Schulen reformiert werden, sehnen viele sich nach etwas, das bleibt, ihnen nichts abverlangt. Dieses Gefühl bedient Klaus Wowereit.

Berlins Bürgermeister wird wohl seine dritte Amtszeit antreten, das sagen alle Umfragen voraus. Kommt es so, dann nicht, weil Wowereit einer wäre, der die harte Arbeit schätzt. Es gab Zeiten, in denen Mitarbeiter stöhnten, der Mann sei partout nicht ans Telefon zu kriegen. Es gab Jahre, in denen Wowereit kaum eine Hand gerührt hat, um Firmen in die Stadt zu holen und damit Arbeit. Das sagen Wirtschaftsleute, aber auch solche, die seinen Senat von innen kennen.

"Berlin, das bin ich"

Wenn Wowereit die Wahl gewinnt, dann, weil viele ihn mögen, und weil sein unbekümmertes "Berlin, das bin ich" beruhigend wirkt auf eine Stadt, in der nichts bleiben kann, wie es war. Kommt er nach Mitte, ist er Opernfreund und Schirmherr der Kultur, kommt er nach Marzahn, ist er Sohn einer alleinerziehenden Mutter von fünf Kindern, fährt er nach Neukölln, ist er einer, der von ganz unten kommt und jetzt ganz oben für Toleranz kämpft. Wowi ist für alle da, und sein "Berlin verstehen" vergibt auch denen, die gar nicht erst versuchen, erfolgreich zu sein, fleißig, integriert in die neue Bürgergesellschaft der Stadt.

Für Letztere sind die Grünen zuständig, und zu Beginn des Wahlkampfs dachten viele, dass sie es sein würden, die urbanen Akademiker, die Kreativen und ihre Kandidatin Renate Künast, die die Kraft haben, Berlin zu verändern. In einer Stadt, die nach außen glänzt und im Innern kämpft, weil die Milieus auseinanderdriften, weil viele fürchten, ihren Platz zu verlieren in musealer Kulisse, hätten die Grünen für Selbstbewusstsein sorgen können - statt "Hilfe, die Touris kommen" zu schreien und die Ängste vor Vertreibung noch zu befeuern. "Empowerment" heißt das auf Englisch, und es meint den Mut, sich vom Objekt zum Subjekt zu machen, zum Gestalter der eigenen Lebenswelt.

Der Architekt Hans Kollhoff hat das neulich mal vorgeführt, in einem wunderbar altmodischen Berliner Kaffeehaus und auf Einladung der CDU. Kollhoff entwarf das Bild einer Metropole, die nicht zugekleistert wird mit öden Großbauten, sondern aus sich selbst heraus wächst: kleinteilig, nachhaltig, bürgernah, aus Baugenossenschaften heraus, die den Mangel von Reichtum kompensieren durch gemeinschaftliches Handeln und Kreativität. Als Kollhoff fertig war, ging ein Seufzen durch den Raum. Menschen mit einer Vision für die Stadt hätte man gern öfter gehört vor dieser Wahl.

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