Wahlen in Taiwan:Kampf um die drei Nein

Am Samstag wählt Taiwan einen neuen Präsidenten, die Kandidaten streiten vor allem über das Verhältnis zu China. Falls Amtsinhaber Ma Ying Jeou verliert, droht der schwelende Konflikt mit China wieder aufzulodern.

Christoph Neidhart, Taipeh

Frauenstimmen gellen durch die Straße, immer lauter. Stehend in einem roten Jeep, rufen vier Frauen mit Megafon die Menschen auf, die Oppositionsführerin Tsai Ing Wen zur Präsidentin von Taiwan zu wählen. Sie werben für ihre Demokratische Progressive Partei (DPP). "Sie machen einfach den besseren Wahlkampf", seufzt ein früherer Mitarbeiter von Präsident Ma Ying Jeou von der Regierungspartei Kuomintang.

Wahlen in Taiwan: Pekings Wunschkandidat: Taiwans Präsident Ma Ying Jeou bei der letzten Wahlkampfveranstaltung in Taipeh.

Pekings Wunschkandidat: Taiwans Präsident Ma Ying Jeou bei der letzten Wahlkampfveranstaltung in Taipeh.

(Foto: AFP)

Am Samstag wählt Taiwan seinen nächsten Präsidenten. Neben Ma und Tsai tritt James Soong an, der selber keine Chancen hat, aber seinem einstigen Parteikollegen Ma viele Stimmen abnehmen könnte. Es wird ein knappes Ergebnis erwartet. Präsident Ma muss um seine zweite Amtszeit bangen.

Ma ist ein sanfter ehemaliger Professor, der Entscheidungen hinauszögert und sich in Details verhakt. Dennoch hat der 61-Jährige aus den letzten vier Jahren Erfolge vorzuweisen. Die Beziehungen zwischen Taiwan und China haben sich entspannt. Zwar betrachtet Peking die Insel weiterhin als abtrünnige Provinz, aber nach Jahrzehnten gibt es wieder direkte Flug-, Post- und Frachtverbindungen. Festland-Chinesen dürfen als Touristen nach Taiwan reisen, und Taipeh hat ein Freihandelsabkommen mit Peking unterzeichnet.

Die oppositionelle DPP wirft Ma vor, er sei Peking zu weit entgegengegangen, zumal er schon von einem Friedensabkommen gesprochen hat. Die chinesische Armee hat weiterhin Tausende Raketen auf die Insel mit ihren 23 Millionen Menschen gerichtet. Damit will sie verhindern, dass Taiwan sich de jure für unabhängig erklärt.

Die Mehrheit des Bevölkerung ist für den Erhalt des Status quo

Mas China-Politik basiert auf den "drei Nein": keine Unabhängigkeitserklärung, keine Wiedervereinigung und keine Gewalt. Damit weiß er mehr als zwei Drittel der Taiwaner hinter sich, sie wollen am Status quo festhalten. In Peking habe man das verstanden, sagt Ma. Niemand auf Taiwan wolle das Modell "ein Land, zwei Systeme", mit dem China Hongkong und Macao innere Autonomie unter Pekings Souveränität gewährt.

Nicht nur Ma, auch Chinas Staatspräsident Hu Jintao wird am Samstagabend nervös auf die Wahlresultate aus Taipeh warten. Hus Amtszeit geht zu Ende. Sollte es ihm gelingen, mit dem wiedergewählten Ma eine Lösung des Taiwan-Konflikts einzuleiten, dann dürfte er als großer Staatsmann in die Geschichte eingehen.

Verliert Ma die Wahl, wird Hu sich für seinen sanften Kurs gegenüber Ma wehren müssen. Und niemand weiß, welche Linie eine Präsidentin Tsai einschlagen würde. Sie lehnt das inoffizielle Übereinkommen von 1992 ab, wonach Peking und Taipeh beide an "einem China" festhalten, dies aber unterschiedlich auslegen. Wie ihre China-Politik aussähe, hat sie aber noch nicht konkretisiert.

In früheren Jahren versuchte Peking mit Drohungen, Wahlen in Taiwan zu beeinflussen. Diesmal hat China im bäuerlichen Süden Taiwans, einer DPP-Bastion, große Mengen Süßwasserfisch, Äpfel und Tee eingekauft, um die Bevölkerung dort vom Nutzen der Integration zu überzeugen. Auch Washington und Tokio hoffen auf einen Wahlsieg Mas, halten sich aber zurück.

Chinapolitik im Zentrum des Wahlkampfes

Der Wahlkampf beider Kandidaten reduziert sich im Wesentlichen auf die China-Politik. Für die DPP ist Ma als Vertreter der Kuomintang (KMT) per se suspekt. Die KMT ist aus jener Kamarilla hervorgegangen, die nach der Niederlage der Nationalisten im chinesischen Bürgerkrieg 1949 nach Taiwan geflohen ist. Sie war lange ein straff organisierter, rechtsreaktionärer Machtapparat. Bis 1987 regierte sie die Insel unter Kriegsrecht wie eine Kolonie. Ihr erklärtes Ziel war es, ganz China zurückzuerobern. Erst in den neunziger Jahren begann die Kuomintang, Taiwan zu demokratisieren. Inzwischen hat sie sich von ihrer alten Ideologie verabschiedet. Viele ihre Politiker gelten jedoch als schwache Redner.

Die Oppositionspartei DPP ist aus dem Widerstand gegen diese KMT hervorgegangen. Ihre erste Generation waren ehemalige Dissidenten, von denen viele lange im Gefängnis saßen. Heute wird die DPP zusammengehalten vom Misstrauen gegen die KMT und vom Fernziel der Unabhängigkeit Taiwans.

DPP-Politiker sind gute Agitatoren, das haben sie auf der Straße gelernt. Sie reagieren schnell und mit Phantasie. Im Herbst hatten drei kleine Kinder, Drillinge, der Partei ihre Sparschweinchen gestiftet. Dafür wurde die DPP von der Wahlaufsicht gerügt: Das verstoße gegen das Wahlgesetz. Zur Antwort startete die DPP eine legale Spendenkampagne und verteilte Plastikschweinchen. In 143 000 Sparschweinchen hat sie mehr als sechs Millionen Euro Spenden erhalten.

Im westlichen Sinne sind beide, die KMT und die DPP, konservative Parteien. Wie Ma wirkt auch seine 55-jährige Herausforderin Tsai gescheit, aber professoral. Beide haben an derselben Uni studiert. Der gut aussehende Ma hat vor vier Jahren viele Stimmen von Frauen erhalten. Mit Tsai, die in der DPP "alle entwaffnet" habe, wie ein Insider erzählt, versucht die Partei die Stimmen der Frauen von der KMT zurückzuholen. Überhaupt setzt die DPP auf Frauen, viele ihrer Bürgermeister sind weiblich.

Zuletzt hat sich der 89-jährige Ex-Präsident Lee Teng Hui, der Vater der Demokratie Taiwans, aus dem Krankenhaus gemeldet. Er unterstütze Tsai - gegen seine eigene Kuomintang. Tsai habe die "weiblichen Eigenschaften", die es für Politik im 21. Jahrhundert brauche: Kompetenz, Durchhaltevermögen, Kommunikationsfähigkeit. Das Lager von Ma reagierte genervt: Lee solle sich lieber ausruhen.

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