Wahlen in Israel:"Das Wichtigste ist ein langfristiger Waffenstillstand"

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Vor den Wahlen in Israel: Wer kann besser mit der Hamas? Ist Frieden mit den Radikalen möglich? Nahost-Expertin Muriel Asseburg über Positionen und Perspektiven in Israel.

Silke Lode

Muriel Asseburg ist Mitglied der Forschungsgruppe Naher Osten und Afrika der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind der Nahostkonflikt und Friedensprozess sowie die deutsche und europäische Nahostpolitik.

Der Sperrzaun, den Israel auch im Großraum Jerusalem baut, könnte nach den Vorstellungen Ehud Olmerts zukünftig die Grenze zwischen Israel und Palästina markieren. (Foto: Foto: ap)

sueddeutsche.de: Der amtierende Ministerpräsident Ehud Olmert erklärt, bei der Wahl gehe es darum, das Schicksal der Nation zu formen. Ist die Wahl tatsächlich so bedeutsam?

Muriel Asseburg: Tatsächlich hat Olmert es so formuliert, dass diese Wahl quasi ein Referendum über die Zukunft Israels sein soll - ein Referendum über seinen Plan, die endgültigen Grenzen Israels bis 2010 zu demarkieren und damit das Gebiet eines jüdischen und demokratischen Staates abzustecken - wenn nicht auf dem gesamten ehemaligen Mandatsgebiet Palästina, so doch auf einem größeren Gebiet als das Kernland Israel heute umfasst.

sueddeutsche.de: Was bedeutet das genauer?

Asseburg: Die Umsetzung dieses Plans wäre in der Tat für Israel ein historischer Schritt. Mit Frieden ist er jedoch nicht gleichzusetzen. Denn er bedeutet, dass Israel sich aus Teilen der West Bank zurückziehen, aber die großen Siedlungsblöcke, Jerusalem und den Jordangraben behalten würde und damit kein lebensfähiger palästinensischer Staat neben Israel entstehen könnte.

sueddeutsche.de: Die Palästinenser haben mit deutlicher Mehrheit die Hamas an die Regierung gewählt. Welche Auswirkungen hat dieser Machtwechsel auf die Wahlen in Israel?

Asseburg: Erstaunlicherweise sieht man bislang noch keine großen Auswirkungen auf die Prozentzahlen, die die verschiedenen israelischen Parteien in den Umfragen bekommen; der Likud ist also nicht, wie erwartet, durch den Hamas-Wahlsieg gestärkt worden.

Ich denke, das hat damit zu tun, dass ohnehin der Großteil der israelischen Bevölkerung auf die Linie von Ehud Olmert eingeschwenkt ist: Die Mehrheit unterstützt den Plan, die israelischen Grenzen einseitig festzulegen, statt über Verhandlungen und einen Friedensprozess zu einem Abkommen über den endgültigen Status zu kommen.

sueddeutsche.de: Warum gibt es in Israel immer wieder den Wunsch nach einer "harten" Regierung, die gegenüber den Palästinensern durchgreift und versucht, die Probleme einseitig zu lösen statt zu verhandeln?

Asseburg: Weil man in Israel vor allem seit dem Ausbruch der zweiten Intifada zu der vermeintlichen Einsicht gelangt ist, dass es auf der palästinensischen Seite keinen Partner für Verhandlungen gibt.

Dies scheint sich mit dem Sieg der Hamas bei den palästinensischen Parlamentswahlen einmal mehr bestätigt zu haben. Denn Hamas ist - auch wenn sie das in ihrem Wahlkampf nicht in den Vordergrund gestellt hat - mit einem Programm angetreten, das nicht auf Verhandlungen setzt und das Israel nicht als Partner sieht.

sueddeutsche.de: In den Umfragen liegt die von Ariel Scharon neugegründete Partei "Kadima" vorn, ob sie allerdings eine Regierungskoalition bilden kann, ist noch offen. Welche Koalition könnte nach Ihrer Einschätzung besser mit der Hamas umgehen?

Asseburg: Olmert will weitere einseitige Abzüge aus den palästinensischen Gebieten. Benjamin Netanjahu vom Likud hat sehr deutlich gemacht, dass er mit diesem Programm nicht leben kann. Deshalb will er einer Koalition mit Kadima nicht beitreten.

