Wahlen in Schleswig-Holstein:Nur einer sitzt im Strandkorb

Schleswig-Holstein wählt - doch bislang geht kaum jemand hin. Dabei wird die Entscheidung spannend: Kann die SPD die CDU überflügeln? Kommt Rot-Grün mit Unterstützung der dänischen Minderheit an die Macht? Schaffen es die Liberalen in den Landtag? Und wie schneiden die Piraten ab? Entspannt zurücklehnen kann sich eigentlich nur einer.

Carsten Eberts, Kiel

Die Dimensionen im hohen Norden sind überschaubarer als an anderen Regierungssitzen der Republik. Das merken die Kieler vor allem, wenn sie plötzlich für einen Tag im Mittelpunkt des deutschen Politikinteresses stehen. Etwa 1000 Medienvertreter werden am Sonntagabend im Kieler Landtag erwartet, dazu etwa 1000 Gäste der Fraktionen - das erste Haus des Landes Schleswig-Holstein platzt aus allen Nähten. Neue Wände wurden deshalb eingezogen, jeder freie Quadratmeter wird für TV-Übertragungen genutzt. Der Landtag erreiche "seine Kapazitätsgrenzen", sagt Landtagsdirektor Utz Schliesky.

Landtagswahl in Schleswig-Holstein

Landtagswahl in Schleswig-Holstein: Der amtierende Ministerpräsident, Peter Harry Carstensen (CDU), posiert in Elisabeth-Sophien-Koog bei Nordstrand nach der Stimmabgabe in einem Strandkorb

(Foto: dapd)

Was dieser Sonntag politisch bringen wird, wagt am Mittag noch niemand zu prognostizieren. Zu dicht lagen die großen Parteien in den Umfragen beieinander. So ziemlich alles kann passieren: Erlebt Schleswig-Holstein einen Regierungswechsel, weg von der bislang regierenden CDU, hin zur SPD? Oder die vorläufige Gesundung der FDP, für die es unter Spitzenkandidat Wolfgang Kubicki gar zur Regierungsbeteiligung reichen könnte? Kommen die Piraten abermals in einen deutschen Landtag, fliegen die Linken stattdessen raus? Oder gibt es am Ende doch eine Große Koalition?

Kurzum: Die Lage ist höchst unübersichtlich. 2,243 Millionen Schleswig-Holsteiner sind zur Wahl aufgerufen, die Wahlbeteiligung lag bis 11 Uhr bei lediglich 17,7 Prozent. Bei der jüngsten Wahl im September 2009 waren es zum gleichen Zeitpunkt 25,9 Prozent. Damals wurde aber zugleich der Bundestag gewählt. Aber auch in Vergleich zu anderen Wahlen in den vergangenen drei Jahrzehnten sei die Wahlbeteiligung bis zum Vormittag eher schwach. Lediglich 2005 habe die Beteiligung zu dieser Zeit noch leicht darunter gelegen, heißt es.

Entscheiden die Dänen?

Trotzdem ist es gut möglich, dass am Ende des Wahltages ein historisches Ereignis steht: die erste Regierungsbeteiligung einer nationalen Minderheitspartei. Anders als noch vor sieben Jahren strebt der Südschleswigsche Wählerverband (SSW), der als einzige Partei von der Fünfprozentklausel befreit ist, diesmal eine direkte Regierungsbeteiligung an. Spitzenkandidatin Anke Spoorendonk hat sich vorab mit SPD und Grünen auf eine Zusammenarbeit verständigt - sofern es denn rechnerisch reicht. Die politische Ampel könnte erstmals Rot-Grün-Blau leuchten.

Rot-Grün-Blau - besonders die CDU mit ihrem Kandidaten Jost de Jager hat dieses Szenario zu einem Schreckgespenst erkoren. "Dänenampel" schimpfte de Jager noch im TV-Duell die mögliche Konstellation, bediente damit erfolgreich eigentlich vergessene Ressentiments gegen die dänische Minderheit im Land, nicht gerade weit oberhalb der Gürtellinie.

Im Handball-Dress zur Urne

Als erster der Spitzenkandidaten gab FDP-Mann Wolfgang Kubicki am Sonntagmorgen um 10 Uhr im Ostseebad Strande, wenige Kilometer nördlich von Kiel, seine Stimme ab. Ganz leger, mit rosafarbenem Pulli und bunt gestreiftem Schal. Ihm folgte Anke Spoorendonk vom SSW, die in Flensburg wählte, ebenso wie Grünen-Spitzenkandidat Robert Habeck. Er erschien lässig im Handball-Dress der SG-Flensburg-Handewitt. Mit dabei: Sohn Oskar.

Landtagswahl in Schleswig-Holstein

Ging im Handball-Dress und mit Sohn Oskar zur Wahl: Robert Habeck, der Spitzenkandidat der Grünen.

(Foto: dapd)

CDU-Kandidat de Jager ließ sich bis zum späten Vormittag Zeit, wählte dann in Eckernförde. "Wir haben die größere Mobilisierungsreserve", frohlockt de Jager siegessicher, "nur die CDU steht für eine stabile Regierung." Ihm folgte auf Nordstrand der scheidende Ministerpräsident Peter Harry Carstensen, der sich heute getrost in den Strandkorb setzen kann, da es bei ihm persönlich um nichts mehr geht.

Der stärkste Kontrahent des neuen CDU-Spitzenkandidaten, der SPD-Kandidat und Kieler Oberbürgermeister Torsten Albig, verzichtete auf einen letzten medienwirksamen Auftritt. Er hatte bereits am vergangenen Mittwoch, im Kieler Briefwahlbüro, seine Stimme abgegeben, weil er am Sonntag an der Konfirmation seines Patenkindes teilnehmen wollte. Nicht etwa um die Ecke, sondern in Herford in Nordrhein-Westfalen. Albig ließ jedoch ausrichten: "Wer den Politikwechsel will und mich als Ministerpräsidenten haben will, macht sein Kreuz bei der SPD."

Ob Albig oder de Jager am Sonntagabend mit der Regierungsbildung beauftragt werden, hängt auch davon ab, wem die Wähler den Umgang mit der prekären Schuldenlage des Landes eher zutrauen. Schleswig-Holstein drückt eine Last von 27 Milliarden Euro, auf jeden Bürger entfallen damit fast 10.000 Euro Schulden. Das ist - nach dem Saarland - der höchste Pro-Kopf-Wert eines westdeutschen Flächenlandes.

Auf jeden Fall darf sich Schleswig-Holstein auf langwierige Koalitionsverhandlungen einstellen. Ziehen die Piraten unter Spitzenkandidat Torge Schmidt auch in Schleswig-Holstein in den Landtag ein, dürfte den traditionellen Zweierbündnissen Rot-Grün oder Schwarz-Gelb eine eigene Mehrheit verwehrt bleiben. Um eine Große Koalition aus CDU und SPD zu vermeiden, müssen dann Dreierbündnisse her - und diese zu zimmern, ist noch schwieriger, als im engen Kieler Landtag ein paar neue Wände einzuziehen.

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