Das heißt, dass es aller Wahrscheinlichkeit nach eine Koalition geben wird, der Kadima und die Arbeitspartei angehören werden. Bislang ist noch unklar, wer sonst noch dabei sein wird. Es kann durchaus sein, dass das die russische Einwandererpartei Partei von Avigdor Liebermann ist. Es könnte auch sein, dass mehrere von den religiösen Parteien dabei sind. Die sind aber keine verlässlichen Koalitionspartner für Olmert.

sueddeutsche.de: Wenn Netanjahu sagt, er kann das unilaterale Vorgehen, das Olmert vorschlägt, nicht akzeptieren, wie würde Netanjahu dann mit der jetzigen Konfliktsituation umgehen?

Asseburg: Netanjahu sagt, dass einseitige Abzüge falsch sind, weil sie die Palästinenser zu noch mehr Gewalt provozieren. An dem Wahlsieg der Hamas sehe man ja, wozu der einseitige Abzug aus dem Gaza-Streifen geführt habe.

Grundsätzlich beharrt Netanjahu auf der Linie, dass Abzüge ein Tauschgeschäft sein müssen, Israel muss davon profitieren können. Er sagt zudem, solange es auf der palästinensischen Seite keinen Partner gibt, mit dem man sinnvoll verhandeln kann, gibt es eben nur die harte Linie: Gegenüber den Palästinensern durchgreifen und den Terrorismus bekämpfen.

sueddeutsche.de: Und wohin wird diese Politik führen?

Asseburg: Ich denke, hier genau liegt der Knackpunkt, weshalb sich der Hamas-Sieg bislang nicht zu Gunsten von Netanjahu ausgewirkt hat - der Großteil der Bevölkerung sieht nicht, wie diese Politik weiterführen soll. Es wird keine Lösung angeboten, wie man die jüdische und zugleich demokratische Identität des Staates wahren kann.

sueddeutsche.de: Ist in der jetzigen Situation eine Wiederaufnahme des internationalen Friedensplans, der Road Map, überhaupt vorstellbar?

Asseburg: Olmert und Kadima berufen sich in ihrem Wahlprogramm auf die Road Map - in der Version, die die israelische Regierung anerkannt hat, also mit den 14 Punkten, die damals von der israelischen Regierung hinzugefügt wurden. Diese haben den Ansatz der Road Map, dass beide Seiten gleichzeitig Schritte ergreifen sollten, jedoch von Anfang an hinfällig gemacht.

In meinen Augen ist es ein reines Lippenbekenntnis, wenn Olmert sich heute auf die Road Map beruft, denn er hat in der letzten Zeit deutlich gemacht, dass es für seinen einseitigen Ansatz nicht relevant ist, ob man wieder zu Verhandlungen mit den Palästinensern kommt. Ohnehin sind Verhandlungen keine realistische Perspektive, weil eine Hamas-geführte Regierung tatsächlich keinen Partner für Verhandlungen darstellt - aber vielleicht ein Partner für einen langfristigen Waffenstillstand sein könnte.

sueddeutsche.de: Was kann die internationale Gemeinschaft tun, um eine Gesprächsbereitschaft in der Zukunft auf beiden Seiten zu fördern?

Asseburg: Das wichtigste ist, dass man zunächst versucht alles zu unterstützen, was in Richtung eines langfristigen Waffenstillstandes geht, um die Situation zu beruhigen und die Möglichkeit zu schaffen, dass langsam wieder Vertrauen zwischen den Bevölkerungen gebildet werden kann. Das heißt, beide Seiten darauf zu drängen, die geschlossenen Abkommen umzusetzen und alles zu unterlassen, was die andere Seite provoziert.

Es geht ganz konkret darum, dass Israel die gezielten Tötungen unterlässt und die Abkommen über den Zugang und Bewegung zwischen dem Gaza-Streifen und der West Bank einhält, um die katastrophale wirtschaftliche und humanitäre Situation im Gaza-Streifen nicht weiter fortzusetzen. Auf der anderen Seite müsste eine Hamas-geführte Regierung alles daran setzen, einen Waffenstillstand effektiv umzusetzen.

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